Kommentar Wer braucht das?

Wesel · Die Stadt Wesel schenkt den Politikern nun ein zehn Euro teures Heft zum 200. Geburtstag des Rades. Das ist unnnötig.

Ohne Zweifel: Hübsch anzuschauen ist die neue Broschüre der Stadt Wesel zum Geburtstag "200 Jahre Fahrrad". Man lernt nach kurzem Studium einiges über die Geschichte des Fahrrads an sich, und doch haben wir uns am Ende gefragt: Warum gibt eine Stadtverwaltung Geld für so ein Heftchen aus? Gehört es zur kommunalen Daseinsvorsorge, dass die Stadtverwaltung ihren Bürgern eine Broschüre schenkt, in der Wesel allenfalls am Rande eine Rolle spielt?

22 Seiten dickes Hochglanzpapier, in bunt gedruckt, mit Wesel-Logo auf der Front. Doch mit Ausnahme von Seite 3, das Grußwort der Bürgermeisterin Ulrike Westkamp, und der Seite 20, mit einigen Zahlen zum Radverkehr in Wesel, ist es ein allgemeingültiges Werk geworden, das so auch in Erkenschwick, Bielefeld oder Bad Salzdetfurth erscheinen könnte.

Wir haben in dieser Woche die Weseler Bürgermeisterin angeschrieben und wollten den Druckpreis erfahren, auch die Höhe der investierten Arbeitsstunden. Die Antwort kam von Michael Blaess, Fahrradbeauftragter der Stadt Wesel. Ergebnis: 5000 Euro für 500 Exemplare der Hochglanzbroschüre. Zehn Euro kostet also jedes Exemplar. Man staunt.

Als Zielgruppe, so Blaess, fasse die Stadt die Entscheider dieser Stadt - also die Politiker - ins Auge. Doch wofür benötigen die Politiker das? Fraglich, ob die mit dem Erkenntnisgewinn, dass das Fahrrad in diesem Jahr 200 Jahre alt wird, die Frage der Radwegepflege in Wesel neu bewerten. Wahrscheinlich weiß ohnehin jeder Politiker längst, wie wichtig das Fahrrad für die Stadt und den gesamten Niederrhein ist.

Die Argumentation, dass die Stadt Wesel diese Kosten nicht in Gänze trägt, klingt logisch. Es fließen Fördergelder über die Arbeitsgemeinschaft fahrradfreundlicher Städte (AGFS) mit Sitz in Krefeld. Die wiederum ist aber steuerfinanziert. Und wenn argumentiert wird, dass das Heft nötig sei, weil jede Stadt verpflichtet sei, einen bestimmten Marketingaufwand als fahrradfreundliche Stadt zu betreiben, dann klingt das absurd. Natürlich ist Marketing wichtig. Aber dann doch bitte mit konkret lokalem Bezug. Mit 5000 Euro hätte man auch die eine oder andere direkte fahrradfreundliche Maßnahme ankurbeln können. Schließlich werden, so erfährt man im Grußwort der Bürgermeisterin, 28 Prozent aller Wege in Wesel mit dem Rad erledigt, das sind mehr als 59.000 Fahrten täglich. Die Bürgermeisterin schreibt ferner, dass die Broschüre auch eine Ermunterung an die Weseler sein soll, das Rad aus dem Keller zu holen, um - Zitat - "die schöne niederrheinische Landschaft zu genießen".

Noch einmal: Die Broschüre ist optisch und textlich gelungen. Wer gebündelt etwas zur Geschichte des Fahrrades erfahren will und gerade eine schlechte Internetverbindung hat, der kann hervorragend auf den 22-seitigen Schmöker zurückgreifen. Und vielleicht gibt es ja doch noch einen tieferen Sinn mit Wesel und dem Fahrradgeburtstag. Auf dem Cover ist nämlich Karl von Drais abgebildet, Wegbereiter des Rades. Bei manchem deshalb könnte der falsche Eindruck entstehen, dass Drais seine Erfindung in Wesel gemacht hat. Dann, ja dann hätte die Broschüre doch noch einen unfreiwilligen Marketingeffekt.

Ihre Meinung? Schreiben Sie an sebastian.peters@rheinische-post.de

(RP)
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