Stadt Willich Schüler auf den Spuren der Judenverfolgung

Stadt Willich · Schon seit 1988 sind Schüler des St.-Bernhard-Gymnasiums auf Spurensuche, haben in aller Welt mit Familien von einst in Willich lebenden Juden Kontakt aufgenommen, sie nach ihren Erinnerungen aus der Zeit des NS-Terrors gefragt. Aus den Reihen der Schüler entstand damals auch die Idee, Stolpersteine zu verlegen oder durch eine Ausstellung an die Zeit der Deportation und systematischen Vernichtung der Juden zu erinnern. Jetzt ist dazu ein kleines, etwa hundertseitiges Buch erschienen, das als Titel den hebräischen Namen "Sachor" trägt und so viel bedeutet wie "Gedenke" oder "Erinnere".

 Im Heimatmuseum "Kamps Pitter" wurde die Sammlung wichtiger Dokumente jetzt vorgestellt.

Im Heimatmuseum "Kamps Pitter" wurde die Sammlung wichtiger Dokumente jetzt vorgestellt.

Foto: Wolfgang Kaiser

Das in Zusammenarbeit mit Udo Holzenthal vom Willicher Stadtarchiv von den Schülern erstellte Werk, das jetzt im Heimatmuseum "Kamps Pitter" vorgestellt wurde, soll eine "Quellenedition" sein. "Das ist eine ungefilterte Sammlung von wichtigen Dokumenten, die auch die langjährige Zusammenarbeit zwischen dem Archiv und dem Gymnasium widerspiegelt", sagt Holzenthal. Kulturdezernentin Brigitte Schwerdtfeger erinnert daran, dass daraus im Jahr 2012 auch eine Bildungs-Partnerschaft mit dem Heimatmuseum geworden war.

Schüler, beispielsweise Thomas Beschoten und Celine Cont, die 2014 ihr Abitur machten, hatten damals ehemalige, mit ihren Familien in Willich lebende Juden angeschrieben, die noch rechtzeitig vor dem Terror hatten fliehen können. Sie erhielten Antworten aus den Niederlanden, England, Israel, aus den USA und aus Argentinien. Manche Antworten fielen knapp aus, andere schrieben ausführlicher. Und ihre Schilderungen, so von Lore Brieger (geborene Salmons), Kurt Servos oder Else Buxton (geborene Lion), flossen als wichtige Zeitzeugenberichte in die Publikation ein.

Unter anderem wird in dem Buch, in dem das Schicksal von 90 Willicher Juden tabellarisch verzeichnet ist, an einen Briefwechsel zwischen Sandra Neffgen und Else Buxton erinnert. Der Jüdin aus der Großfamilie der Lions war 1939 die Flucht nach England gelungen; sie starb 1995 in Worcester. Else Buxton erinnerte sich an den April 1933, sie war 21 Jahre alt, als in dem an sich "freundlichen Dorf Willich" Männer der Sturmabteilung (SA) der NSDAP streng darauf achteten, dass keine Kunden mehr die an der Bahnstraße gelegene Metzgerei ihres Onkels betraten, und an die SA-Männer, die am jüdischen Sabbatstag grölend über die Bahnstraße liefen und sangen: "Wenn das Judenblut vom Messer spritzt, dann geht's noch mal so gut, SA-Kameraden hängt die Juden, stellt die Bonzen an die Wand..."

Aufmerksam hörten bei der Präsentation etwa 30 Schüler der Klasse 8b zu. Sie waren mit ihrem Lehrer Mario Harperscheidt zu dieser besonderen Geschichtsstunde gekommen. "Macht weiter mit den Recherchen, euch stehen bei uns alle Türen offen", sagte Holzenthal, zudem seien Praktika möglich. Aufgaben gebe es genug, weitere Zeitzeugen zu finden. "Oder auf Spurensuche nach den politisch Verfolgten aus der Zeit der Hitler-Diktatur oder der vielen Euthaniseopfern zu gehen", ergänzte Bernd-Dieter Röhrscheid, ehemaliger Lehrer des Gymnasiums und damals wichtiger Begleiter der recherchierenden Schüler. Röhrscheid ist auch einer der Archivare bei den Heimat- und Geschichtsfreunden Willich.

Das Buch gibt es im Gymnasium und im Stadtarchiv gegen eine Schutzgebühr von 2,50 Euro. Abgerundet wird das Werk durch ein Interview, das Angela Genger 1996 mit dem Schiefbahner Holocaust-Überlebenden Werner Rübsteck führte und das die Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf zur Verfügung gestellt hatte. Gefördert wurde die Publikation vom NRW-Familienministerium und vom Landschaftsverband Rheinland.

(wsc)
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