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Beim Kanzlerbungalow in Bonn setzte Bundeskanzler Ludwig Erhard (1963-1966) auf einen Stil der Zurückhaltung.

 Kanzlerbungalow Bonn

Kanzlerbungalow Bonn

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<p>Beim Kanzlerbungalow in Bonn setzte Bundeskanzler Ludwig Erhard (1963-1966) auf einen Stil der Zurückhaltung.

Ludwig Erhard hatte niemand die "flache Kiste" zugetraut, die schon vor dem Einzug 1964 verspottet wurde und Architekturdebatten auslöste. "Fort sind die Spitzendecken des Erhardschen Hauses auf dem Venusberg", schrieb die "Quick", und "Bild" titelte: "Erhard wohnt wie ein Maulwurf." Der "Stern" schrieb "Ludwigslust und spätes Leid" über einen Artikel zum Kanzlerbungalow, die "Süddeutsche Zeitung" forderte: "Kein deutscher Kanzler sollte je in diesen Bungalow verbannt werden." Auch höhere Beamte und Politiker echauffierten sich: Norbert Blüm (CDU) sprach vom "Charme einer Hundehütte", der Botschafter Hans-Werner Graf von Finckenstein hielt den Bungalow gar für ein "Mahnmal der Hässlichkeit".

Nur die Feuilletons fanden lobende Worte: "Wer nicht sieht, dass dieses Haus schön ist, muss schon ein dickes Brett vor dem Kopf haben", schrieb die "Zeit", und die FAZ schwärmte vom "Bescheidenheitsgestus des deutschen Bundeskanzlers, vom Zeichen des Nichtmehrnötighabens dessen, was die unsichereren Generationen zuvor noch an Schutzwällen aus Material und Symbolik um sich brauchten."

Man muss sich einmal in diese Zeit zurückversetzen. Das Wirtschaftswunder hatte die Deutschen nach den Schrecken des Krieges erfasst. Mit ersten Ersparnissen erwarb man einen VW-Käfer, ein neues Wohnzimmer, eine Küchenzeile und für die Kinder ein Klappbett. Damals lebte Deutschland mehrheitlich in Eiche und Resopal. Anders der barock wirkende Kanzler, der einmal sagte, dass man mehr über ihn erfahren könne beim Blick in seinen Bungalow als beim Hören seiner Reden. Erhard erwählte als Architekten den Münchner Sep Ruf (1908-1982), der schon sein Privathaus gebaut hatte, sein Nachbar am Tegernsee und ein Avantgardist war. Maßgerecht und maßvoll sollte das erste Kanzlerdomizil der jungen deutschen Bundesrepublik mit Repräsentationstrakt ausfallen, ohne Sockel und menschliches Übermaß, nüchtern, klar, transparent, funktional. Gebaute Diplomatie.

"Form follows function" hieß das Gebot der Architekturpioniere Mies van der Rohe und Walter Gropius, die Sep Rufs Helden waren, an die er stilistisch anschloss. In das liebliche Wiesengelände am Rhein mit kostbarem Baumbestand goss er seine Form, zwei Quadrate mit Flachdach. Die Fenster reichen vom Boden bis zur Decke, die Raumabfolge ist fließend, Schwellen gibt es nicht. Das Haus öffnet sich der Außenwelt, und die Außenwelt kann dem Kanzler bis auf den Teller schauen. Die Stahlskelett-Konstruktion nimmt dem Kanzlerbungalow alles Massive, sie verleiht ihm Leichtigkeit.

Über Geschmack lässt sich trefflich streiten. Was Erhard gefiel, missfiel meist seinen Nachfolgern. Georg Kiesinger fand es unbehaglich, er ließ umbauen. Nur Helmut Schmidt fühlte sich wohl, er spielte auf dem Flügel, und seine Frau bekam eine Teeküche. Willy Brandt bewohnte wegen einer Pollen-Allergie das Haus erst gar nicht, sondern repräsentierte dort nur. Helmut Kohl lebte am längsten im Kanzlerbungalow und griff am stärksten ein in die Möblierung. Er fand das Haus "absurd". Nichts blieb mehr, wie es einmal war: Statt der Möbelklassiker von US-Designer Charles Eames gab es Weiches, Gediegenes. Stühle und Wände wurden mit Stoff bespannt, die Bilder an den Wänden ausgetauscht. Kohl mochte es kuschelig. Der Kanzler der Einheit brachte in winzigen Gästezimmern das belgische Königspaar und Japans Tenno unter. 1989 besprach Kohl spätabends im Park mit Gorbatschow den Fortgang der Deutschen Einheit. Dass die diplomatischen Beziehungen gehalten haben, grenzt an ein Wunder.

Gerhard Schröder zog angesichts des anstehenden Umzugs nach Berlin erst gar nicht ein, sondern ließ Kohl weiter dort wohnen. Der Architekt des Berliner Bundeskanzleramtes kommentierte den Ortswechsel treffend: "In Bonn hatten die Staatsgebäude lässig wie die Kühe auf der Weide gelegen, in Berlin kommt es darauf an, Staat zu zeigen." Doch der Kanzlerbungalow drohte zu verfallen. Dank der "Wüstenrot"-Stiftung und dem Bonner "Haus der Geschichte" wurde die unter Denkmalschutz stehende Schaltstelle deutscher Macht erhalten. Wer heute über den Travertinboden läuft, durchschreitet mit den politischen Epochen Episodisches, typisch Deutsches. Da knistert Geschichte.

Über Geschmack lässt sich trefflich streiten. Aber; Da knistert Geschichte.

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