"Lange Nacht der Industrie" in Wülfrath Staunen im Steinbruch: "Es ist alles so groß"

Wülfrath · Lhoist in Wülfrath beteiligte sich an der "Langen Nacht der Industrie". Rund 80 Interessierte besichtigten in zwei Schichten den größten Kalksteinbruch Europas.

 Bernd Becks (mit Helm), ehemaliger Leiter der Qualitätskontrolle, erläuterte den Besuchern der langen Nacht der Industrie die Kalkherstellung bei Lhoist in Wülfrath.

Bernd Becks (mit Helm), ehemaliger Leiter der Qualitätskontrolle, erläuterte den Besuchern der langen Nacht der Industrie die Kalkherstellung bei Lhoist in Wülfrath.

Foto: Janicki

In glühendem Orange-Rot versinkt die Sonne hinterm Horizont. Minuten später ist Nacht - bei der "Langen Nacht der Industrie". Oberhalb des Sedimentationsbeckens Prangenhaus wird Bernd Becks (68) romantisch: "Wenn tagsüber die Sonne hier im richtigen Winkel reinscheint, leuchtet das Wasser blau vor dem weißem Untergrund - wie in der Karibik." Eine Fledermaus dreht hektisch ab, weil sie nicht mit 40 Besuchern am Aussichtspunkt gerechnet hat. Und schon ist Becks wieder bei den Fakten - in Wülfrath Flandersbach, dem größten Kalksteinbruch Europas und drittgrößten weltweit, in dem rund 420 Menschen arbeiten und acht Millionen Tonnen Kalkstein pro Jahr über die Ausgangswaagen gehen.

"Aus diesem Werk stammt ein gutes Drittel der deutschen Kalksteinproduktion", sagt Becks, der bis zu seiner Pensionierung vor vier Jahren die Qualitätskontrolle leitete und jetzt mit sichtbarem Vergnügen Werksführungen übernimmt. Zwei Stunden und viele frei vorgetragene Fakten später bekommt er einen Extraapplaus von allen Teilnehmern an dieser Führung im Rahmen der "Langen Nacht der Industrie", an der sich in Wülfrath nur Lhoist beteiligt.

"Wir sind sehr beeindruckt von dem, was wir hier gesehen haben", sagen Renate und Rainer Klug aus Velbert. Ihre Wunschtour durch die Industrie-Nacht war bereits ausgebucht. Deshalb sind die beiden auf dieses Doppel - erst der Wülfrather Kalksteinbruch, dann zu Bayer nach Wuppertal - ausgewichen. Nun sehen sie das als Glücksgriff. Renate Klug staunt: "Mit diesen riesigen Dimensionen hatte ich nicht gerechnet."

In 240 Meter Tiefe lässt Becks den Besucherbus stoppen. Es ist derzeit der tiefste Punkt im Steinbruch. Zehn Riesen-Stufen höher sind - ganz klein - die Bäume zu sehen. Und das ist bloß ein Zwischenstand: Bis zur Jahrhundertmitte gilt es, weitere 100 Meter tief abzubauen. Daher wird viermal täglich gesprengt. Riesen-Bagger, Monsterraupen und XXL-Kipper - Stückpreis: 1,2 Millionen Euro, Zuladung: 50 Tonnen - transportieren den Kalk zu acht megagroßen Waschtrommeln. Von denen erzählt Becks nur: "Wenn alle laufen, machen die einen Lärm von rund 200 Dezibel." Zum Vergleich: ein startender Düsenjet in 100 Metern Entfernung bringt es auf 125 Dezibel, die Schmerzgrenze für das menschliche Gehör wird mit 130 Dezibel angegeben.

Dann wird der Kalkstein in der Breche für die Kunden auf Maß gebracht. Die Stahlhersteller brauchen eine andere Körnung als Filterproduzenten, wo feiner Kalkstaub Luft und Wasser säubern. Bis hin zur Kalkmilch in verschiedensten Konsistenzen zur Beigabe in die Braunkohlekraftwerke reicht das Lhoist-Angebot aus Wülfrath. "Wir liefern etwa die Hälfte unserer Produktion an die Stahlindustrie, 20 Prozent in die Umwelttechnik, 15 Prozent an die Chemie - zum Beispiel zur Kunststoffproduktion und 10 Prozent an den Bau", zählt Becks auf. Das seien Größenordnungen, sagt er, auf die fehlenden fünf Prozent für Kleinstanwender wie Putzhersteller und andere angesprochen. Fest steht: Wenn die deutsche Stahlproduktion zurückgefahren wird und Braunkohlekraftwerke still gelegt werden, dann fallen wichtige Abnehmer für Kalk aus Wülfrath aus. "Wie hoch ist der Frauenanteil bei den Beschäftigten?", will Birgitt Radke aus Langenfeld wissen, die mit ihrer Tochter hier ist. Der sei ähnlich wie in allen Produktionsbetrieben, sagt Becks. Es gäbe sogar eine Sprengmeisterin. Dann hält der Bus wieder am Eingang. Gleich kommt die nächste Gruppe

(RP)
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