Stadt Kempen Auf der Bank die Seele baumeln lassen

Stadt Kempen · Wenn man die Tiefstraße in der Kempener Altstadt betritt, fallen sie sofort ins Auge: 22 Bänke in verschiedenen Größen und Farben, ganz privat vor die einzelnen Häuser gestellt. Es sind "Quatsch-Bänkskes" - Sitzgelegenheiten zum Gedankenaustausch.

 Schauplatz Tiefstraße: Greta und Pia Lamers auf ihrem "Bänkske". Hier lässt sich prächtig über alles Mögliche plauschen, gern bei einem kleinen Gläschen.

Schauplatz Tiefstraße: Greta und Pia Lamers auf ihrem "Bänkske". Hier lässt sich prächtig über alles Mögliche plauschen, gern bei einem kleinen Gläschen.

Foto: wolfgang kaiser

Auf der Bank vor dem Haus Nummer 26 sitzt gerade die 20-jährige Greta Lamers mit ihrer Mutter Pia. Zwischen ihnen, auf einem Tischchen, auf die Sitzfläche aufgebockt, steht ein Glas Weißwein. Im Mai 2003 ist Pia Lamers mit ihrem Mann Andreas und drei Kindern aus Essen in ihr Eigenheim nach Kempen gezogen. Aus der Ruhr-Metropole brachten sie eine türkisfarbene Bank mit, bemalt mit Marienkäfern, die in Essen im Garten stand. Die war die Vorgängerin der aktuellen Kempener Bank aus braun gebeiztem Naturholz. Damals standen nur fünf Bänke auf der Tiefstraße, die der Familie Lamers war die sechste. Das Beispiel machte Schule, und die Bänke vermehrten sich. Nicht nur auf der Tiefstraße, sondern in der ganzen Thomasstadt bestimmen heute Bänke als nachbarliche Plausch-Plätzchen mehr und mehr das Straßenbild.

"Damals hatte die Alte Schulstraße noch mehr Bänke als die Tiefstraße", erinnert sich Pia Lamers, "aber wir haben sie bald überholt." Vor allem am Wochenende, wenn das Wetter schön ist, versammeln sich hier die Nachbarn, erzählen dies und das, was ihnen gerade so einfällt. Aber die Bank mit der Hausnummer 26 diente nicht nur zum Quatschen, sondern auch als Halterung für Maibäume. Die bekamen die Lamers-Töchter Marie und Greta von ihren Verehrern gepflanzt. In der Mainacht stellten die Kavaliere die Bank auf den Kopf und steckten den Baum mit den bunten Flatter-Bändern zwischen die Sitzlatten. "Vor drei Jahren war der Baum so groß, dass er bis zum zweiten Stock reichte", erinnert Mutter Pia Lamers sich schmunzelnd.

Sechs Häuser weiter, in Nummer 32, wohnt Elke Härtel mit ihren Töchtern Pauline (15) und Lucie (13) zur Miete. Eingezogen sind die drei im Juli 2010. Drei Jahre später kaufte Elke Härtel ihre braun lasierte Bank. Warum? "Ich finde es herrlich, hier auf der historischen Straße zu sitzen, gute Gespräche zu führen und die Seele baumeln zu lassen", sagt sie.

Zum Beispiel zusammen mit zwei Nachbarinnen bei einem Gläschen, wie jetzt gerade. Sophia Schulze, Logopädin in Elternzeit, nippt an einem alkoholfreien Weizenbier. Die Dame, die neben ihr auf einem Stühlchen sitzt, Juristin und wohnhaft im Nebenhaus, schlürft einen Rosé. Solche Treffen finden hier häufig statt.

Wie ist die Banken-Tradition entstanden? "Ich war gerade in die Tiefstraße eingezogen", erzählt Logopädin Sophia, "als ich an einem wunderschönen Sommerabend von einem Freundestreff zurückkam und Frau Härtel mit einer Nachbarin hier sitzen sah. Ich setzte mich dazu. Wir holten diverse Weine, und ein herrlicher Quatschabend begann."

Aus der spontanen Bank-Besetzung entwickelte sich bald ein Ritual. Wenn der Sommerabend lau ist, versammeln sich spontan Anwohner auf und um die Bank, tragen Stühle herbei und Gläser in der Hand, bilden einen Halbkreis. So nach dem Motto: "Wo das Bänkchen steht, da lass dich ruhig nieder! Nette Nachbarn kommen immer wieder." Und erzählen.

Meist davon, was einen gerade so beschäftigt. "Zum Beispiel von unseren Hunden, vom Urlaub, oder was die Kinder so treiben", sagt Sophia Schulze. "Und ich erzähl von meinem Fußballverein", wirft Leandro (7) ein, der aus dem Haus gegenüber kommt. "Ich sprech' am liebsten vom Shoppen", ergänzt Lucie Härtel (13). "Zum Beispiel von den Anziehsachen, die ich gerade gekauft habe."

Kurz: Die 22 Tiefstraßen-Bänke sind Zeugnisse einer blühenden Nachbarschaft. Stützpunkte für Freizeit mit Freude sind sie und Abstellflächen für Gläser, mit "'en lecker Dröppke" gefüllt. Die Seele pustet durch. Von einer Banken-Krise kann in dieser Straßengemeinschaft keine Rede sein.

(RP)
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