Stadt Willich Schutz vor Vertreibung als Menschenrecht

Stadt Willich · Der Willicher Stadtverband der Vertriebenen feierte in Anrath sein 70-jähriges Bestehen. Die Festvorträge hielten Vize-Landrätin Luise Fruhen und die 82-jährige Willicherin Renate Tippmann.

 Gut besucht war das Evangelische Gemeindehaus in Anrath, als der Willicher Stadtverband der Vertriebenen sein 70-jähriges Bestehen feierte. Rechts Vorsitzender Hartmut Perseke, dahinter SPD-Ratsherr Bernd-Dieter Röhrscheid.

Gut besucht war das Evangelische Gemeindehaus in Anrath, als der Willicher Stadtverband der Vertriebenen sein 70-jähriges Bestehen feierte. Rechts Vorsitzender Hartmut Perseke, dahinter SPD-Ratsherr Bernd-Dieter Röhrscheid.

Foto: KAISER

Auch wenn für viele Vertriebene schon längst der Niederrhein und speziell Willich oder Anrath zur neuen Heimat wurde, wird immer noch mit Zorn und Ärger auf die Zeit der Vertreibung geschaut und in dem Zusammenhang für soziale Gerechtigkeiten, beispielsweise im Rentenrecht oder gegen die Altersarmut vieler Spätaussieder gestritten. Jetzt war es wieder soweit, führte der Willicher Bund der Vertriebenen traditionell seinen "Tag der Heimat" durch. Er ist gleichzeitig ein Appell auch in der heutigen Zeit, das fundamentale Menschenrecht des Schutzes vor Vertreibung und ethnischer Säuberung zu garantieren.

Der Willicher Stadtverband, der aus dem Anrather Ortsverband hervorgegangen war und der vor allem in Hartmut Perseke einen wichtigen Impulsgeber hatte und hat, feierte jetzt im evangelischen Gemeindehaus in Anrath seinen 70. Geburtstag. Die Festreden hielten: die stellvertretende Landrätin, Luise Fruhen (CDU), und die langjährige Willicher SPD-Kommunalpolitikerin Renate Tippmann.

Dass die Vertreibung ein Thema bleibt, bewiesen nicht zuletzt die Worte von Jürgen Zauner, Landesvorsitzender der Landsmannschaft Ostpreußen: "Jeder will sich für die Ehrlichkeit einsetzen, aber keiner will heutzutage noch die Wahrheit hören." Die Vertreibung sei seiner Auffassung nach immer noch ein heikles Thema, über das viele nicht vorurteilsfrei sprechen könnten.

Noch vor wenigen Monaten war Luise Fruhen in Pommern und in West- und Ostpreußen gewesen. Sie sagte: "Dabei wurde mein Verständnis noch bekräftigt, welche ungeheure Sehnsucht und Liebe die Flüchtlinge und Vertriebenen noch nach 70 Jahren haben, wenn sie an ihre alte Heimat zurückdenken." Und Luise Fruhen ergänzte: "Man fühlt einen unendlichen Zorn auf die, die mit einer Politik des Irrsinns und der Gewalt diese Heimat verzockt haben."

Die Vize-Landrätin machte auf ein weiteres Jubiläum aufmerksam, den 60. Geburtstag des Dachverbandes des Bundes der Vertriebenen auf Bundesebene. Was sie beklagte: "Die Zahl der Zeitzeugen wird immer kleiner." In der Tat: dem Willicher Stadtverband gehören derzeit nur noch 35 Mitglieder an. Renate Tippmann war 1957, mit 23 Jahren "aus der DDR abgehauen". Sie erinnerte an die früheren Gebietsansprüche der Vertriebenenverbände, den Kniefall von Willy Brandt, das Verbot für deutsche Minderheiten, ihre Muttersprache zu sprechen, und an die Zeiten der vorsichtigen Annäherung. In ihrer neuen Heimat seien die Vertriebenen anfangs oft auf Ablehnung, Misstrauen und Neid gestoßen. Flucht und Todesangst hätten die Menschen traumatisiert. Heike Kellmann, die Tochter von Renate Tippmann, hatte die Erinnerungen ihrer Mutter in dem Buch "Mädchen, steh auf" aufgeschrieben.

(wsc)
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