Top 10 Rheinland Die Müngstener Brücke in Solingen

Kalt und kantig fühlt sich der Stahl der Müngstener Brücke an. Kein Material für zarte Hände. Kein Ort für zarte Gemüter sind die Brückenpfeiler in etwa der Höhe von 50 Metern. Verbotener Weise kann man sich an kleinen Gestängen hinaufziehen. Höher und höher. Die Wupper, die unter der Brücke hindurchfließt, wird kleiner und schmaler. Und dann schwankt die Erde. Das Stahlgerüst zittert und rumpelt. Fest klammert man sich an die scharfkantigen Träger, wenn die Regionalbahn, oder besser noch ein Güterzug, von Solingen nach Remscheid über die Gleise fahren. Wie elastisch Stahl sein kann! Gefühlt einen Meter schwingt er hin und her. Den Jubel über dieses gigantische Gefühl und die erhabene Aussicht über das Bergische Land verschluckt der kollernde Lärm der Eisenbahnräder.

 Müngstener Brücke

Müngstener Brücke

Foto: Jürgen Moll

<p>Kalt und kantig fühlt sich der Stahl der Müngstener Brücke an. Kein Material für zarte Hände. Kein Ort für zarte Gemüter sind die Brückenpfeiler in etwa der Höhe von 50 Metern. Verbotener Weise kann man sich an kleinen Gestängen hinaufziehen. Höher und höher. Die Wupper, die unter der Brücke hindurchfließt, wird kleiner und schmaler. Und dann schwankt die Erde. Das Stahlgerüst zittert und rumpelt. Fest klammert man sich an die scharfkantigen Träger, wenn die Regionalbahn, oder besser noch ein Güterzug, von Solingen nach Remscheid über die Gleise fahren. Wie elastisch Stahl sein kann! Gefühlt einen Meter schwingt er hin und her. Den Jubel über dieses gigantische Gefühl und die erhabene Aussicht über das Bergische Land verschluckt der kollernde Lärm der Eisenbahnräder.

Gemütlichere und entspanntere Erfahrungen mit Deutschlands höchster Eisenbahnbrücke sammelt man in der ersten Etage des Hauses Müngsten. Der Kollos aus Stahl, Nieten und Gelenken zeigt sich dort ganz filigran und zart. Ohne Überheblichkeit und mit Selbstbewusstsein zieht sich die Brücke über 465 Meter, gestützt von einem geschmeidigen Rundbogen. Das Berliner Architektenbüro Loidl hat das am Ufer der Wupper gelegene Haus Müngsten ganz in Korrespondenz zu Brücke gebaut. Rostbrauner Corten-Stahl verkleidet den zweistöckigen Bau. Das Material und die offene und kantige Bauweise vermeiden jeden Anflug von spießigem Ausflugslokal.

Große Glasscheiben und eine Terrasse geben den Blick frei auf das Stahlbauwerk. Es ist im Geiste so etwas wie eine kleine Schwester des Eifelturms. In einem Besucherraum auf dem Pariser Wahrzeichen hängt eine Fotografie der Brücke. In der Konstruktionsart gibt es ästhetische Parallelen. Eisern ging es damals in die neue Zeit, ins 20. Jahrhundert.

Vor 118 Jahren, am 15. Juli 1897, fuhr der erste Zug über die Brücke. Das Bauwerk galt als Ausweis großer deutscher Ingenieurskunst im Bergischen Land, wo die Tüflter und Entwickler bis heute leben. So wie die Schwebebahn in Wuppertal die Verkehrsprobleme im engen Tal der Wupper löste, so schloss die Brücke eine wichtige Lücke im Eisenbahnnetz zwischen Solingen und Remscheid. Die bergische Industrie brauchte schnellere Wege für ihren globalen Handel mit Werkzeugen.

Der Bauplan des Baumeisters Anton von Rieppel sah vor, die Arbeiten sowohl von der Remscheider wie von der Solinger Seite aus zu beginnen. In der Mitte sollten sie sich treffen. Eine solche spektakuläre Unternehmung heizte bereits während der Bauzeit die Gerüchteküche an. Schnell machte die Geschichte die Runde, der leitende Baurat Illing habe sich erschossen, als er plötzlich erkannt zu haben glaubte, dass sich die beiden seitlichen Bauteile nicht passgenau in 107 Meter Höhe in der Mitte treffen. Eine weitere Geschichte rankt um den Selbstmord des Baumeisters am Abend vor der ersten Probefahrt. Seinen statischen Berechnungen habe er nicht mehr vertraut. Er fürchtete, die Stahlkonstruktion könne die Tonnenlast einer Dampflok nicht aushalten. Spannende Geschichten, die auch nach über hundert Jahren noch im Umlauf sind. Aber keine davon ist wahr. Ingenieur Anton von Rieppel hat die Probefahrt im Juli 1897 wohl mit Stolz genossen und die Gerüchte über seinen "Selbstmord" 30 Jahre überlebt, dekoriert mit vielen Orden.

Die Brücke erhebt Anspruch auf Ewigkeit. Ihr Fortbestand jedoch war bisher drei Mal in Gefahr. Im Zweiten Weltkrieg haben die Bomben englischer Piloten ihr Ziel verfehlt. Dafür wollten aber deutsche Soldaten die Brücke sprengen, um den Einmarsch der Alliierten zu verzögern. Geschickte Verzögerungen des Sprengbefehls verhinderten in den letzten Kriegswochen die Sprengung.

Kurzzeitig schien es vor ein paar Jahren, dass Alterschwäche die über Hundertjährige in die Knie zwingen könnte. Die sogenannten Rollgelenke waren nicht mehr elastisch genug, um die Schwingungen der Züge abzufedern. In den Büros der Deutschen Bahn kursierten Pläne, das Bauwerk abzureißen und es durch eine schnöde Betonbrücke zu ersetzen. Aus Kostengründen. Schnell verschwand dieser Plan im Papierkorb, der aus Sicht der Bergischen Unvorstellbares präsentierte.

Manche Besucher stehen mit dem Fernglas im Brückenpark und scannen die mächtigen Pfeiler Zentimeter für Zentimeter ab auf der Suche nach dem goldenen Niet, einer unter den 934.456 Nieten, die die Brücke zusammenhalten. Wohl eine weitere Mär, aber immer noch verlockend wie das bergische Wahrzeichen aus Rost und Stahl.

Die Müngstener Brücke ist ein Aushängeschild deutscher Ingenieurskunst und eine architektonische Attraktion mitten in der Natur.

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