Serie Vor 784 Jahren Eine Straße und ihre Geschichte

Willich · Die Besiedlung des Kempener Stadtgebietes geht von einem erzbischöflichen Hof aus, der bereits um 1000 nach Christus im Dreieck Oelstraße/Hessenwall/Ellenstraße lag. Um 1150 ist das Gebiet zwischen Ellenstraße, Studentenacker, Umstraße und Peterstraße mit Häusern besetzt. Eine Vergrößerung nach Norden tritt ein, als um 1200 am nördlichen Siedlungsrand eine eigene Kirche gebaut wird: die Vorgängerin der heutigen Propsteikirche.

 Die Kuhstraße 1938: Das Fachwerkhaus am linken Bildrand, die einstige Brauerei Schmitz, wurde am 10. Februar 1945 durch Bomben zerstört.

Die Kuhstraße 1938: Das Fachwerkhaus am linken Bildrand, die einstige Brauerei Schmitz, wurde am 10. Februar 1945 durch Bomben zerstört.

Foto: Kreisarchiv

KEMPEN Durch den Bau der Kirche wird das Dorf zum regelmäßigen Treffpunkt der umliegenden Landbewohner. Das wiederum führt zur Ansiedlung von Handwerkern und Gewerbetreibenden, der Keimzelle des späteren Marktes. Aber jetzt wird die Dorfweide knapp, und die umwohnenden Bauern lassen keinen Dorfbewohner auf ihre Wiesen. Da erbarmt sich Kempens Landesherr; der Kölner Erzbischof Heinrich von Molenark, "seiner" Kempener. Am 23. Mai 1233 erlaubt er ihnen die Viehtrift auf der Straße, die nach Norden aus dem Ort hinausführt, zu seinen Weiden beim heutigen Maashof in Schmalbroich-Wall.

Mit dem Viehauftrieb zu den saftigen Bruchwiesen im Norden der Stadt war Kempens Fleischversorgung gerettet - und zum ersten Mal erfahren wir von dem Weg, der später den Namen "Viehstraße" trug und heute noch "Kuhstraße" heißt. Die Urkunde, die Erzbischof Heinrich von Molenark vor 784 Jahren aus Mitleid mit den Bewohnern seines Dörfchens Kempene ausstellte, ist die älteste im Kempener Stadtarchiv und im Kreisarchiv überhaupt. In drei Jahren, wenn das Kreisarchiv die Burg verlässt, wird das wichtige Dokument in den Archivneubau nach Dülken wandern.

 Haus Horten, das heute die Sparkasse beherbergt, um 1900.

Haus Horten, das heute die Sparkasse beherbergt, um 1900.

Foto: Nachlass Karl Wolters

Was bleibt, ist die Erinnerung an die uralte Geschichte einer der vier Hauptstraßen Kempens. Die wird am schönsten verkörpert im Wahrzeichen der Straße, dem Kuhtor, um 1370 erbaut. Von den vier Kempener Stadttoren ist es das letzte, das noch steht. Ursprünglich hieß es St. Nikolaus-Tor. Denn hier ging's hinaus zur St. Niklas-Kapelle, die an der Schloot stand. Dort befand sich der Schlagbaum in der Kempener Landwehr, der aus Erdwällen und Gräben bestehenden Grenzbefestigung, gegen Geldern.

Kuhstraßen-Häuser haben Geschichte gemacht. Vor allem das Haus Nr. 15. Es hieß noch Hotel Duckweiler, als am 8. November 1882 in seinem großen Saal unter dem Freiherrn Felix von Loë (sein Denkmal steht auf der Burgwiese) der Rheinische Bauernverein gegründet wurde. Es hieß schon Kempener Hof, als in ihm in der letzten freien Stadtratssitzung am 20. April 1933 Adolf Hitler und Paul von Hindenburg zu Ehrenbürgern Kempens ernannt wurden. Etwas abgesetzt vom Hotel Johann Duckweilers lag dessen Schuppen (heute: tetra bau). Der wurde zum Gründungsort der VTK, der Vereinigten Turnerschaft Kempen. Als der französische Kaiser Napoleon III. die Annexion des linken Niederrhein ins Visier nahm, trafen sich hier am 15. August 1859 16 aufgebrachte Kempener zu einer ersten Körperertüchtigung, aber auch - das war ihnen genauso wichtig - zum politischen Austausch. Turnen galt damals als Ausdruck wehrhafter Vaterlandsliebe. Patrioten also, die Körper und Geist stählen wollten zur "Wacht am Rhein". Daraus wurde Kempens größter Turnverein.

 Das baufällige Haus Pielen 1977, zwei Jahre vor dem Umzug zur Neustraße, wo es heute als "Et Kemp'sche Huus" steht.

Das baufällige Haus Pielen 1977, zwei Jahre vor dem Umzug zur Neustraße, wo es heute als "Et Kemp'sche Huus" steht.

Foto: Hella Furtwängler

Unbestrittenes Glanzstück der Kuhstraße ist Haus Horten, Stammsitz der späteren Warenhaus-Dynastie. Das heutige Sparkassengebäude wurde 1773 von dem Kaufmann Heinrich Horten und seiner Ehefrau Margaretha Bücker errichtet; ihre Initialen zieren noch das Schmiedeeisen des Oberlichts über den Türstürzen. Unter dem geräumigen Mansardendach (heute noch mit Kran auf der Hofseite) wurden Handelswaren gelagert - meist Lebensmittelprodukte - die bis nach Köln und in die Niederlande verkauft wurden. Nach Heinrich Hortens Tod 1779 erweiterte sein Sohn Josef Johannes das Geschäft zum Großhandel, vor allem durch Eisenprodukte aus dem Bergischen Land. 1784 fügte er drei weitere Fensterachsen an das Haus seiner Eltern.

Dem Horten-Patrizierhaus gegenüber lag an der Kuhstraße 7, wo heute die Wambrechiesstraße mündet, Haus Pielen, ein Fachwerkbau aus dem 17. Jahrhundert und Teil des Bauernhofs der Familie Pielen. Es verfiel und schien dem Untergang geweiht. Aber 1979 versetzte der Bauunternehmer Hans Heckmann die zerlegte Holzkonstruktion des Hauses mit einzeln nummerierten Balken an die Neustraße - auf ein Grundstück, das er von der Stadt aus der Maria-Basels-Altenheimstiftung erworben hatte. Auflage zum Kauf war die Neuerrichtung von Haus Pielen. Hier wurde 1980 das Restaurant eröffnet, das dem alten Haus seinen neuen Namen gab: "Et Kemp'sche Huus". - Es muss nicht immer Abbruch sein.

In der nächsten Folge: Das Hospital zum Heiligen Geist - eine der ältesten Hospitalsstiftungen Deutschlands.

(RP)
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