Serie Mein Engel "Einer allein kann doch kein Engel sein"

Xanten · Maria Thielen (66) gehört zum Seelsorgeteam im Altenpflegeheim des Marienstifts in Alpen. Sie schmückt mit ihnen die Kapelle, spricht über das Evangelium, singt und betet mit ihnen. Die Bewohner haben sie längst ins Herz geschlossen.

Der morgendliche Gottesdienst in der kleinen Kapelle des Marienstifts ist zu Ende. Er ist gut besucht. Pastor Georg Zylinicki, Pfarrer von St. Peter Büderich, ist sehr beliebt bei den alten Leuten. "Der hat eine tolle Stimme. Der brummt wie ein Kosake", sagt Elisabeth Riedl (86), die hier alle nur "Lissi" nennen. Lissi lebt seit sechs Jahren hier im Altenpflegeheim. Seit einem Schlaganfall sitzt sie im Rollstuhl. Maria Thielen (66) schiebt sie nach hinten in die Kapelle zum Plaudern über Gott und die Welt. "Die ist total in Ordnung", sagt Fine Tooten (86) über den guten Geist im Seelsorgeteam des Stifts.

Auch Marianne Jülich findet nur lobende Worte für die Seelsorgerin, die sich an drei Tagen in der Woche um das geistliche Wohl der Bewohner kümmert. Marianne Jülich ist mit 79 Jahren die Jüngste in der lockeren Witwen-Runde im Anschluss an die heilige Messe. Auch sie sitzt im Rollstuhl.

Die Stimmung ist aufgeräumt. "Ich habe mit einem Toten geheiratet", sagt Fine Tooten trocken, um die Herkunft ihres Namens zu erklären. Den Witz hat die Frau sicher schon oft gemacht. Sie hat früher in Menzelen gelebt und ist, als es nicht mehr allein ging Zuhause, ins Marienstift umgezogen. "Erst war alles fremd", erzählt die 86-Jährige, die so gern lacht, auch über sich selbst. "Erst war alles fremd", erzählt sie über die Zeit, als sie vor ein paar Jahren aus dem Krankenhaus herkam. "Aber abends vorm Einschlafen hab' ich dem Herrgott dafür gedankt, dass ich hier sein kann."

Dass sich alle so sichtlich wohlfühlen, liegt vor allem an Menschen wie Marie Thielen. "Die ist immer für uns da", sagt Lissi. Sie kennt Maria Thielen schon eine kleine Ewigkeit. Sie hat das Nachbarmädchen mit ihren eigenen Kindern in Alpen aufwachsen sehen.

Maria Thielen ist gelernte Heilpädagogin, hat eine theologische Ausbildung absolviert und zunächst an einer Sonderschule im Münsterland gearbeitet, ehe sie nach Brasilien ging. 20 Jahre hat sie im Inneren des riesigen Landes in der Sozialpastoral gearbeitet. Hier lernte sie ganz andere, freiere, gelöstere Formen des Glaubens kennen, als sie sie in der Heimat erfahren hatte. "Brasilien hat mich geprägt", sagt sie.

Als sie vor acht Jahren aus Südamerika an den Niederrhein zurückkehrte, habe der damalige Pastor von St. Ulrich, Helmut Grauten, sie gefragt, ob sie sich vorstellen könnte, sich und ihre Erfahrung im Marienstift einzubringen. Maria Thielen hat's gemacht. Seither will sie hier keiner mehr missen. Alle hoffen, dass sie noch lange kommt.

"Mit 66 fängt das Leben doch erst an", zitiert Lissi Riedl einen Titel von Udo Jürgens und lacht. Zu viel Lob möchte die 66-Jährige nicht für sich allein beanspruchen. Sie versteht sich als Team-Player, wie man heute sagen würde. "Hier gibt es so viele, die jeden Tag Gutes tun", sagt Maria Thielen. "Die, die tagtäglich in der Pflege arbeiten", hätten mehr Anerkennung verdient.

Sie kümmert sich mit drei anderen - "es geht Hand in Hand" - um den Glauben. Das kann ganz unterschiedlich aussehen. Ganz praktisch, wenn zu kirchlichen Hochfesten wie zuletzt an Ostern die Kapelle geschmückt wird, helfen alle, die möchten, mit. Donnerstag ist Bibelstunde. Es wird gebetet und gesungen, Fürbitten formuliert oder über das Evangelium des kommenden Sonntags gesprochen.

Credo der Seelsorgerin ist die "Goldene Regel" aus Bergpredigt, die nicht Strenge meint. Maria Thielen beginnt den biblischen Vers, wie er zur Volksweisheit geworden ist: "Was Du nicht willst, das man Dir tut . . ." Die drei alten Frauen vollenden den Satz im Chor.

Ganz oben in der Beliebtheitsskala steht eine "liebe Frau". Maria Thielen. "Wenn man in der Kapelle sitzt, spürt man, wenn sie da ist, auch wenn man sie noch nicht sieht", sagt Marianne Jülich. "Das ist ein schönes Gefühl." Mehr Kompliment geht nicht. Doch die, der es gilt, wehrt bescheiden ab. "Ein Engel kann doch nicht einer alleine sein." Jeder Mensch sei auf einzigartige Weise ein Heiliger. Auch wenn keiner - "auch ich nicht" - ohne Macke sei. Brasilianer hätten dafür den Begriff "santos pecadores" - heilige Sünder, ein anderes, portugiesisches Wort für Engel auf Erden. Ihre Schwester, so erzählt, Marianne Jüchen leise, gerate ins Schwärmen, wenn sie zu Besuch sei. "Das ist bei Euch wie im Paradies." Nicken in der Runde. Maria Thielen freut's. "Positive Rückmeldungen" der Menschen, die ihr anvertraut seien, seien für sie eine Triebfeder: "Ein Lächeln ist so wertvoll."

Das gelte auch für den Bereich, in dem sie sich außerhalb des Stifts engagiert: die Flüchtlingshilfe. Die Menschen, lassen sie nicht gleichgültig. "Es ist toll, dass sich hier so viele um die Flüchtlinge kümmern", sagt die Heimkehrerin. "Ich war in Brasilien auch eine Fremde und auf Menschen angewiesen, die mich aufgenommen haben." Das wird die "santa pecadora" nie vergessen.

Bernfried Paus

(RP)
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