Xanten Ein Hof-Abend voller anspruchsvoller Lyrik

Xanten · Marion Poschmann las auf dem Meersenhof in Wardt aus ihrem Gedichtband.

An diesen Abend wird die Familie Scholten aus Wardt sich wohl noch sehr lange erinnern. Denn mit Marion Poschmann war ein absoluter Topstar der deutschsprachigen Literaturszene zu Gast auf dem Meersenhof. Die mit zahlreichen Preisen und Stipendien ausgezeichnete Berlinerin zählt derzeit zu den bedeutendsten Lyrikerinnen des Landes.

Auf Einladung von "Kultur in der Ebene", einem von acht Kulturvereinen aus den Kreisen Kleve und Wesel ins Leben gerufenen Kunstprojekt, las Marion Poschmann auf dem Hof in Wardt aus ihrem eigenen Gedichtband "Geliehene Landschaften". Neun Kapitel mit jeweils neun Gedichte führen den Leser in Parks und Gärten von Helsinki über Berlin bis nach Kyoto. Die Gäste führte der Weg zunächst in die gute Stube der Scholtens. "Die Veranstaltungen dieser Reihe finden alle auf Bauernhöfen statt. Dort ist die Hemmschwelle niedriger, und es kommen vielleicht Menschen, die sonst nicht zu einer Lesung gehen. Einzige Bedingung: Die Eigentümer müssen ihr Wohnzimmer leer räumen", erklärte Moderatorin Carla Gottwein.

Dass die 30 Besucher gemessen am Renommee der Künstlerin einen eher bescheidenen Zuspruch darstellten, liegt am Stand des Genres. "Lyrik ist die Königsdisziplin der Literatur, aber dafür wird sie nicht so viel gelesen. Der Trend geht auch hier weg vom Buch zum Event", sagt Marion Poschmann.

Einen weiteren Aspekt für die vergleichsweise geringe Wertschätzung der Lyrik sieht die Autorin in der zunehmend knapper werdenden Freizeit der Leser: "Für Lyrik muss man sich Zeit nehmen. Sie entfaltet ihre Wirkung und Struktur erst nach mehrmaligem Lesen. Ich mache deshalb immer wieder Pausen, damit die Zuhörer sich die Gedichte aneignen können." Wortgewaltig, akzentuiert und stets mit einem Lächeln im Gesicht las die gebürtige Essenerin über einen Park in Kaliningrad, in dem "Chrysanthemen-Chruschtschow" und "Petunien-Lenin" blühen.

Den Hintergrund des Gedichtes lieferte die Autorin dann auch gleich hinterher: "Ich habe für die Recherchen den Gorkipark in Moskau besucht. Dort sind tatsächlich Blumenrabatten so angelegt, dass sie die Köpfe von Politikern, Panzern und Traktoren darstellen. Nach diesem Beispiel ist auch der Park in Kaliningrad angelegt." Für das "Lehrgedicht" hat sich Poschmann von einem Kindergarten in Berlin Lichtenberg inspirieren lassen, dessen Außenfassade aus in Beton gegossenen Blättern bestand. Dabei wird deutlich, dass Lyrik durchaus auch politisch sein darf. "Es heißt doch Kinder Garten, aber was ist das für eine Erinnerung für ein Kind, wenn es wie eine Pflanze in diesen Garten gesetzt wird?" Auf geradezu geniale Weise gelingen Marion Poschmann die Metaphern zwischen Mensch und Natur, zwischen blühenden Gärten und urbaner Sinnlosigkeit. Sätze wie: "Die Kindheit ist ein unkontrollierbarer Zweig am Baum des Lebens" dürfen dabei durchaus als Aufforderung zu einem Umdenken verstanden werden.

(RP)
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