Serie Vor 160 Jahren Orte im Landkreis werden Stadt

Kreis Viersen · Viersen, Süchteln und Kaldenkirchen werden 1856 Stadt. Auch Kempen und Dülken kommen 1857/58 in den Genuss der "Rheinischen Städteordnung".

 Kaldenkirchen zur Zeit der Annahme der "Rheinischen Städteordnung" (Lithographie der Anstalt H. Franck-Braun in Krefeld nach einer Zeichnung von Wilhelm Schwippert 1860).

Kaldenkirchen zur Zeit der Annahme der "Rheinischen Städteordnung" (Lithographie der Anstalt H. Franck-Braun in Krefeld nach einer Zeichnung von Wilhelm Schwippert 1860).

Foto: Kreisarchiv

Kreis Viersen Das 1815 endgültig preußisch gewordene Rheinland war den alten, immer noch agrarisch und ständisch geprägten Kernprovinzen des Königreiches östlich der Elbe auf vielen Gebieten des gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Lebens um Längen voraus. Mühsam genug gelang es den selbstbewussten Rheinländern, die überdies überwiegend katholisch waren, Errungenschaften der französischen Zeit (zum Beispiel im Rechtswesen) als Sonderrechte in den nur begrenzt beliebten preußischen Staat hinüber zu retten.

In diesem umfassenden Zusammenhang ist die vor 160 Jahren erlassene "Rheinische Städteordnung" zu sehen, die einen Meilenstein in der Entwicklung der kommunalen Selbstverwaltung im Rheinland darstellt. Mehr Selb- und Eigenständigkeit, mehr Emanzipation gegenüber dem Staat war der Kern der "Rheinischen Städteordnung", die König Friedrich Wilhelm IV. 1856 unterzeichnete. Von ihr führt ein direkter Weg zur Garantie kommunaler Selbstverwaltung in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (Art. 38, Abs. 2, Satz 1).

Da sie auch Orten unter 10.000 Einwohner verliehen werden konnte, kamen mehrere Gemeinden im Kreis Kempen in den Genuss dieser neuen kommunalverfassungsrechtlichen Regelungen. Verliehen wurde die "Rheinische Städteordnung" an Kaldenkirchen am 4. September, an Süchteln am 23. Oktober 1856. Das damals zum Kreis Gladbach gehörende Viersen hatte bereits am 16. Juni 1856 die Städteordnung erhalten. 1857 folgte Dülken, 1858 Kempen. Alle hatten damit den Rang einer Stadt erreicht, wenngleich dies nicht den Charme mittelalterlicher Stadtrechtsverleihungen mit Brief und Siegel des Kaisers oder des Landesfürsten hatte. Gleichwohl war mit der Berechtigung, sich Stadt zu nennen, auch vor 160 Jahren ein beträchtlicher Ansehensgewinn verbunden.

Meist erst wesentlich später drückte sich dies in eigenen Stadtwappen aus. Das Wappen für Kaldenkirchen zum Beispiel wurde 1903 von Kaiser Wilhelm II. persönlich genehmigt. Der preußische Adler als Hoheitszeichen wich einem individuellen heraldischen Hoheitszeichen. Die Grenzgemeinde war schon 1818 Sitz eines Hauptzollamtes geworden und wurde in den 1860er Jahren eine bedeutende Station im sich rasant entwickelnden Eisenbahnnetz.

Um beim Beispiel der kleinen Grenzstadt zu bleiben: hier tat sich Selbstverwaltung noch um die Mitte des 19. Jahrhunderts schwer. Unmissverständlich notierte hier der Bürgermeister: "In der Gemeinde Kaldenkirchen besteht der Gemeindrath blos aus Kaufleuten und geringen schlichten Ackersleuten, letzte jedoch in der Mehrheit und ohne Bildung. Es kömmt daher nicht selten vor, daß bei den Berathungen Meinungs Verschiedenheiten vorwalten, und die zu fassenden Beschlüsse daher durch Abstimmung ihre Erledigung finden müssen, wobei der intelligentere Theil stets in der Minorität bleibt."

Auch für Viersen, Kaldenkirchen und Süchteln galt ab 1856: der Bürgermeister ist die Obrigkeit der Stadt. Er wird auf zwölf Jahre gewählt. Für die Stadtverordnetenversammlungen galt fortan, dass sie aus 12, 18, 24 oder 30 Mitgliedern bestanden bei Städten bis zu 2500, 10.000, 30.000 oder über 30.000 Einwohnern. Gewählt wurden sie auf sechs Jahre, und zwar nach dem Dreiklassenwahlrecht. Die Hälfte der Stadtverordneten musste aus Hausbesitzern bestehen.

Dass man den Status einer Stadt erreicht hatte, dürfte von der Bevölkerung kaum mit Enthusiasmus aufgenommen worden sein. Jedenfalls sind Begeisterungsstürme nicht überliefert.

Viersens erste Stadtgeschichte aus der Feder des Oberpfarrers Franz Joseph Schröteler aus dem Jahre 1861 erwähnt den erst fünf Jahre zurückliegenden Vorgang nicht einmal.

Die kommunalverfassungsgeschichtliche Bedeutung der Rheinischen Städteordnung von 1856 ist ungeachtet dessen unbestritten und gerade in den letzten Jahren von der Forschung betont und herausgearbeitet worden. Auch im Falle der "Rheinischen Städteordnung" konsultiert man das "Portal Rheinische Geschichte" des LVR mit Gewinn. Dort sind alle anderen rheinischen Städte genannt, denen auf Antrag die "Rheinische Städteordnung" verliehen wurde.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort