Willich Ich war Schwester Mary Robert

Willich · Unsere Mitarbeiterin Julia Schleier aus Mülhausen berichtet, wie sie einst über die Liebfrauenschule zum Schülertheater kam und eine Hauptrolle in dem Stück "Sister Act" übernahm. Es geht um Selbstüberwindung und Selbstfindung.

 Szenenbild aus "Sister Act"mit Julia Schleier im Vordergrund rechts. Die Aufführung war vom Jugendtheater Grefrath.

Szenenbild aus "Sister Act"mit Julia Schleier im Vordergrund rechts. Die Aufführung war vom Jugendtheater Grefrath.

Foto: Juschl

Das Eintreten in eine Theatergruppe ist nichts, was man einfach mal so macht, und das Vorsingen vor einem Gesangslehrer ist auch nicht alltäglich. Vor Kurzem haben wir fünf Schultheatergruppen aus Krefeld vorgestellt, die von ihren Theater-Erfahrungen berichtet haben. Heute erzähle ich meine ganz persönliche Theater-Geschichte.

Die letzte Rolle, die ich gespielt habe, war Schwester Mary Robert, in einer Produktion, die an den Erfolgsfilm Sister Act mit Whoopi Goldberg angelehnt war. Wer die Geschichte kennt, weiß, dass die Novizin als Findelkind ins Kloster gekommen und dort aufgezogen worden ist. Sie hält sich stets im Hintergrund, wirkt unsicher und verloren. Erst als die Soulsängerin Deloris auftaucht, fängt sie an, sich ihrer Identität bewusst zu werden, und macht sich Gedanken über das Leben auf der anderen Seite der Kloster-Mauern.

 . . . und in Zivil. Sie ist 19 Jahre alt und erwägt, Theaterwissenschaften zu studieren.

. . . und in Zivil. Sie ist 19 Jahre alt und erwägt, Theaterwissenschaften zu studieren.

Foto: T.L.

Ähnlich schüchtern wie Mary Robert war auch ich am Anfang meiner Theaterkarriere. Ich erinnere mich genau an den Moment, als ich auf dem Gepäckträger vom Fahrrad eines guten Freundes saß, meine Nervosität kaum unterdrücken konnte und nicht wusste, ob ich mich freuen oder vor Angst davonlaufen sollte: Ich war auf dem Weg zu meiner ersten Probe im Jugendtheater.

In der Grundschule habe ich erste Stücke aufgeführt, bin am Gymnasium in die Singspiel-AG und in die Theater-AG eingetreten: Man könnte meinen, dass ich meine Nervosität gut im Griff haben sollte. Das war aber nicht so. Als die "Neue" in eine Theatergruppe zu kommen, ist nicht leicht. Besonders wenn man kurz vorher die Aufführung der Gruppe gesehen hat. Das war in diesem Falle "Annie", und - wow! - die jungen Schauspieler waren echt gut.

 Julia Schleier als Schwester Mary Robert . . .

Julia Schleier als Schwester Mary Robert . . .

Foto: T.L.

Glücklicherweise wurde ich freundlich empfangen, musste aber sofort ins kalte Wasser springen. Es wurde ein Lied einstudiert, und jeder hat eine Passage alleine gesungen. Dieser Moment, in dem alle Augen auf mich gerichtet waren, war das Szenario, vor dem ich am meisten Angst hatte. Doch ich merkte schnell, dass im Theater mit einer wirklich liebevollen Art miteinander umgegangen wird. Seitdem wurde ich immer wieder darin bestätigt, dass viele Menschen, die Theater spielen, offener und selbstbewusster auf Fremde zugehen als Andere.

Als dann die Rollen für mein erstes Stück in diesem Ensemble, es sollte "Mamma Mia" werden, verteilt wurden, hatte ich keine Ahnung, was ich mir erhoffen durfte. Geträumt habe ich von der Rolle der Sophie und durfte diese dann auch tatsächlich übernehmen. Ob das jetzt entschieden wurde, weil ich mit meinen langen blonden Haaren so aussah wie sie, oder weil ich beim Vorsingen nicht zu schlecht gewesen bin, weiß ich nicht. Es war auf jeden Fall ein riesiger Sprung für mich - von den Nebenrollen im Schultheater zu dieser Traumrolle im Jugendtheater.

Den Text auswendig zu lernen und das Schauspielen an sich fielen mir relativ leicht. Aber vor dem Tag, an dem wir das erste Mal mit einem Gesangscoach die Abba-Lieder üben sollten, hatte ich doch Herzklopfen. Ein Solo-Lied, das ich noch gar nicht richtig konnte und was viel zu hohe Töne für mich hatte, vor der Gruppe und einem Mann zu singen, der Ahnung von Gesang hat? Das war krass. Und so habe ich beim ersten Versuch zögerlich vor mich hin gestottert, habe viel zu leise und zu falsch gesungen. Dann habe ich das erste Mal in meinem Leben ernstzunehmendes Feedback zu meinen gesanglichen Fähigkeiten bekommen. Unser Coach meinte, dass ich gut singe, aber sehr zurückhaltend. Ich würde immer in die Kopfstimme rutschen, sobald ich nicht mehr die Kraft und den Mut hätte, meine Bruststimme zu benutzen. Wenn ich ehrlich bin, passiert mir das bis heute noch.

Jedenfalls hat der Coach teilweise mitgesungen, den ein oder anderen Ton immer wieder mit mir geübt. Die wohl wichtigste Lektion, die er mir mit auf den Weg gegeben hat, war folgende: "Sing so, wie du auch spielst. Es reicht nicht, die Töne zu treffen, du musst deinem Gesang auch Ausdruck und Persönlichkeit verleihen."

Bis zur Aufführung von Mamma Mia habe ich es dann geschafft, größtenteils richtige Töne zu produzieren, auch wenn ich stimmlich noch sehr schüchtern war. Und was war ich nervös vor der Premiere! In unserem Theater ist es üblich, dass vor der Aufführung das Ensemble hinter geschlossenem Vorhang auf der Bühne steht, sich einsingt und motiviert. Das ist der Moment, in dem meine Aufregung von 0 auf 180 ansteigen kann. Wenn das Stück beginnt und man das erste Mal vor die Zuschauer tritt, verfliegt aber meist die Nervosität.

Ein Jahr später haben wir Grease aufgeführt, ich spielte Sandy. Die war zuerst das schüchterne Mädchen, das mir wirklich gut liegt, am Ende des Stückes dann ein heißer Feger im Lederoutfit. 2014 spielten wir Les Misérables, ein Stück, wie ich selten eins so sehr geliebt habe. Die Geschichte von Victor Hugo mit der Musik von Claude-Michel Schönberg: beeindruckend. Und vor dem Hintergrund der Französischen Revolution auch geschichtlich sehr interessant. Dazu habe ich auch noch meine Traumrolle Cosette verkörpern dürfen, eine junge Frau, zerrissen von dem Wunsch ihren Adoptiv-Vater glücklich zu machen und der Liebe zu einem jungen Revolutionär. Die Aufführungen waren volle Erfolge und unfassbar emotional.

Als ich dann meiner besten Freundin erzählt habe, dass wir Sister Act spielen würden, fragte sie sofort, ob ich die junge Schwester mit dem Pony spiele. Ich bekam genau diesen Charakter zugeteilt: Schwester Mary Robert. Es ist nicht zu übersehen, dass sich all meine Rollen ähneln.

Und warum habe ich das jetzt erzählt? Wenn man davon träumt Theater zu spielen, dann sollte man auch damit anfangen. Selbst wenn man sich vor der ersten Probe fast in die Hose macht, wird es sich irgendwann lohnen. Ich habe gelernt, mich meinen Hemmungen zu stellen, und das bringt mich nicht nur auf der Bühne weiter, sondern in jeder Situation in meinem Leben.

Denn jedes Mal wenn ich mich auf der Bühne in einen neuen Charakter verwandele, lerne ich von dieser Rolle unfassbar viel für meine eigene Person. Die eine Rolle kann einem zeigen, wie man nicht enden will, die andere Rolle macht einem Mut, an seine Träume zu glauben.

Die Rolle der Schwester Mary Robert hat mir beigebracht, zu hinterfragen ob man in seinem Leben wirklich an dem Punkt steht, an dem man sein will. Es ist wichtig, sich ständig bewusstzumachen, dass der Beruf oder die Tätigkeit, die man ausübt, das ist was einem gefällt. Mary Robert hat letztendlich herausgefunden, dass das Kloster der richtige Ort für sie ist. Aber sie weiß, dass sie auch die Wahl hat zu gehen.

Und auch wenn Ihr euer Leben lang schüchtern wart und im Chor in der letzten Reihe standet, ist die Zeit immer reif, nach vorne zu treten. Mary Robert singt irgendwann: "Doch jetzt steh ich auf, jetzt hör ich auf mich und stell mich der Welt, die ich nie sah!" Genau mit dieser Entschlusskraft seinen Träumen zu folgen wäre doch ein guter Vorsatz für 2017.

(RP)
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