Stadt Kempen Das Harmonium gehörte zur Hausmusik

Stadt Kempen · Das Klavier hat es heute längst verdrängt. Doch um 1900 wurden doppelt so viele Harmonien verkauft wie Klaviere. In Salon- und Hausmusik gehörte es zum guten bürgerlichen Ton. Auch das Kramer-Museum besitzt ein Harmonium.

 Helga Klein an "ihrem" Harmonium, das im Städtischen Kramer-Museum eine neue Bleibe gefunden hat. Darüber freut sich Kulturamtsleiterin Dr. Elisabeth Friese, bis jetzt konnte aber noch kein Geld für die Restaurierung des Instrumentes gesammelt werden.

Helga Klein an "ihrem" Harmonium, das im Städtischen Kramer-Museum eine neue Bleibe gefunden hat. Darüber freut sich Kulturamtsleiterin Dr. Elisabeth Friese, bis jetzt konnte aber noch kein Geld für die Restaurierung des Instrumentes gesammelt werden.

Foto: WOLFGANG KAISER

Als Helga Klein, Kempenerin aus St. Hubert, im Jahre 2015 dem Städtischen Kramer-Museum ein Harmonium stiftete, musste Dr. Elisabeth Friese nicht lange überlegen, wo es am besten hinpasst. Zu Recht entschied sich die Museumsleiterin für den Uhrensalon in der Abteilung bürgerliches Wohnen.

Das mag manchem nicht auf Anhieb einleuchten. Gehört ein Harmonium nicht in ein Sakralmuseum? Schließlich kennt doch jeder aus eigener Anschauung - oder aus Filmen - kleine Kirchen und Kapellen, die sich aus Raum- oder Geldmangel keine Orgel leisten können und deshalb ersatzweise ein Harmonium einsetzen. Unsere niederländischen Nachbarn, die offiziell "het harmonium" schreiben, benutzen gern humorvolle Bezeichnungen wie "psalmenpomp", "Hallelujah-commode" oder auch "gereformeerde hometrainer". So witzig solche Bezeichnungen auch klingen: sie weisen eindeutig auf einen kirchlichen Bezug hin.

Aber darüber hinaus hatte das Harmonium früher einen festen Platz in der bürgerlichen Hausmusik. Festgesetzt hat sich das Klischee der Klavier spielenden höheren Tochter. Dabei wurden um 1900 doppelt so viele Harmonien wie Klaviere verkauft. Ein Harmonium eignet sich, wie ein Klavier, gleich gut zum Einzel- wie zum Zusammenspiel mit anderen Instrumenten. Auch die um dieselbe Zeit überall entstehenden Salonorchester setzten gern Harmonien ein. Das war nicht unbedingt notwendig, aber es machte bei der relativ kleinen Besetzung von etwa sieben bis zehn Instrumentalisten den Klang fülliger. Jedenfalls gehörte eine Harmoniumstimme bis in die 1920er Jahre hinein grundsätzlich zur Notenausstattung der Salonorchester-Arrangements. Sänger mit Harmonium zu begleiten war genau so selbstverständlich wie mit einem Klavier.

Wenn Johann Strauß seine Walzer komponierte, setzte er sich nicht ans Klavier, sondern ans Harmonium. Bach, Mozart oder Beethoven hätten das noch nicht gekonnt, denn das Harmonium wurde erst nach ihren Lebzeiten erfunden. 1842 erhielt der französische Klavier- und Orgelbauer Alexandre Debain das Patent für seine Erfindung des Harmoniums. Von Frankreich aus fand das "Zungeninstrument" dann schnell Verbreitung in Europa und in Übersee.

Johann Strauß und seine Liebe zum Harmonium: sie sollte sich noch bei späteren Bearbeitern fortsetzen, die nicht jeder auf Anhieb als Strauß-Fans einordnen würde. Die Zwölftöner Arnold Schönberg, Alban Berg und Anton Webern transkribierten nicht nur Strauß-Walzer für die Besetzung Streichquartett, Klavier und Harmonium. Sie spielten mit großer Freude die Walzer auch selbst, wobei Schönberg die erste Geige und Berg das Harmonium spielte.

Als Ersatzinstrument für Klavier oder Orgel hat das Harmonium heute ausgedient, diese Funktion hat das leichter zu transportierende Keyboard übernommen. Aber als eigenständiges historisches Instrument hat es seinen Reiz nicht verloren. Der ursprüngliche Gedanke, das von Helga Klein gestiftete Instrument, das 1910 von der Firma Mannborg aus Leipzig hergestellt wurde, zu restaurieren und eines Tages im Kramermuseum Konzerte darauf zu spielen, sollte nicht in Vergessenheit geraten. Zwar hält sich die Zahl der Original-Kompositionen für Harmonium in Grenzen. Aber Klaviernoten sind ohne Weiteres verwendbar. Bis jetzt scheiterte dieses Projekt am Geld. Der Versuch, Spenden aufzutreiben oder einen Sponsor zu finden, sollte aber nicht aufgegeben werden.

(-tr)
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