Lokalsport "Alte Knaben" fit wie ein Turnschuh

Lüttingen · Der SSV Lüttingen feiert Mitte September seinen 90. Geburtstag. Eingeladen sind auch die Senioren, die sich dienstags in der Turnhalle der Grundschule treffen, um gemeinsam Sport zu treiben. Der Kursleiter ist 82 Jahre alt.

 Kopfüber bei gestreckter Haltung in den Ringen: Kein Problem für Gerd Kühne (rechts/82 Jahre) und Erich Sauermann (63).

Kopfüber bei gestreckter Haltung in den Ringen: Kein Problem für Gerd Kühne (rechts/82 Jahre) und Erich Sauermann (63).

Foto: Fischer

Gerd Kühne sieht man sein Alter absolut nicht an: Drahtig kommt er daher, aufrechte Haltung, kein Gramm Fett zuviel. Bauch(ansatz)? Fehlanzeige! Der Mann ist 82 und trainiert seit drei Jahren jeden Dienstagnachmittag in der Turnhalle Männer, die ähnlich alt sind wie er und einfach nur eines wollen: Fit und aktiv bleiben. Zur Zeit sind es elf Männer - der jüngste, Johannes Krötz, ist 59, Rudi Lorenbeck und Alwin Laux sind mit 83 die ältesten.

Vor jeder Stunde laufen sie sich erstmal ein paar Runden warm, zwischendurch Hände, Schulter, Arme lockern, die Beine leicht gegrätscht, den Oberkörper nach unten schwingen lassen, die Hände berühren den Boden. Die Hände wohlgemerkt, nicht nur die Fingerspitzen!

"Als Schulkind war ich steif wie 'ne Brechstange. Sport hab' ich erst mit 15 angefangen. Leichtathletik - für Fußball war ich nicht zu gebrauchen", erzählt Gerd Kühne, der Tischler und Zimmermann gelernt hat und sich eigentlich selbstständig machen wollte. Aber "die Frau hatte Angst, dass ich vom Dach falle". Also hat er in Neukirchen-Vluyn als Hausmeister an einer Realschule gearbeitet, wurde 1996 pensioniert und zog mit seiner Frau nach Melle (Niedersachsen), wo er eine alte Wassermühle restauriert und wieder aufgebaut hat. Vor drei Jahren sind die beiden zurück an den Niederrhein gekommen, weil die drei Kinder (und inzwischen vier Enkel und ein Urenkel) auch hier leben.

Als er bei einem Stadtfest in Melle die "Alten Knochen" des niedersächsischen Turnerbundes beim Barrenturnen gesehen hat, alle über 70 Jahre alt, "da hat mich der Hafer gestochen". Da hat er erst einmal sich selber wieder beweglich, einen Übungsleiter C-Schein (Fitness/Gesundheit für Erwachsene) gemacht und 2007 eine Gruppe für alte Knaben gegründet. Den Übungsleiter-A-Schein hatte er schon 1972 in Duisburg beim Landessportbund gemacht und 22 Jahre eine Männergruppe der KAB Neukirchen trainiert. Den B-Schein (Gesundheitssport für Ältere) hat er auch. Kaum in Xanten heimisch geworden, hat sich Gerd Kühne auf den Weg zum SSV Rheintreu Lüttingen gemacht und lief beim Vorstand offene Türen ein. "Wir haben mit fünf, sechs Leuten gerechnet, aber deutlich mehr sind gekommen". Und sie sind alle verdammt fit, genau wie der Übungsleiter, der mal eben in den Kopfstand geht und für den es auch kein Problem ist, in gestreckter Haltung kopfüber in den Ringen zu hängen. Medikamente? Nimmt er nicht. "Der Körper muss sich selber heilen", findet der 82-Jährige, der vor dem Frühstück zur Entschlackung einen Apfel isst und ein Glas Apfelessig trinkt, viel Rad fährt und wandert.

Auch Rudi fährt gerne Fahrrad, ist mit dem Drahtesel von Wardt um die Nordsee herum zum Turnen nach Lüttingen gefahren. Mit dem E-Bike, oder? "Nee, mit meinem Sportrad", sagt er, lacht und läuft augenzwinkernd zu seinem Platz. Blaue Matte, davor ein kleiner Kasten, oben gepolstert. "Auf den Rücken legen, den Körper gerade ausrichten, die Füße auf den Kasten, den Po hoch, den Körper anspannen", gibt Gerd Kühne das Kommando. Kein Problem für die "Alten Knaben".

"Mit dem Rücken zur Matte auf den Kasten setzen, die Füße auf den Boden, den Oberkörper langsam so weit nach hinten lehnen wie ihr könnt, die Bauchmuskeln anspannen und wieder hochkommen": Rudi und seine Mitstreiter tun, wie ihnen der Coach geheißen. Und das nicht etwa mit hochrotem Kopf, sondern scheinbar mühelos. Gebeugte Körperhaltung? Buckel gar, sogenannter Witwenrücken? Gibt's nicht bei den Männern zwischen 59 und 83 Jahren.

"Wir trainieren die Koordination, die Beweglichkeit der Wirbelsäule, bauen Muskeln auf - was alles bei den alten Knochen noch so möglich ist", erzählt Gerd Kühne, lacht und kramt ein DIN-A4-Blatt aus seiner Sporttasche, auf dem er handschriftlich notiert hat, was er in der Stunde machen will. Die Fußspitzen in die Matte bohren, die Hände auf den Kasten, langsam aufrichten, nach vorne trippeln: Jetzt wollen die "Alten Knaben" aber mal ne kurze Pause, um 'was zu trinken. "Wir machen weiter, bis wir umkippen", sagt Rudi, packt die Wasserflasche wieder ein - und weiter geht's.

(jas)
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