Xanten "Dann ist alles ganz anders, so real"

Xanten · Marienschülerinnen haben das Konzentrationslager Auschwitz besucht und eine Überlebende getroffen - bewegende Eindrücke.

 Der zynische Spruch "Arbeit macht frei" stand als Toraufschrift über den Eingängen zu den nationalsozialistischen Konzentrationslagern, wie hier in Auschwitz. 1,1 bis 1,5 Millionen Menschen sind hier umgekommen. Die Studienreise hinterließ bei den Marienschülerinnen bleibenden Eindruck.

Der zynische Spruch "Arbeit macht frei" stand als Toraufschrift über den Eingängen zu den nationalsozialistischen Konzentrationslagern, wie hier in Auschwitz. 1,1 bis 1,5 Millionen Menschen sind hier umgekommen. Die Studienreise hinterließ bei den Marienschülerinnen bleibenden Eindruck.

Foto: Schule

Die Studienfahrt der 25 Marienschülerinnen nach Auschwitz hat Spuren hinterlassen. Das spürt man, wenn die Schülerinnen nun, nach ihrer Rückkehr, von den vielen emotionalen Momenten und Begegnungen berichten. Nationalsozialismus und Verfolgung von Minderheiten bis hin zur millionenfachen Vernichtung von Menschen liegen zwar über 70 Jahre zurück, doch rechte Gesinnung und Verfolgung sind heute wieder aktueller denn je. Vieles von dem Erlebten ist den jungen Zehntklässlerinnen präsent, mehr als sonst nach einer Studienfahrt. Das ist offensichtlich, wenn die jungen Mädchen von Auschwitz und Krakau erzählen. Immer wieder neue Eindrücke werden präsent, die Berichte reißen kaum ab.

Es mache schon einen großen Unterschied aus, von den grauenhaften Zuständen in einem NS-Vernichtungslager aus Büchern zu erfahren oder direkt mit den unmenschlichen Lebensumständen in den Baracken und dem Leid konfrontiert zu werden, sagen die Schülerinnen. "Es war ein bedrückendes Gefühl auch wegen des Vorwissens", sagt zum Beispiel Merle (15) Nabbefeld. "Auf Bildern kann man sich das alles gar nicht so richtig vorstellen, sondern erst, wenn man es selbst sieht. Dann ist alles ganz anders, so real." Es ist ein Unterschied, die halbnackten Gefangenen daheim im Warmen auf den Fotos zu sehen oder selbst mit fünf Schichten Kleidung übereinander am Ort des Geschehens zu stehen und trotzdem noch zu frieren.

Auschwitz, so Maren Bergmann, war ein NS-Vernichtungslager, "unvorstellbar groß", in dem die SS-Wachen noch ihre Witze machten über die ausgemergelten Gefangenen und Todeskandidaten. "Es ist nicht nachzuvollziehen, dass hier jemand gelebt hat." Zweimal am Tag war ein WC-Gang erlaubt, eine Sammeltoilette für 200 Menschen ohne den Hauch jeglicher Privatsphäre; die Kinder lebten auf dem Steinboden eines ehemaligen Pferdestalls. Als der Blick der Schülerinnen auf eine rote Gedenkrose fiel, flossen die Tränen. Und nicht nur dann. Solche emotionalen Ereignisse bereiteten die Schülerinnnen mit ihren Lehrern und Betreuern abends in gemeinsamen Gesprächen auf. Ein Höhepunkt der fünftägigen Reise stellte die Begegnung mit der heute in Krakau lebenden Lidia Maksymowicz dar. Mit der in den Arm eingravierten Häftlingsnummer 70072 gehört sie zu den letzten Überlebenden des Auschwitz-Holocaust. Als dreijähriges Kind zusammen mit Mutter, Großeltern und einem Bruder als sogenannte Partisanenfamilie in Weißrussland verhaftet, überlebte sie das Grauen im KZ Auschwitz-Birkenau, wuchs nach Kriegsende bei einer polnischen Pflegefamilie auf und hatte erhebliche Probleme, sich wieder in ein ziviles Leben einzugewöhnen. "Sechs Monate lang konnte sie nicht mit anderen Kindern spielen, weil in den Baracken jeder für sich gelebt hat. Die Kinder hatte es verlernt", berichtet Lara. Die Erinnerungen hielten an: Nach der Befreiung spielte Lidia mit anderen Kindern auf den Straßen Konzentrationslager statt mit Puppen. Und dennoch: Jetzt im Gespräch mit den jungen Xantenerinnen strahlte Lidia Maksymowicz Freude aus, war gegenüber dem heutigen Deutschland nicht verbittert.

Nach der Rückkehr nach Xanten beurteilten Eltern und Schülerinnen die Fahrt nach Polen. Das Resultat sind viele gute Beurteilungen für die Betreuung, für das eindrucksvolle und sehr informative Programm. "Die Gruppe hat sich dort auch ganz anders kennengelernt", urteilt Geschichtslehrer Jörg Heinemann, "und sich emotional sehr geöffnet". Er wird das Thema Nationalsozialismus und Rechtsradikalismus im Unterricht weiterverfolgen, von der Wannsee-Konferenz, die 1942 erst die Grundlagen für die Judenvernichtung gelegt hat, bis zur heutigen Situation. Außerdem ist eine Wiederholung der Fahrt nicht ausgeschlossen.

(pek)
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