Stadt Willich Buch gibt Menschen ihre Identität wieder

Stadt Willich · Bernd-Dieter Röhrscheid und Udo Holzenthal stellten gestern im Neersener Schloss ihr Buch "Die Geschichte der Juden in Willich" vor. Etwa fünf Jahre lang haben sie an dem rund 270 Seiten starken Werk gearbeitet.

 Gestern stelltenUdo Holzenthal (v. l.), Bernd-Dieter Röhrscheid und Thomas Ullrich ihr Buch vor. Viele Gäste waren dazu ins Schloss Neersen gekommen. Darunter viele Mitglieder der Heimatfreunde, Sponsoren, Seelsorger, Ehrenringträger und einige Angehörige der einst in Schiefbahn lebenden Juden, so unter anderem die 92-jährige Maria Kaufmann aus Bag Godesberg.

Gestern stelltenUdo Holzenthal (v. l.), Bernd-Dieter Röhrscheid und Thomas Ullrich ihr Buch vor. Viele Gäste waren dazu ins Schloss Neersen gekommen. Darunter viele Mitglieder der Heimatfreunde, Sponsoren, Seelsorger, Ehrenringträger und einige Angehörige der einst in Schiefbahn lebenden Juden, so unter anderem die 92-jährige Maria Kaufmann aus Bag Godesberg.

Foto: Kaiser

"Spurensuche" hieß bereits 1988 ein Unterrichtsthema, durch das Gymnasiasten des St.-Bernhard-Gymnasiums die unfassbaren Ereignisse des Holocaust begreifen und aufarbeiten wollten. "Tot ist nur, wer vergessen wird" steht auf vielen jüdischen Grabsteinen geschrieben. Und es wurde auch nach 1988 durch weiteres Nachhaken, durch Ausstellungen sowie durch größere und kleinere Mahnmale - etwa durch bislang 65 Stolpersteine - der einst in den Alt-Gemeinden lebenden Juden gedacht. Jener, die in Konzentrationslagern getötet wurden und jener, denen die Flucht gelang. Gestern nun wurde im Neersener Schloss ein Gesamtwerk präsentiert. 140 Gäste kamen. Bernd-Dieter Röhrscheid (69) und Udo Holzenthal (49) stellten ihr Buch "Die Geschichte der Juden in Willich" vor.

Etwa fünf Jahre lang haben die beiden Autoren daran gearbeitet und viel Zeit in Gedenkstätten und Archiven zugebracht. Außerdem nahmen die Beiden Kontakt mit Angehörigen in aller Welt auf, die nach anfänglicher Skepsis und Zurückhaltung berichteten, Fotos schickten und sogar nach Willich kamen. Jetzt ist auf über 270 Seiten eine abschließende und ausführliche Dokumentation entstanden, in der sich annähernd tausend kurze oder längere Biografien wiederfinden, 27 Stammbäume erklärt werden und auf rund 320 Bildern vor allem gezeigt wird, wie viele jüdische Familien von 1700 an in Willich lebten, ehe die Nationalsozialisten mit ihren grausamen "Säuberungsaktionen" begannen.

Es war, als die beiden Autoren gestern über ihre Sisyphusarbeit berichteten, und Erschütterndes aus einigen Lebensläufen lasen, alles andere als eine "bekömmliche Kost". So erinnerte sich die Zeitzeugin Erna Valk daran, wie sie 1942 mit dem damals vierjährigen Bruno Schönewald, dessen Eltern Otto und Klara Schönewald und seiner Großmutter, die allesamt in Schiefbahn wohnten, nach Riga ins Ghetto kamen. Und besonders erinnerte sie sich an einen Appell der Nazis im Jahr 1944, bei dem die über 50-Jährigen und alle Kinder bis 14 Jahre aus dem Ghetto "aussortiert" werden sollten. Erna Valk berichtete: "Die Eltern fanden vor diesen Appellen die unmöglichsten Verstecke. So vergrub der Schiefbahner Otto Schönewald sein Söhnchen Bruno im nahen Wald in der Erde. Aber nachdem für das Kind zehn Juden erschossen werden sollten, holte er es aus dem Versteck hervor und ging mit Frau und Kind in den Tod." Bruno starb im Alter von sechs Jahren.

Für die Familie Schönewald waren schon im Dezember 2012 Stolpersteine vor dem Haus Königsstraße 9 in Schiefbahn (heute Königsheide 14) verlegt worden. Weitere Stolpersteine, etwa neun, sollen im Dezember in Schiefbahn, Anrath und Neersen verlegt werden.

Farblich gekennzeichnet, wird auf den Seiten an die Geschichte vieler Juden in allen vier Willicher Stadtteilen erinnert. So in Willich unter anderem an die Lions, in Anrath an die Servos und Grünewalds, in Schiefbahn an die Kaufmanns, Wallachs und Rübstecks oder in Neersen an die Salmons und Sterns.

Die Autoren dankten bei der Präsentation allen, die am Gesamtwerk beteiligt waren. Angefangen beim Schiefbahner Lokalhistoriker Dr. Ludwig Hügen bis zum Schiefbahner Bürgermeister und späteren Stadtdirektor von Willich, Dr. Hans Lamers. Lamers war damals Richter am "Wiedergutmachungs-Gericht" in Krefeld, das unter anderen über die Höhe der Entschädigungen für die Familien der Opfer entschied.

Was die beiden Autoren mit dem Werk erreichen wollen: "Die Stolpersteine vor den vielen Häusern, in denen die jüdischen Menschen zuletzt freiwillig gelebt hatten, haben ihnen ihren Namen wiedergegeben. Die dokumentierenden Texte in diesem Buch geben ihnen ihr Identität, und da, wo Bilder vorhanden sind, jetzt auch ihre Gesichter wieder." Zur gestrigen Präsentation erschienen unter anderem die Sponsoren, Ratsmitglieder, Stolperstein-Paten, Zeitzeugen und mit George van Praag und der Familie Conzen auch Nachkommen der jüdischen Familien Rübsteck und Kaufmann.

(wsc)
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