Xanten Xantens Jugend wenig kriegsbegeistert
Xanten · Viele drückten sich vor der sonntäglichen Vorbereitung auf den "Einsatz am Vaterland". Nur patriotische Lieder erlaubt.
Mit der Mobilmachung am 2. August 1914 veränderte sich auch das Leben in Xanten erheblich. Männer der Jahrgänge 1894 bis 1889 erhielten ihren Einberufungsbefehl, weitere meldeten sich freiwillig. Der Hurra-Patriotismus zu Beginn des Ersten Weltkrieges machte vor der Bevölkerung des dörflichen Xantens nicht Halt, konzentrierte sich allerdings vor allem aufs Bürgertum.
Die Führung der Stadt unternahm alles, um die nationale Euphorie zu stärken. Da hatte zu fröhliche Musik keinen Platz, wie der stellvertretenden Bürgermeister Theodor Gesthuysen am 18. Februar 1915 fand: "Es entspricht nicht dem Ernste der Zeit, dass in den Wirtshäusern auf mechanischen und anderen Musikinstrumenten Melodien von Gassenhauern, Tänzen und dergleichen gespielt und von anwesenden Gästen gesungen werden." Nur patriotische Lieder und ernste Choräle wären akzeptabel. Die Einberufungen nach den hohen Menschenverlusten im Osten und Westen hinterließen immer mehr ihre Spuren in der Xantener Gesellschaft. Neue Männer mussten in den Schützengräben die Toten und Verletzten ersetzen. Entziehen konnte sich keiner. Wer zur Musterung nicht erschien, erhielt eine Geld- oder sogar Gefängnisstrafe. Jeder Mann wurde gebraucht; sogar "Epileptiker, die selten oder nur nächtliche Anfälle" hatten, wurden zum militärischen Dienst herangezogen.
Das Militär zog auch die Jugendlichen in ihre Planungen mit ein. "Sie sollten ganz im Geist der militärischen Zeit erzogen beziehungsweise auf ihren späteren Einsatz am ,Vaterland' vorbereitet werden", schreibt Matthias Heimbach in seiner Magisterarbeit über den Ersten Weltkrieg in Xanten. Allerdings war der Erfolg der neu gegründeten Jugendwehren "kläglich und beschämend", wie es im Kommentar eines Stadtsekretärs hieß. Mangels Beteiligung mussten in Alpen sogar Übungen eingestellt werden.
Einerseits waren die Jungen auf den Feldern und den handwerklichen Betrieben unentbehrlich. Andererseits hatten sie wenig Lust, sich am freien Sonntag vormilitärisch ausbilden zu lassen. Heimbach: "Sie gingen lieber ihren eigenen Freizeitbeschäftigungen nach, spielten Fußball oder entspannten sich einfach von der Woche."
Hinzu kam eine gewisse Abneigung der Menschen gegenüber den Verpflichtungen in einem Verein. Ihre Mitglieder nahmen anscheinend nur ungern zusätzliche Aufgaben an und fügten sich kaum den Anordnungen der jeweiligen Vereinsleiter. "Da sich das Xantener Volk für Stadtsekretär Zuborg in dieser Hinsicht als sehr antiautoritär erwies und sich nicht seiner ,Pflichten' bewusst war, blieb die Lösung für ihn nur die Einführung einer zwanghaften Teilnahme an der Jugendwehr", sagt Heimbach. Der Appell an die Opferbereitschaft blieb ungehört; die Jugendlichen akzeptierten lieber den Arrest, hatten sie doch dadurch einen freien Tag und konnten sich von den Strapazen ihrer Arbeit erholen. Vor allem die Landwirte standen dem Krieg skeptisch gegenüber. Ihre Vorbehalte waren auch angebracht, wie sich herausstellen sollte. Denn die Kämpfe auf den europäischen Schlachtfeldern entzog ihren Betrieben immer mehr männliche Arbeitskräfte. Statt dessen mussten die Bäuerinnen verstärkt die Erntearbeit alleine bewältigen. "Das war für viele unrealisierbar und führte zu einer pessimistischen Grundhaltung", sagt Historiker Heimbach. "Von einem ausgeprägten, alle Bevölkerungsschichten umfassenden Kriegsenthusiasmus kann hier deshalb nicht die Rede sein": Existenzsorgen griffen um sich.
Die Serie basiert auf der Magisterarbeit von Matthias Heimbach über Xanten im Ersten Weltkrieg, veröffentlicht im Oktober 2009.