Interview "Lärmwerte können im Wahlfeldsaal nicht eingehalten werden"

Willich · Im Interview mit unserer Redaktion spricht die Technische Beigeordnete Martina Stall über Brauchtumsveranstaltungen, öffentliche Säle und den Wahldelfsaal in Neersen.

Im Interview mit unserer Redaktion spricht die Technische Beigeordnete Martina Stall über Brauchtumsveranstaltungen, öffentliche Säle und den Wahldelfsaal in Neersen.

Frau Stall, ich habe den Eindruck, dass in den vergangenen Jahren immer häufiger Beschwerden auf Ihrem Schreibtisch über Bauvorhaben oder Baugenehmigungen landen. Haben Sie eine Erklärung, warum heutzutage viel schneller die Gerichte eingeschaltet werden, damit zum Beispiel von Lärm Betroffene zu ihrem Recht kommen?

Martina Stall Es gibt seit 2007 das sonst übliche Widerspruchsverfahren nicht mehr. Danach muss jeder potentiell Betroffene, der sich gegen eine Baugenehmigung zur Wehr setzen möchte, den Klageweg bestreiten. Hinzu kommt, dass viele Menschen auf Grund allgemein steigender Umweltbelastungen sensibler geworden sind und sich schneller gestört fühlen. Auch gewonnene Klageverfahren könnten Andere motivieren, es ebenfalls mit einer Klage zu versuchen.

Die Kulturhalle und der Wahlefeldsaal sind von Wohnbebauung umgeben und liegen mitten in den Stadtteilen von Schiefbahn und Neersen. Für einen Städteplaner ist diese Lage möglicherweise ein Graus, weil Probleme mit Anwohnern vorprogrammiert sind. Haben solche Säle auf Dauer eine Chance, oder dürfen Menschen künftig nur noch auf der grünen Wiese feiern?

Stall Als Stadtplanerin sehe ich die innerörtlichen Säle keineswegs als ein Graus an, da sie das kulturelle Leben stärken und das Zusammengehörigkeitsgefühl im Ortsteil fördern. Auf Grund der gemachten Erfahrungen haben solche Säle allerdings nur begrenzte Möglichkeiten. Die einschlägigen Lärmverordnungen, die jedoch nur Anhaltspunkte darstellen, verhindern gerade in dicht bebauten Ortslagen, dass unbegrenzt gefeiert werden kann. Neben dem reinen Veranstaltungslärm werden auch die Geräusche der den Veranstaltungsort verlassenden Personen sowie der an- und abfließende Kraftfahrzeug-Verkehr beurteilt. Nach 22 Uhr sind die entsprechenden Grenzwerte kaum einzuhalten.

Bleiben wir mal bei den derzeitigen Beschwerden und Klagen. Ein Vorwurf, der Ihnen gemacht wird, ist, dass vielleicht auch aus Verbundenheit mit den politischen Parteien und ihren Wortführern in der Vergangenheit Zugeständnisse gemacht beziehungsweise Genehmigungen erteilt worden sind, die mit dem geltenden Recht nur schwer in Einklang zu bringen sind. Wie denken Sie darüber?

Stall Wir haben keine Zugeständnisse gemacht und die Baugenehmigungen immer nach bestem Wissen erteilt. Bei 400 bis 450 Baugenehmigungen im Jahr ist der Anteil der Klagen sehr gering, er liegt bei etwa zwei Prozent. Die Unterlagen für die Bauanträge müssen vollständig und schlüssig sein. Dass ein Lärmgutachten vor Gericht als nicht ausreichend beziehungsweise fehlerhaft beurteilt wird ist nicht voraussehbar, da die Gutachten von vereidigten Sachverständigen erstellt werden und die Bauaufsicht auf Grund fehlender Fachkompetenzen im Bereich Lärmschutz kaum Chancen hat, sich als Obergutachter zu betätigen.

Was werden Sie nach den jüngsten Prozess-Erfahrungen künftig anders machen?

Stall Grundsätzlich gilt für die Zukunft, dass wir bei allen strittigen und gegebenenfalls die Nachbarschaft potentiell beeinträchtigten Baugenehmigungen alle betroffenen Nachbarn schriftlich informieren, um die mögliche Klagefrist auf einen Monat zu reduzieren. Danach ist die Baugenehmigung rechtskräftig und der Bauherr kann sicher sein, dass er sein Bauvorhaben auch ausführen kann. Sollte sich bereits im Vorfeld einer Genehmigung Widerstand regen, werden wir sicherlich auch entsprechende Gespräche mit den Beschwerdeführern initiieren, um vielleicht auch schon im Vorfeld Irritationen zu vermeiden.

Kommen wir mal zum Wahlfeldsaal in Neersen. Hier warten insbesondere die Schützen-Bruderschaft, aber auch die Karnevalsvereine noch immer darauf, dass diese Brauchtumsveranstaltungen mit längeren Betriebszeiten, längstens bis ein Uhr nachts, genehmigt werden. Sie äußerten zuletzt Ihre Sorge, dass diese Veranstaltungen bei neuerlichen Klagen keinen Bestand bei den Gerichten haben könnten. Aber irgendwann müssen Sie doch mal eine Entscheidung fällen — oder?

Stall Wir haben der Bruderschaft in der vergangenen Woche eine Baugenehmigung erteilt, allerdings ausschließlich für den Tageszeitraum. Das Veranstaltungsende liegt bei 21 Uhr, Betriebsende muss 22 Uhr sein. Für diesen Zeitraum konnte die Baugenehmigung erteilt werden, da die Lärmwerte eine Verträglichkeit zeigen. Für den Zeitraum nach 22 Uhr können dagegen die Lärmwerte nicht eingehalten werden, und deshalb wird es für diesen Zeitraum auch keine generelle Genehmigung geben. Wir möchten allerdings für einige wenige Brauchtumsveranstaltungen, in diesem Fall für den Karneval, eine Genehmigung erteilen, die auf dem "Leitfaden zur umweltgerechten Durchführung von Volksfesten und ähnlichen Traditionsveranstaltungen" des nordrhein-westfälischen Umweltministeriums basiert. Da wir hier Neuland betreten, kann unsererseits keine Garantie dafür übernommen werden, dass eine solche Genehmigung vor Gericht standhält. Selbstverständlich werden wir auch eine Entscheidung treffen. Diese muss allerdings genau abgewogen sein und bedarf daher einer sorgfältigen Vorbereitung.

Kommen wir mal zur Schiefbahner Kulturhalle. Hier hatte es ja jüngst das vom Petitionsausschuss gewünschte Einverständnis der Anwohner mit den beiden Beschwerdeführern gegeben, unter gewissen Auflagen einige längere Veranstaltungen zu erlauben. Und es sollen bald Hundertausende von Euros in die Ertüchtigung der Halle gesteckt werden. Könnte es irgendwann doch einmal zu einer Klage kommen, die alle Investitionen zunichtemachen könnten?

Stall Wir werden auch bei der Kulturhalle die Baugenehmigung allen betroffenen Nachbarn zustellen, damit sie sich davon überzeugen können, dass das, was sie unterschrieben haben, auch wirklich Bestandteil der Baugenehmigung ist. Die Klagefrist von einem Monat würden wir in jedem Fall auch abwarten, bevor Investitionen getätigt werden.

In Alt-Willich scheint sich ja nun eine neue Veranstaltungshalle abzuzeichnen. Wenn die Politik dazu Ja sagt müssen erst einmal die planungsrechtlichen Voraussetzungen geschaffen und Investoren gefunden werden. Gehen wir mal davon aus, es findet sich schnell ein Investor: Wann könnte Ihrer Meinung nach die Halle zwischen Schwimmbad und Freizeitheim stehen?

Stall Ich kann mir vorstellen, dass, wenn alles zügig vorangeht, eine solche Halle 2015 errichtet werden könnte. Die Bürgerinnen und Bürger werden allerdings ein Wort mitzureden haben, zumal wir noch den Bebauungsplan ändern müssen. Dann hängt alles von einem Investor ab und ob Verwaltung und Politik dann mit den Haushaltsbelastungen leben können.

Was werden Sie im Vorfeld tun, damit dieser neue Standort in Alt-Willich rechtssicher ist und nicht angefochten werden kann?

Stall Angefochten werden kann grundsätzlich jeder Verwaltungsakt. In notwendigen Bebauungsplanänderungsverfahren können die Bürger Anregungen und Bedenken vorbringen. Diese werden wir abwägen und dann dem Planungsausschuss zur Entscheidung vorlegen. Sicherlich müssen wir ein Lärmgutachten machen und die Halle selbst muss natürlich alle lärmtechnischen Standards beinhalten. Auf Grund der weiten Entfernungen zu den nächsten Wohnbebauungen an der Hülsdonkstraße und der Schiefbahner Straße bin ich allerdings optimistisch, dass eine Einhaltung der Lärmwerte möglich ist und wir dann in einem eventuellen Klageverfahren auch Recht bekommen werden. Aber es gilt immer noch das alte Motto:"Vor Gericht und auf hoher See sind wir in Gottes Hand".

(anch)
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