Auf Tour mit dem Alt-Bürgermeister von Sonsbeck Als es am Aussichtsturm zum Himmel stank

Sonsbeck · Eine Tour mit Sonsbecks Alt-Bürgermeister Leo Giesbers durch seine Heimatgemeinde und ihre lange Geschichte - ein Gespräch über Heimatgefühle, Plattdeutsch und die Sorge um dörfliche Traditionen.

 Leo Giesbers genießt als Privatier die Zeit - auch radelnd.

Leo Giesbers genießt als Privatier die Zeit - auch radelnd.

Foto: Fischer

Auf dem Bögelscher Weg irgendwo zwischen Römer- und Aussichtsturm. Auf der schmalen Straße kommt ein kleiner Kipplaster. Das freundliche Winken aus dem Führerhaus gilt Leo Giesbers, der auf Schusters Rappen die leichte Steigung bewältigt. "Ich kenne den Fahrer. Wenn er Zeit hätte, würde er jetzt anhalten, und wir würden über Borussia und Schalke sprechen", sagt der Alt-Bürgermeister und winkt zurück. "Solche Begegnungen machen für mich auch Heimat aus. Überall trifft man Leute, die man kennt, mit denen man auf der Straße spricht." Darum fühlt er sich in Sonsbeck zu Hause. Kein Vergleich zur großen Karnevalsveranstaltung in Aachen, die der heute 66-Jährige mal besucht hat. Rund 2000 Menschen in der Halle und an der Theke, die sich eher fremd waren. Dann lieber in die heimischen Säle, wo fast jeder jeden irgendwie kennt.

Leo Giesbers ist ein durch und durch heimatverbundener Mensch. Mitte der 70er Jahre verschlug es ihn mit Frau Marianne von Uedem ins Sonsbecker Rathaus. Seitdem wohnen die beiden in dieser "Grünen Perle am Niederrhein", so der Werbeslogan, mit dem die Gemeinde Touristen lockt. Jetzt, nachdem er nach fast 20 Jahren das Bürgermeisteramt an Heiko Schmidt abgetreten hat, ist er fast täglich an der frischen Luft, der Gesundheit wegen, aber auch, weil er die Region liebt.

Mal mit dem Rad, mal zu Fuß. Wie jetzt auf dem Weg hoch zur Kuppe. "Er ist eine Besonderheit am Niederrhein. In der vorletzten Eiszeit sind die skandinavischen Gletscher bis hierher gekommen und haben unsere Hügellandschaft geschaffen", sagt er. Und schmunzelt über die Legende, nach der der Teufel auf seiner Wanderung aus Holland hier seine Holzklompen ausgeklopft hatte. Zurück blieben dicke Lehmklumpen und damit das, was heute Sonsbecker Schweiz heißt.

Das niederrheinische Platt beherrscht Leo Giesbers aus dem Eff- Eff. Leider sei die Mundart fast untergegangen, bedauert er. Kinder können kaum noch Platt. In Landstrichen wie Bayern zum Beispiel sei es hingegen auch bei den Jüngeren üblich, Heimatdialekt zu sprechen.

Der Aussichtsturm kommt näher. Er ist gesperrt. Sonsbeck hofft auf einen neuen. Schon zu Kaisers Zeiten hatte auf der anderen Seite der Straße eine solche Plattform gestanden, die in den 30er Jahren zerfiel. Nach dem Zweiten Weltkrieg dauerte es lange, bis am jetzigen Standort ein neuer Turm hochgezogen wurde. Im Kalten Krieg befürchtete man Spionageaktivitäten durch den Blick auf ein Nato-Gelände.

Anfang der 80er waren alle militärischen Bedenken ausgeräumt, der Turm stand. Zum Leidwesen einiger Anwohner, erzählt Giesbers. Landwirte fürchteten, dass ein Touristenstrom an den Äckern vorbeiziehen würde. Am Tag der Einweihung hat es gewaltig zum Himmel gestunken. Unbekannte hatten unter den Stützpfeilern ein Güllefass geleert. "Vielleicht ein Streich. Bis heute haben alle dichtgehalten", sagt der gelernte Industriekauf- und Verwaltungsfachmann schmunzelnd. Weiter führt der Weg über den noch recht jungen Findlingsweg zur Gerebernuskapelle - eines der wenigen historischen Gebäude der Gemeinde, die gegen Kriegsende zu 80 Prozent zerstört wurde.

Die erste Kirche Sonsbecks anno 1203 besaß früh die Pfarrrechte. Davon ausgenommen war die Erteilung der Sterbesakramente. Hierfür musste der Seelsorger aus Xanten gerufen werden. Es ging um viel Geld. Damals vermachten wohlhabende Menschen der Kirche oft Geld und Grundstücke in der Hoffnung auf ein gutes Leben im Himmel. Das wollte sich die Xantener Kirche nicht entgehen lassen.

Gegenüber vom Eingang steht der Kriechaltar. Gläubige krochen unter der Altarplatte durch, um Buße zu tun und der Reliquie des Hl. Gerebernus nahe zu sein. Der dunkle Boden hat Rillen. Angeblich von den Spitzen der Holzpantinen, die beim Kriechen die Steinplatten einritzten. "Da müssen ganz schön viele Klompen verbraucht worden sein. Giesbers kann sich ein Lächeln nicht verkneifen. Er glaubt, dass die Spuren von einem Gatter stammen, das hin- und hergeschoben wurde. Die Wanderung endet auf dem angrenzenden Friedhof. "Einer der schönsten am Niederrhein, mehrfach ausgezeichnet", so der Heimatmensch. Im neuen, hinteren Teil führen die Wege in Kurven an den Gräbern vorbei, die keine Abgrenzungen haben sollen. Die Grabsteine sind naturbelassen, nicht poliert. "Es lohnt sich immer, zu kommen. Ich nehme gern Leute mit."

Leo Giesbers ist nur noch Privatier. Die Gemeinde sieht er gut aufgestellt. Keine Schulden, die Einwohnerzahl steigt. Er sorgt sich um heimatliche Veranstaltungen. Es werde schwieriger, für die Bühne Eigengewächse zu finden, so der langjährige Sitzungspräsident im Karneval. Vorbei die Zeit, als die Menschen morgens um vier für Eintrittskarten Schlange standen.

(pek)
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