Wülfrath . . . aber dann war er weg!

Wülfrath · Elke Voss und ihre Familie nehmen den 20-jährigen Ghanaer Clement Opoku Appiah nach seiner Flucht quer durch Europa in Düssel auf. Sie holen ihn aus der Notunterkunft, er wohnt bei ihnen im Haus. Sie bürgen, er arbeitet, zahlt Steuern und Sozialabgaben. Dann geht er still und heimlich.

 Elke Voss half dem jungen Ghanaer auch bei den Behördengängen und beim Deutschlernen.

Elke Voss half dem jungen Ghanaer auch bei den Behördengängen und beim Deutschlernen.

Foto: Janicki Dietrich

Er kam mit einem kleinen Rucksack. Und er ging auch wieder nur mit einem kleinen Rucksack. Anders als bei seiner Ankunft hatte Clement Opoku Appiah bei seinem Abschied im Juni aber 2000 Euro in der Tasche. Die hatte sich der 20-jährige Ghanaer in den Monaten zuvor als Maler- und Lackierer-Azubi in einem Wuppertaler Handwerksbetrieb redlich verdient.

 Die Türschilder an der Haustür in Wülfrath-Düssel. Jetzt hängt dort nur noch das der Voss'.

Die Türschilder an der Haustür in Wülfrath-Düssel. Jetzt hängt dort nur noch das der Voss'.

Foto: rei

Geld, das er auf seiner erneuten Flucht durch Europa dringend nötig hat. "Wir hören über andere Ghanaer, dass er wohl Hals über Kopf nach Italien geflohen ist, weil er hofft, dort bleiben zu können", sagt Elke Voss. Er hat Angst. Große Angst davor, in seine afrikanische Heimat abgeschoben zu werden. Deshalb packt er an dem Juni-Morgen in seinem Zimmer im Haus von Familie Voss in Düssel seine Tasche mit ein paar Habseligkeiten, holt sein erspartes Geld vom Konto und geht zur Bushaltestelle. "Da verliert sich seine Spur", erzählt Elke Voss.

 Clement Opoku Appiah machte in einer Wuppertaler Firma eine Ausbildung zum Maler und Lackierer.

Clement Opoku Appiah machte in einer Wuppertaler Firma eine Ausbildung zum Maler und Lackierer.

Foto: Janicki Dietrich

Ihre Familie lebt in Düssel und hat den jungen Mann im Sommer 2015 in ihrem Haus aufgenommen. Die elf Monate danach erzählen vielleicht mehr über die Schwierigkeiten der Integration von Flüchtlingen als dicke Akten im Ausländeramt.

"Ihn hat die Angst gepackt, dass er zurück nach Ghana muss. Die Mitarbeiterin bei der Ausländerbehörde hat die Lage bedrohlich geschildert", sagt Voss. Die Rechtslage sollte vollzogen werden. Dabei gab es keinen Grund, Clement Opoku Appiah zurück in seine Heimat zu schicken, denn der junge Mann war auf dem besten Wege sich zu integrieren.

Die Düsselerin hat mit Ehemann Thomas und Tochter Melissa den Ghanaer im Sommer vergangenen Jahres aus der Notunterkunft in Vohwinkel geholt. Seitdem lebte er bei ihnen. Die Familie bürgte für ihn. Die Behörden hatten dieses Verhalten anfangs kategorisch abgelehnt und erklärt, er müsse in die Flüchtlingsunterkunft zurückkehren. Doch die Familie schafft es mit kooperierenden Behörden im Kreis und mit der Stadt Wülfrath, dass der damals 19-Jährige bei den Voss' leben konnte.

Dabei hatte Elke Voss in einer TV-Diskussion bei Frank Plasbergs "Hart aber fair" kurz nach der Aufnahme des jungen Flüchtlings energischen Widerstand gespürt. Der stellvertretende CDU-Parteivorsitzende Thomas Strobl prophezeite ihr, dass Opoku letztlich abgeschoben werde, da Ghana ein sicheres Heimatland sei. "Das weckte meinen Kampfgeist", erzählt sie, denn ihr ging es nicht ums Recht-haben-und-behalten. Es ging ums Helfen, um Nächstenliebe, um konkrete Integration von Menschen anderer Abstammung.

Clement Opoku Appiah lernt in den ersten Monaten mühsam Deutsch, um sich eine Grundlage für ein Leben in Deutschland aufzubauen. "Ich weiß, dass das wichtig ist, wenn ich hierbleiben will", erzählte er damals.

Im Herbst 2015 beginnt er seine Ausbildung bei einem Wuppertaler Maler- und Lackiererbetrieb. Der junge Afrikaner ist sehr zurückhaltend in Gesprächen, erzählt sein Meister Frank Feistel heute. Seine Arbeitsleistungen sind aber exzellent. "Er ist ein netter Junge. "

Opoku Appiah zahlt Steuern und Sozialbeiträge. Nachdem sein Leben monatelang auf der Kippe stand, hat er jetzt endlich eine Perspektive. "Er kann eine Lehre machen ohne Angst zu haben, ausgewiesen zu werden", sagte Elke Voss im Spätherbst 2015. Dachte sie. "Jetzt sollen ja viele Menschen aus Ghana konsequent abgeschoben werden", weiß sie heute. Doch mit der Härtefallklausel hätte er seine Ausbildung fertig machen können. Erst dann wäre neu entschieden worden. Opoku Appiah war erst einmal sicher - entgegen den Einschätzungen von CDU-Partei-Vize Strobl.

So sehr Opoku Appiah mit der Lehre nun Boden unter den Füßen hatte, so sehr lagen aber die dunklen Schatten der Flucht auf dem Leben des jungen Mannes. "Er ist traumatisiert durch Gewalt und Todesangst", erzählt Voss. Vor drei Jahren flieht er aus seiner Heimatstadt Kumasi in dem westafrikanischen Land. Die Eltern waren gestorben. Sein 22-jähriger Bruder kann nicht mehr das Schulgeld für drei Geschwister bezahlen. Clement muss seine Familie verlassen. Seine jüngeren Geschwister, 12 und 14 Jahre alt, leben inzwischen bei einer Pflegefamilie in Ghana. Der junge Afrikaner flüchtet durch die Wüste über das Mittelmeer, schlägt sich bis Bulgarien durch, wo er ins Gefängnis geworfen wird. Schließlich gelangt er nach Deutschland.

Vor knapp einem Jahr lernt Voss, die in der Freien Evangelischen Gemeinde in Vohwinkel engagiert ist, den jungen Mann kennen. Die Familie lädt den jungen Afrikaner zu sich nach Hause ein. "Er blühte auf und konnte endlich wieder ruhig schlafen", erzählt sie. "Ich fand endlich wieder Ruhe", bestätigte Opoku Appiah damals.

Morgens um sechs Uhr, bei Eiseskälte im Winter, bei Regen im Sommer steht der junge Mann jeden Tag an der Haltestelle in Düssel und wartet auf den Bus, der ihn nach Wuppertal zu seiner Ausbildungsstelle bringt. Sein Chef Frank Feistel ist "vor allem von der Disziplin beeindruckt, jeden Tag auch bei Kälte pünktlich da zu sein".

Hundert Euro seines Ausbildungsgeldes schickt Opoku Appiah jeden Monat für die Ausbildung seiner beiden jüngeren Geschwister nach Ghana. Den Rest spart er. 2000 Euro hat er schließlich auf dem Sparkonto. In der Freien Evangelischen Gemeinde hilft Opoku Appiah mit, freundet sich mit Gleichaltrigen an.

Dann aber ist er weg. "Als ich nach Hause kam, wunderte ich mich, dass der Schlüssel im Flur lag", sagt Voss. Das Zimmer ist wie immer, die gesamte Kleidung liegt im Schrank. Nur das Foto eines Bruders und der Schwester, die am Bett standen, hat er eingepackt. "Ich hatte lange daran zu kauen, wie er gegangen ist", erzählt Voss. Keine Ankündigung, keine Begründung, kein Tschüs. "Vielleicht hat er sich nicht getraut, uns das zu sagen." Sein Chef Frank Feistel fühlt sich ebenfalls verletzt, "denn es war nicht schön, dass er, ohne was zu sagen, einfach so geht". Er habe sicherlich seine Gründe gehabt, aber die heimliche Flucht hat auch ihn geärgert. Hat er es bereut, ihm als Azubi eine Chance gegeben zu haben? "Nein, ich würde es wieder tun, denn dazu waren die Erfahrungen mit Clement zu positiv", sagt Feistel.

Jetzt ist Clement Opoku Appiah wieder auf der Flucht, diesmal vor den Asylgesetzen. "In Italien erhofft er sich anscheinend bessere Chancen auf eine Aufenthaltsgenehmigung", schätzt Voss. Sein Handy ist ausgeschaltet, das Facebook-Profil gelöscht. "Wir hatten ihm zusichern können, dass er für die Ausbildungszeit nicht zurück nach Ghana muss." Doch die Angst des Clement Opoku Appiah ist anscheinend zu groß.

Elke Voss hat lange gebraucht, die neue Situation anzunehmen. Nach einem Monat, als klar war, dass Clement nicht wiederkommt, montiert sie sein Namensschild an der Haustür ab. Ein erster Schritt. "Ich habe erst nach drei Monaten sein Zimmer wieder zurückgebaut. Ein Stück weit loslassen" habe sie lernen müssen, gibt sie zu. Ihre Tochter Melissa erinnert sie daran, dass Clement zwar ihr Kind und Familienmitglied für elf Monate gewesen sei, "aber er ist eben auch ein junger Mann von 20 Jahren, der allein für sich entscheiden muss".

Als im Herbst die Nachrichten über das Erdbeben in Italien kommen, habe sie sofort an Clement gedacht: Hoffentlich ist ihm nichts passiert - sollte er denn in Italien sein. "Wenn ich morgens an der Bushaltestelle in Düssel vorbeifahre, gucke ich reflexartig immer noch, ob er nicht plötzlich wieder dort steht", sagt sie.

Elke Voss bereut nichts. Sie würde immer wieder einem Flüchtling helfen. Nur noch wenig erinnert im Haus der Familie an den jungen Ghaner. Ein Foto auf der Wohnzimmerkommode, sonst nichts. Doch irgendwie ist Clement Opoku Appiah immer noch zuhause in Düssel. "Wenn einer von uns ins Zimmer geht, sagt er noch immer, er gehe in ,Clements Zimmer'." Aber der ist nach elf Monaten einfach weg. Mit einem kleinen Rucksack und seinen ersparten 2000 Euro.

(rei)
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