Stadt Kempen Gesang und Begleitung in Vollendung

Stadt Kempen · Franz Schuberts "Winterreise" war dank des jungen Tenors Julian Prégardien und des Pianisten Gerhard Oppitz in einem außergewöhnlichen Konzert in der ausverkauften Paterskirche zu hören.

Kann ein Sänger im Alter von knapp 32 Jahren, auch wenn er eine exzellente Ausbildung genossen und bereits internationale Meriten vorzuweisen hat, den schwierigsten Zyklus des klassischen Liedgutes - Franz Schubert "Winterreise" - gültig gestalten? Das mag sich mancher Besucher im Vorfeld des Liederabends mit Julian Prégardien und Gerhard Oppitz in der ausverkauften Paterskirche gefragt haben.

Bereits das erste Lied "Fremd bin ich eingezogen", dessen vier Strophen der Interpret in ungewohnter Langsamkeit, aber voller changierender Farben und nicht nachlassender Spannung wie einen Prolog zelebrierte, machte dem atemlos lauschenden Publikum bewusst, dass jegliche Zweifel überflüssig waren und ein ganz außergewöhnlicher Genuss bevorstand.

Schubert schrieb die ersten zwölf der insgesamt 24 Lieder im Jahre 1827, die Übrigen ein Jahr später - am Ende dieses Jahres starb er. Sicherlich ist seine eigene Befindlichkeit in die Kompositionen mit eingeflossen - seine Freunde lud er "zum Vortrag schauerlicher Lieder" ein, "die Euch erst später gefallen werden". Mit sparsamen Bewegungen, nur der Mimik und dem Farbenreichtum seines vom Pianissimo bis zum extremen Forte ebenmäßigen Tenors vertrauend, durchmaß Prégardien die wechselnden Stimmungen eines meist unglücklichen Menschen, der mit der Welt und mit seinem Schicksal hadert - schließlich dem Tod ins Auge sehen muss. Der junge Sänger erschien während der Vorträge zu altern - so sehr identifizierte er sich mit dem Text und der Musik, die in diesen Liedern auf so großartige Weise eins werden. Der düsteren Grundstimmung des Zyklus (beispielsweise "Ich such im Schnee vergebens nach ihrer Tritte Spur") wusste der Tenor die nötige Fahlheit zu geben, wohingegen er so mancher romantischen, auch schwelgerischen Wendung genussvoll nachspürte ("Ich träumte von bunten Blumen"). Auch stimmliche Ausbrüche ("Der stürmische Morgen") scheute der Sänger nicht, selbst wenn nach der wilden Expressivität das nächste Piano nicht ganz so geschmeidig gelang. Mit dem schon fast erstarrten "Leiermann" nahmen die "schauerlichen Lieder" ihr erschütterndes Ende, und das Auditorium wartete zum Glück noch ein paar Sekunden bis zum begeisterten Applaus.

All das wäre unmöglich gewesen ohne einen Pianisten der Spitzenklasse. Mit Gerhard Oppitz war eine ausgezeichnete Wahl getroffen. Der erfahrene Solist und Liedbegleiter, dessen internationale Karriere 1977 mit dem Gewinn des Arthur-Rubinstein-Preises begann (Oppitz war der erste deutsche Preisträger, und der greise Arthur Rubinstein saß in der Jury) kennt "seine" Winterreise offenbar bestens und spielt - bei aller bewundernswerten spieltechnischen Brillanz - ganz unauffällig und zurückgenommen. Er bereitet mit größtem Einfühlungsvermögen - vor allem den Mittelstimmen das ihnen gebührende Gewicht gebend - einen flexiblen, ganz auf die vokalen Linien ausgerichteten Klangteppich, der für jeden Sänger ein Geschenk sein muss. Dieser Pianist strömt darüber hinaus eine ganz besondere Ruhe aus - lässt sich Zeit, wenn er die Noten umblättert und sorgt durch diese Ausgeglichenheit mit dafür, dass jegliche Hektik vermieden wird. Als es zum Schluss niemanden in der Paterskirche mehr auf seinem Stuhl hielt und der Beifall immer mehr anschwoll, nahm der erfahrene Künstler seinen jungen Kollegen in den Arm und gratulierte ihm herzlich. Eine noble Geste, die Julian Prégardien sicher nicht vergessen wird.

(RP)
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