Stadt Willich Liebeserklärung an die Gummibärchen

Stadt Willich · Intendant Jan Bodinus besetzte die Rolle des Pater Brown für die Schlossfestspiele Neersen mit dem Schlager- und Show-TV-Star Michael Schanze. Im Gespräch mit ihm erfährt man schnell, dass er viel breiter aufgestellt ist. "Plopp".

Michael Schanze hat bei Pater Brown das letzte Wort. Am Schluss de Aufführung sagte Pater Brown bisher: "Ich werde versetzt." Und seine Haushälterin antwortet: "Ich kündige." Und Schanze fügt hinzu: "Nach Willich" - was beim Publikum bestens ankommt. Michael Schanze hat sein Publikum bei den Schlossfestspielen lieb gewonnen. Während des Gesprächs unterm Sonnenschirm beim Italiener an der Vorburg zeigt er auf seinem Smartphone ein Foto, das die Tribüne mit Publikum in bunten Regenponchos zeigt. "Ist das nicht süß, ich hab noch nie vor 500 Gummibärchen gespielt." Anders als etwa bei den Bad Hersfelder Festspielen, wo das Publikum regensicher im Trockenen sitzt, muss das Publikum in Neersen den Unbilden des Wetters trotzen oder gehen. In Hersfeld hat Schanze den Tevje in Anatevka gespielt und wurde dafür gefeiert. Für seine Rolle erhielt er den Publikumspreis als bester Darsteller - samt Ring - den er sonst immer ansteckt, nur jetzt gerade nicht, weil er in Eile war.

Wer sich mit Michael Schanze trifft, um ihm Fragen zu seinem Leben zu stellen, muss Zeit mitbringen. Denn Schanze hat viel zu erzählen und tut dies auch gerne. Und es macht Spaß, diesem charmanten Bühnenmann ohne Starallüren zuzuhören. Doch wie steckt man auf der Bühne die schlimmen Nachrichten dieser Tage, nehmen wir nur Sousse als Beispiel, weg? Früher hätte ihm das mehr zugesetzt, bekennt Schanze. Im Laufe der Jahre entwickele man eine Art, mit schlechten Nachrichten umzugehen. Sofort erinnert er sich an eine Silvestersendung, die er im Oktober 1977 mit Vivi Bach für das ZDF aufzeichnete, als vier Palästinenser die Lufthansa-Maschine "Landshut" entführten. Damals waren solche Terror-Bildern neu und ungewohnt. Michael Schanze kostete es viel Überwindung, mit Luftballons gute Laune zu verbreiten und das Jahr zu feiern. Heute könne er das besser ausblenden.

Mit Jahrgang 1947 ist Michael Schanze ein frühes Nachkriegskind. Seine frühesten Kindheitserinnerungen sieht er heute noch in Schwarzweiß. Geboren ist er in Tutzing, seine Mutter stammte aus Ostpreußen, sein Vater aus Schlesien. So wuchs er als Protestant im Bayernland auf. Sein Vater Arthur war Leiter des Streichorchesters des Bayrischen Rundfunks. Bei ihm lernte er das Klavierspiel - auch wenn die Stunden durch Auswärtstermine oft ausfielen. Beim Ungarn-Aufstand im Oktober 1956 wollte Arthur Schanze nach Budapest fahren und ein Kind nach Bayern retten. Wenig später hatte er einen schweren Unfall, kurz danach nahm er sich das Leben. Im katholischen Tutzing wechselten die Menschen die Straßenseite, wenn die "Selbstmörderfamilie" irgendwo auftauchte. Sieben Jahre prozessierte die Witwe mit der Versicherung. Die Lebensversicherung hatte der Vater kurz vor dem Unfall bei einem ehemaligen Nachrichtensprecher aus Gefälligkeit abgeschlossen. Dieser hatte den Job verloren, nachdem am Schluss der Nachrichten eine Spielkarte nannte. Das hatten seinen Kollegen als Auftrag in einer Seance festgelegt - ja, langweilig wird es mit Michael Schanze nie.

Nach dem Tode des Vaters kam er ins Internat, zum Windsbacher Knabenchor. Dort erfuhr er ein strenges Regiment und einen rauhen Umgang. Er versteht zwar, dass man die Jungen auf diese Weise zu Höchstleistungen antreibt, aber er ist bis heute ein strikter Gegner von Gewalt gegen Kinder. Einmal hatte Schanze seinen Sohn einen Klaps gegeben, als der auf dem Balkon gefährlich hoch kletterte und sich auch noch hinauslehnte. Bis heute bedauert er diese Reaktion. Im Internat wollte Schanze Missionar werden. Aber als ein Missionarssohn ihm erzählte, dass auf Papua-Neuguinea ein Missionar aufgegessen worden sei, gab der junge Michael diese Pläne auf.

Gut so, denn ein Show-Talent wäre für die Bühne verloren gegangen. Die Musik liegt ihm im Blut. Er hatte seinen Vater oft zu Proben begleitet und war aufgeregter als Sänger Bully Buhlan ("Ich hab' noch einen Koffer in Berlin"), dass dieser seine Einsätze schaffe, wo er doch so weit weg vom Mikrofon steht. Und als der schwarzamerikanische Sänger Kenneth Lee Spencer ihn einmal auf den Arm nahm, rannte er zurück zu seiner Mutter aus Angst, die schwarze Haut habe abgefärbt.

Bester Erinnerungen hat Michael Schanze an seine Schülerband. Vom Knabenchor im vielstimmigen Gesang trainiert, machten die Jungs Beat und Swing mit mehrstimmigen Gesang, bei Songs von den Beatles (Nowhere Man) oder den Beach Boys. Die smarten Jungs, die "moderne, aber erträgliche Musik" machten, wurden rasch von den Hotels der Umgebung gebucht. Lange tourte er mit Songs von Dean Martin und Sinatra. Schanze erzählt das heute gerne, um ein wenig aus der Schlagerecke herauszukommen. Mit Swing-Musik verdiente er sich sein Studium an der Hochschule für Film und Fernsehen. Bis spät nachts spielte er Klavier, um am nächsten Morgen in die Hochschule zu gehen. Es waren die wilden 68er Jahre. Doch Schanze meint, er sei nie ein echter 68er gewesen, außer heute, wo er 68 Jahre alt ist. Mit Jutta Speidel drehte er einen Liebesfilm, und bei "Sie nannten ihn Krabambuli" einen Jugendlichen, der am Ende versehentlich erschossen wird. Schanzes Mutter gefiel der Film, meinte aber, im nächsten Film solle er lieber wieder heiraten.

Bei den Tanztees in den Hotels, zu denen Schanzes Band aufspielte, wurde der Wiener Produzent Gerhard Mendelson auf Schanze aufmerksam. Mendelson, der Peter Alexander und Peter Kraus entdeckte, lud ihn ins Studio zu Probeaufnahmen ein. Schanze bekennt, dass es so gar nicht seine Musik war, aber Mendelson war halt eine Triple-A-Adresse. So entstanden Schlager wie "Ich bin kein Lord" oder "Ich fahr mit dir an den Tegernsee". Über den Schlager rutschte Schanze auch ins Fernsehen. Als das Roy Black-Management eine Personalityshow absagte, weil Roy Black doch kein Entertainer sei, erhielt Schanze die Chance, "Hätten Sie heute Zeit für mich?" zu machen. Für Schanze wurde es eine sehr glückliche Zeit. In den seligen Zeiten des öffentlich-rechtlichen Fernsehens ohne die Konkurrenz durch die Privaten hätten sich die Fernsehmacher noch durch eine besondere Haltung ausgezeichnet. Heute beherrsche nur die Einschaltquote die redaktionellen Inhalte.

Nachdem seine Ehe in die Brüche ging, hat Schanze kein Fernsehen mehr gemacht. Er hat das Theaterspielen für sich entdeckt und sich so neu erfunden. Als der Charming Boy allerdings 2008 den bösen hinterlistigen "Gaukler" in Carl Orffs "Astutuli" spielten sollte, war die Aufregung groß. Doch Regisseur Hellmuth Matiasek, Ehemann von Cornelia Froboess, rettete die Pressekonferenz vor der Premiere, indem er auf die Frage, ob dieser nette Kinderfreund aus dem Fernsehen auf der Bühne einen Bösewicht spielen könne, antwortete: Wenn man so denke, müsse seine Frau immer noch "Pack die Badehose ein" singen. Diese Rolle hat Schanze "ein Universum geöffnet". Zwei "Mutmacher-Briefe" dieses Regisseurs nimmt Schanze überall hin. Doch seine Hauptrolle als "Tevje" in "Anatevka", eine Aufführung 2012 bei den Festspielen Bad Hersfeld, sei noch eine Steigerung: "Das ist das Highlight in meinem Leben." Er fühlte sich als Teil einer tollen Inszenierung (Stefan Huber), bei der er alle 360 Grad der Gefühle, von lustig bis traurig, von nett bis wütend, zeigen konnte.

(RP)
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