Baudin führt zum Bauhaus-Jubiläum 2019 hin

Willich · Die Neue im Kaiser-Wilhelm-Museum: Wir sprachen mit Museumsleiterin Katia Baudin über ihre Sicht der Welt, der Kunst und Krefelds.

 "Es gibt zahlreiche Bedrohungen und die Neigung, sich gegen die Ansätze und Utopien der Moderne zu verschließen." Katia Baudin im Interview mit RP-Redakteurin Petra Diederichs.

"Es gibt zahlreiche Bedrohungen und die Neigung, sich gegen die Ansätze und Utopien der Moderne zu verschließen." Katia Baudin im Interview mit RP-Redakteurin Petra Diederichs.

Foto: Thomas Lammertz

Für Stolz ist es noch zu früh, aber: Wie sehen Sie die Museen nach den ersten Monaten als Leiterin?

Baudin Mit ihren drei Spielstätten - das frisch sanierte "Mutterschiff" Kaiser-Wilhelm-Museum und die "Satelliten" Haus Lange und Haus Esters - sind die Kunstmuseen Krefeld wirklich einzigartig in der deutschen Museumslandschaft. Es sind inspirierende Orte, sowohl für Künstler wie für uns Kuratoren. Vom Thorn-Prikker-Saal im KWM bis zu Yves Kleins "le Vide"-Raum in Haus Lange wurde das Site-spezifische Arbeiten hier ja praktisch erfunden. Die spannende und vielschichtige Sammlung ermöglicht viele Ansätze, nicht nur in der bildenden, sondern auch in der angewandten Kunst. Das beweist auch die neue Sammlungspräsentation im KWM. Spitzenwerke und -Ensembles von Henry van der Velde und Peter Behrens haben wir dem Gründungsdirektor Friedrich Deneken zu verdanken. Er hat die großen Künstler und Architekten seiner Epoche nach Krefeld geholt. Diesen ursprünglichen Geist, das Museum als Plattform zwischen Künstlern/Designern und Gesellschaft/Alltag experimentierfreudig und interdisziplinarisch zu positionieren, wollen wir reaktivieren und neu untersuchen - sowohl aus historischer wie aus zeitgenössischer Perspektive. So werden wir in 2018 zum Beispiel das Jubiläum von Peter Behrens zum Anlass nehmen, diesen interdisziplinarischen Sammlungsteil neu zu erforschen und hervorzuheben.

Bedeutet das, das Kaiser Wilhelm Museum soll künftig auch ein Ort für Retrospektive werden?

Baudin Das sanierte KWM entspricht nun den konservatorischen Normen, so dass wir in der Tat die Möglichkeit haben, internationale Leihgaben zu sichern für Sonderausstellungen. Auch die Besucher erwarten mit Recht, dass es nun im KWM Programm gibt. Zeitgenössische Kunst wird hier eine wichtige Plattform haben, aber auch Design und angewandte Kunst, auch die klassische Moderne und andere Epochen und Bereiche, die sich in der Sammlung oder der Identität der Kunstmuseen beziehungsweise des Krefelder Kontexts widerspiegeln. Dazu gehören sowohl thematische wie auch monografische Ausstellungen, inklusive Retrospektiven, und ein neues Format, das ab 2018 die Sammlung in Interaktion mit Künstlern neu beleuchtet.

Wie wollen Sie Zeitgeist und aktuelle Bewegungen in der Kunst mit Historie kombinieren?

Baudin Es ist unser Ziel, neue Dialoge zu schaffen - zwischen Museum und Bürger, Künstler und Museum, Künstler und Gesellschaft, zwischen Angewandter und Bildender Kunst, zwischen Epochen und Disziplinen. Das Museum sehen wir als Plattform, als Katalysator für neue Arbeiten, neue Dialoge, neue Ansätze für die Sammlung und für unsere gesellschaftliche Rolle und Wirkung. Die zweiteilige Ausstellung, die ich im Herbst in Haus Lange und Haus Esters kuratiere auf dem Ping-Pong Prinzip des Dialogs, ist ein gutes Beispiel. Es handelt sich um jeweils eine historische und eine zeitgenössische Position, die unter dem Motto "Ideologie, Abstraktion und Architektur" einen neuen Blick auf das Erbe des Bauhauses im ideologischen Kontext des ehemaligen Ostblocks der Nachkriegszeit wirft. In Haus Lange liegt der Fokus auf Exat 51, einer Vereinigung von Künstlern und Architekten, die eine Synthese der Künste anstrebten durch die gegenstandslose Kunst im sozialistischen Jugoslawien. In Haus Esters realisiert Jasmina Cibic, eine zeitgenössische Künstlerin aus Slowenien, eine Installation im Geiste des Gesamtkunstwerkes, das sich mit dem Erbe von Exat 51 wie von Mies van der Rohe und der Verwicklung von Architektur und Machtstrukturen kritisch auseinandersetzt.

Da kommt das Bauhaus-Jubiläum 2019 für Sie passend. Haben Sie dafür schon Pläne?

Baudin Das Programm der nächsten zwei Jahre führt uns tatsächlich progressiv zum Bauhaus-Jubiläum. Die Spannung steigt bis 2019. Erst werden die zwei Villen von Mies van der Rohe saniert - sie bleiben in 2018 dadurch geschlossen. Dann gibt es den Big Bang mit Bauhaus in allen drei Spielstätten der Kunstmuseen, das ganz Jahr hindurch: historische Ausstellungen zum Thema im KWM, zeitgenössische Betrachtungen in Haus Lange und Haus Esters. Alles mit einem experimentierfreudigen, interdisziplinarischen Geist. Es werden gesellschaftliche und gesellschaftspolitische Fragen zur Rolle der Kunst gestellt. Das ist nun alles in der Mache, dazu berichte ich im Herbst gerne mehr.

Die derzeit laufende Ausstellung in Haus Lange, die den Brexit aufgreift, behandelt mit Mitteln der Kunst die Gegenwart. Aber oft ist zeitgenössische Kunst auch eine Enklave für Schöngeist oder auf medialen Rummel gerichtet. Wie politisch ist Kunst heute?

Baudin Wir befinden uns leider heute in einer Zeit, in der die so genannten first world countries, die für Freiheit und Menschenrechte stehen, in einer Identitätskrise stecken. Es gibt zahlreiche Bedrohungen und die Neigung, sich gegen die Ansätze und Utopien der Moderne - der großen Öffnung - zu verschließen. Wir sind in einer Krisenzeit - ähnlich wie in der Weimarer Republik. Das ist für Künstler immer auch eine inspirierende Zeit, die sehr dynamische künstlerische Prozesse in Gang setzen kann. Otto Dix, zu dem ich schwerpunktmäßig gearbeitet habe, hat damals mit seinen Bildern und seiner schonungslosen Haltung schockiert. Aber er hat den Blick für die Realität geöffnet. Diese Rolle kann Kunst eben auch spielen. Künstler erkennen Phänomene oft sehr früh, noch bevor sie eine breitere gesellschaftliche Wahrnehmung haben. Ein Beispiel ist Reality TV. Schon in den 1990er Jahren, als das gerade anfing, haben bildende Künstler die Frage nach privatem und öffentlichem Raum gestellt und Besucher einbezogen. Das ist auch der Fall bei Elmgreen & Dragset in Haus Lange - wo es nicht nur um Brexit, aber auch um Flüchtlinge, Privatisierung des öffentlichen Raums (und umgekehrt), und um Fake News geht. Auch die nachfolgenden Ausstellungen in den Villen von Exat 51 und Jasmina Cibic zum Thema "Ideologie, Abstraktion und Architektur" sind im aktuellen Licht zu betrachten. Wo sich beispielsweise in Polen heutzutage die Politik gegen die Avantgarde positioniert und die traditionelle Folklore zur Staatskultur erhebt, hatte Tito vor 70 Jahren die Avantgarde benutzt, um eine eigene, nationale Identität zu kreieren für das sozialistische Jugoslawien - ein heterogenes Konglomerat verschiedener Kulturen und Religionen. Es ist auch unsere Aufgabe als Museum, eine Plattform zu bieten, und durch die Künste andere Blicke auf unsere Gesellschaft, ihre Vergangenheit und Zukunftsperspektiven, zu erhalten. Der Blick der Künstler kann unseren Blick erweitern. Man muss mit Kunst nicht immer einverstanden sein, aber sie kann uns zum Denken bringen.

Das KWM hat nach seiner Eröffnung überregional Aufsehen erregt und konnte Besucherrekorde melden. Hält die Lust aufs neue Haus an?

Baudin Lokal auf jeden Fall. Um die Attraktivität national und international zu festigen, braucht es Zeit, da das KWM weniger bekannt ist. Denn schließlich waren eher Haus Lange und Haus Esters seit Jahrzehnten die Zugpferde - da es dort Programm gab. Im KWM war das vor der Sanierung wegen des schlechten Zustands des Baus aus konservatorischer Sicht nicht möglich. Nun ändert sich alles. Wir werden das KWM als Hauptsitz der Kunstmuseen aktiv bespielen mit Sammlungsumhängungen und Sonderausstellungen sowie vielfältigen Besucherprogrammen und neuen Formaten. So gibt es immer wieder den Anreiz, das KWM zu besuchen..

Sie haben sich auch für eine Abendöffnung eingesetzt, für den langen Donnerstag.

Baudin Ja, im Mai ging es mit "Kunst im Puls" los - das soll der Renner werden! Jeden ersten Donnerstagabend im Monat, wird es ein Sonderprogramm bei den Kunstmuseen geben. Ausgangspunkt ist jedes Mal ein anderes Thema, das durch verschiedene Angebote von Musik und Poetry Slam bis zum Cocktail und zum Tanz beleuchtet wird, um neue, unerwartete Begegnungen mit der Kunst zu aktivieren. Das soll im Juli in den Gärten von Haus Lange und Haus Esters weitergeführt werden. Im Thorn-Prikker-Saal werden wir mit Unterstützung der Freunde der Kunstmuseen eine neue wissenschaftliche Vortragsreihe einführen, die an die historischen "Wintervortragsreihe" der Wember- Zeit andockt, in Zusammenhang mit dem Ausstellungsprogramm.

Sie haben zum Amtsantritt einen erheblich aufgestockten Ausstellungsetat, weil das KWM wieder bespielt wird, und einen Ankaufsetat, den Ihr Vorgänger Martin Hentschel als auskömmlich bezeichnet hat. Wie werden Sie ihn nutzen?

Baudin Von der Stadt erhalten wir jährlich 50.000 Euro für Ankäufe. Dieser Etat reicht natürlich nicht aus, um alle unsere Wünsche zu erfüllen - aber es ist ein guter und wichtiger Beitrag. Dazu kommt das bürgerliche Engagement, das seit Beginn von zentraler Bedeutung für die Kunstmuseen ist. So tätigen unsere Museumsfreunde wie auch die Ebers-Stiftung Ankäufe für die Sammlung. Da es mir wichtig ist, zentrale Arbeiten zu erwerben, werden wir manchmal auch nach weiteren Mitteln suchen müssen. Das ist uns vor kurzem gelungen mit dem Erwerb von Eva Kot'átkovás zentraler Puppentheater-Installation aus ihrer Ausstellung in Haus Esters, welche die Museumsfreunde für uns erwerben konnten dank der zusätzlichen Unterstützung des Landes NRW. Ohne neue Zugänge verwandelt sich ein Museum in ein Mausoleum. Eine Sammlung muss lebendig bleiben; sie spiegelt die Ausstellungsgeschichte eines Museums, das Verhältnis zu Künstlern, zu Sammlern. Sie reflektiert den Zeitblick auf die Kunst von heute und ihre historische Verankerung auch innerhalb der Sammlung. Es wird eine enge Verknüpfung zwischen Ausstellungsprogramm und Sammlung geben. Wir werden die Krefelder Tradition fortführen, Werke zu erwerben, die hier vor Ort entstanden sind, bzw. von Künstlern und Designern, die wir ausstellen. Auch wenn der Fokus weiterhin auf zeitgenössischer Kunst liegen wird, spielt nun auch Design eine Rolle. Weiterhin werden wir gezielte Erwerbungen in historischen Bereichen tätigen, die das Alleinstellungsmerkmal der Sammlung stärken und weiter profilieren. Dabei werden nicht nur Ankäufe, sondern auch Schenkungen weiterhin für uns wichtig sein. Die neueste Schenkung ist ein wunderbares Bild des verstorbenen Düsseldorfer Künstlers Rotar, das Wember mal ausgestellt hatte, und nun seine endgültige Heimat hier findet. Wir sind der Witwe des Künstlers sehr dankbar für ihre Großzügigkeit und ihr Interesse an unserem Haus. In den nächsten Tagen kommt ein wichtiges Konvolut zeitgenössischen Designs ins Haus: eine großzügige Schenkung des französischen Designherstellers Domeau & Peres, die perfekt an unsere historische Möbelsammlung andockt. Das französische Duo führt die handwerkliche Tradition der "Campagnons du devoir" ins 21. Jahrhundert fort; wir bekommen dadurch visionäre Projekte der Bouroullec-Brüder, von Matali Crasset, Christoph Pillet, Michael Young ... .

Es gab ein langes Ringen um das Museumsdepot. Reicht der Platz jetzt für große neue Anschaffungen?

Baudin Seit der Sanierung des KWM haben die Kunstmuseen nicht nur ein Depot vor Ort, das allen konservatorischen Maßnahmen entspricht, sondern wir haben sogar ein zusätzliches Depot gewonnen. Das Depot in Uerdingen, wo die Werke während der Sanierungsarbeiten untergebracht waren, ist zum Zentraldepot der drei Krefelder Museen geworden. Nichtsdestotrotz werden wir künftig sicherlich wieder an unsere Kapazitätsgrenzen stoßen, denn die Sammlung soll ja weiterhin wachsen. Da darf es nicht darum gehen, ob wir Platz haben. Der Platz muss dann geschaffen werden.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort