Psychosoziale Unterstützung für Polizisten Wenn Helfer selbst Hilfe brauchen

Niederrhein · Geraten Polizisten in belastende Situationen, wie die beiden Beamten, die in der Wache in Rheinhausen einen Menschen erschossen haben, hilft ein sogenanntes PSU-Team bei der Verarbeitung des Erlebten.

 Thorsten Güth ist Koordinator und Sprecher des PSU-Teams NRW. Die Aufgabe hat er 2015 übernommen.

Thorsten Güth ist Koordinator und Sprecher des PSU-Teams NRW. Die Aufgabe hat er 2015 übernommen.

Foto: Reichwein

Wenn Menschen durch die Polizei zu Tode kommen, wie im Fall des Messerstechers, der in der Rheinhauser Wache erschossen wurde, liegt der Fokus zumeist auf dem Getöteten. In Vergessenheit gerät schnell, wie es dem Polizeibeamten geht, der die Entscheidung treffen musste, die Waffe zu nutzen.

Natürlich sind Polizisten mehr oder weniger auf den Umgang mit der Waffe vorbereitet, er gehört zum Berufsbild. Doch selbst in kriminellen Gegenden des Landes geschieht es eher selten, dass es zum gezielten Schuss kommt. Was macht es mit einem Menschen, wenn er seinem Gegenüber - gerechtfertigt oder nicht - das Leben nimmt und Verwandten und Freunden einen nahestehenden Menschen? Wie verarbeiten Polizisten ein solches Ereignis? Weil es tatsächlich zu den einschneidendsten Erlebnissen eines Polizisten gehört, die Waffe zu benutzen, gibt es seit rund 23 Jahren ein PSU-Team der NRW-Polizei, das betroffenen Kollegen psychosoziale Unterstützung (PSU) nach besonders belastenden Ereignissen anbietet.

Das Team betreut in erster Linie Polizeibeamte und bei Bedarf deren Angehörige nach besonders belastenden Situationen. Die Anlässe können unterschiedlich sein: ein schwerer Verkehrsunfall, das Erleben von Tod oder eben auch - wie in Rheinhausen - ein Schusswaffengebrauch. Das sei extrem belastend für Kollegen, weiß Polizeioberrat Thorsten Güth, Leiter Bereitschaftspolizei/Polizeisonderdienste beim Polizeipräsidium Dortmund. Seit 2015 ist er der verantwortliche Koordinator und Sprecher des PSU-Teams NRW. "Auf einen Menschen zu schießen, beschäftigt einen fürchterlich und verändert einen teilweise ein Leben lang."

Ausschlaggebender Punkt: Loveparade

Erlebnisse wie dieses seien so unvorstellbar, dass man sie nicht in sein Weltbild einfügen könne, wodurch sich die Psyche verändere. Darum sei es wichtig, den Verarbeitungsprozess zu unterstützen. "Wir führen nach derartigen Ereignissen mit den Betreffenden strukturierte Gespräche, die den Stressabbau voranbringen sollen. Im vergangenen Jahr hatten wir mehr als hundert Fälle", sagt Güth.

Bei ihm war der Einsatz bei der Loveparade 2010, bei der er einen Einsatzabschnitt geführt hat, der ausschlaggebende Punkt. "Jeder hat seine individuelle Geschichte, die dazu geführt hat, dass er oder sie jetzt bei uns mitwirkt. Ich bin nach der Loveparade vielen Kollegen begegnet, die durch das Unglück schwer belastet waren. Deshalb habe ich mich entschieden, beim PSU-Team einzusteigen. Um Kollegen zu helfen." Man mache die Arbeit aus Überzeugung, aus einer inneren Motivation - nicht, um die Karriere zu fördern, sagt Güth.

Zwölf Mitglieder zählt das Team derzeit - zehn Polizeibeamte und zwei Polizeiärzte. Es sei von Vorteil, dass die Gruppe aus Polizisten bestünde. Güth: "Ich persönlich habe den Eindruck, dass es den Kollegen leichter fällt, sich mit jemandem zu unterhalten, der selbst Polizist ist. Es ist ein Gespräch unter Kollegen - wir nennen es ja auch Kollegenhilfe. Man kann die Probleme aus eigenem Erleben besser nachvollziehen, sich besser in die Situation hineinversetzen und mit dem einen oder anderen Ratschlag unterstützen."

"Wir sind rund um die Uhr erreichbar"

Die Kollegen seien in der Situation häufig stark belastet, darum sei es für sie wichtig, dass ihnen jemand beisteht, sie berät, ihnen etwa Verwaltungsvorgänge und Abläufe erklärt und Transparenz herstellt.

Die Vorbereitung auf diese besondere Arbeit erfolgt zunächst in Form einer vierwöchigen Fortbildung bestehend aus vier Bausteinen. Es werden theoretische Grundlagen vermittelt und unter anderem in Rollenspielen angewendet. Nach Abschluss der Fortbildung werden die neuen Teammitglieder zertifiziert. Im Anschluss begleiten sie zunächst immer ein erfahrenes Teammitglied, um in die neue Aufgabe hineinzuwachsen. Erst später fährt man alleine zu Einsätzen. Regelmäßig werden Supervisionen durchgeführt. Auch gibt es jederzeit die Möglichkeit, sich untereinander über besonders schwierige Fälle auszutauschen und zu beraten.

Immer mehr nehmen laut Aussage des Polizeioberrates die Hilfe der PSU-Teams in Anspruch. Es habe ein Sinneswandel stattgefunden, sagt Güth. "Es wenden sich viele Kollegen an uns. Wir sind rund um die Uhr erreichbar." Viele Kontakte würden über Mundpropaganda erfolgen. "Wenn wir einmal in einer Behörde waren, kann es sein, dass wir aufgrund eines anderen Ereignisses wieder angefordert werden."

(RP)
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