Köln Unterwegs mit der Raser-Polizei

Köln · 2015 starben bei Raser-Unfällen in Köln drei Unbeteiligte, in zwei Fällen waren es illegale Rennen. Die Polizei schickt Zivilstreifen auf die Straße.

Der weiße 1er-BMW schießt die linke Spur der A 57 entlang. Der Fahrer zieht nach rechts auf die Mittelspur, schlängelt sich zwischen Autos durch, überholt von rechts, schert wieder ein und wiederholt das gefährliche Manöver zweimal. Nur dem Zufall ist zu verdanken, dass es nicht kracht. Die Autobahn ist ziemlich voll an diesem Abend, die Fahrbahn regennass. Dass zwei Polizeibeamte ihn längst im Blick haben, seine Fahrt per Kamera aufzeichnen, bemerkt der BMW-Fahrer erst, als sie sich mit ihrem Zivilfahrzeug vor ihn setzen und im Heck "Polizei - folgen" aufblinkt.

205 Stundenkilometer zeigt das Messgerät der Beamten an, während sie den weißen BMW verfolgen - erlaubt sind auf diesem Abschnitt der Stadtautobahn 80. Jetzt fährt der junge Fahrer dem Zivilwagen langsam hinterher, an der Ausfahrt Chorweiler stoppen sie. "Was war das denn gerade?", fragt Polizeikommissar Sven Glawe. Der BMW-Fahrer gibt sich kleinlaut, versucht aber, die Angelegenheit herunterzuspielen. Zwei Freunde sitzen mit im Mietwagen. Es gebe ein Problem, man müsse schnell zur Freundin des Kollegen. Glawe wird laut: "Jetzt pass mal auf, das geht gar nicht!" Adressatengerechte Ansprache heißt das im Polizeijargon. Der 21 Jahre alte Fahrer begreift trotzdem erst viel später, dass es ernst ist. Glawe und sein Kollege Ricky Lüders beschlagnahmen den Führerschein - und schreiben eine Anzeige wegen Gefährdung des Straßenverkehrs. Einer der drei Freunde ruft seinen Vater an, der sie abholt. Für den Fahrer wird es mindestens auf 600 Euro Strafe, drei Monate Fahrverbot und zwei Punkte hinauslaufen.

Lüders und Glawe gehören bei der Kölner Polizei zum Projekt "Rennen". Im vergangenen Jahr wurde die Gruppe initiiert, nachdem drei unbeteiligte Menschen bei Raserunfällen oder illegalen Autorennen in Köln ums Leben gekommen waren. Innerhalb weniger Monate hatte sich in der Rhein-Metropole eine Raserszene entwickelt, deren Mitglieder sich in Deutz trafen. Von dort ging es in aufgemotzten Karren über die Rheinbrücken zu spontanen Rennen in die Innenstadt. Das Gefährliche: Die Teilnehmer fuhren ihre kriminellen Rennen mitten in der Stadt. Im Ruhrgebiet treffen sie sich eher in Industriegebieten.

Fast jede Nacht sind seit den tödlichen Unfällen Zivilstreifen unterwegs. Die Polizei macht keine Angaben dazu, wie viele Beamte im Projekt mitarbeiten. Auch nicht dazu, wie viele Zivilfahrzeuge eingesetzt werden. "Die Szene tauscht sich aus - wenn einer unser Auto erkannt hat, gibt er das weiter", sagt Lüders. Die Einsatzfahrzeuge werden deshalb immer wieder mit denen anderer Behörden getauscht.

"Ich habe nicht das Gefühl, dass sich die Einstellung der jungen Fahrer ändert", sagt Lüders. Wirklich treffen könne man die Raser nur, indem man ihnen Auto und Führerschein wegnehme. "Zu schnell gefahren wurde schon immer. Aber wir haben es hier mit einer ganzen Szene zu tun." Die Klientel kann der Polizeioberkommissar genau beschreiben: junge Männer, die schnelle Autos lieben, zwischen 18 und 25 Jahren, die meisten von ihnen stammen aus der Türkei. Sie leben oft noch zu Hause, die teuren Autos werden häufig von der Familie finanziert, gelten als Statussymbol. Die Fahnder haben derart viel zu tun, dass im kommenden Jahr, wenn das Projekt eigentlich ausläuft, eine eigene Dienststelle daraus werden könnte.

In dieser Nacht halten die Beamten mehrere PS-starke und tiefergelegte Autos an, es sind immer die gleichen Marken: Mercedes, BMW, Audi. Meist alte Modelle, die die Halter aufmotzen, etwa mit Metallicfolie. Die Fahrer müssen nachweisen, dass diese Extras vom TÜV abgenommen sind - zum Beispiel Veränderungen am Auspuff, die den Wagen lauter machen. Manchmal passen die Felgen nicht zu den Reifen, oder die Reifen sind so breit, dass sie die Radkästen berühren.

Es ist kurz nach zehn. Über Funk melden sich die Kollegen. Auf der Zoobrücke haben sich gerade zwei Fahrer ein illegales Rennen geliefert. Einen konnte der Streifenwagen stoppen, ein weißer Audi entkam. Die Beamten geben das Kennzeichen zur Fahndung durch. Für die jungen Raser ist es ein Spiel. "Wie Achterbahnfahren", so drückte sich einer der Männer aus dem BMW-Mietwagen aus, den Lüders und Glawe auf der A 57 gestoppt hatten.

Kurz nach Mitternacht winken die beiden Polizisten am Liverpooler Platz in Chorweiler einen Ford Focus ST und einen Mercedes E-Klasse raus. "Wer ist der Halter?", fragt Lüders. "Meine Mutter", sagt der Mercedes-Fahrer. Die Auspuffanlage ist selbst zusammengeschraubt, die Unterlagen dazu sind gefälscht, die Reifen schleifen am Radkasten. "So können wir den Wagen nicht mehr auf die Straße lassen", sagt Lüders. "Das muss alles zurückgebaut werden." Als er den Abschleppdienst ruft, kommen immer mehr Freunde und Familienmitglieder des Fahrers zusammen. Die Beamten fordern Verstärkung an. "So eine Situation kann ganz schnell eskalieren", sagt Lüders.

Die Crew aus dem Mercedes hat ein Problem. "Ich will mir morgen einen neuen 7er-BMW kaufen, den Mercedes wollte ich in Zahlung geben", sagt der Fahrer, 22 Jahre alt. "Das wird morgen nichts", sagt Lüders. Inzwischen ist es halb drei in der Nacht, die nasse Kälte kriecht in die Knochen. Die Beamten wollten eigentlich noch eine Runde auf den Ringen drehen, aber sie müssen ins Präsidium, den Schreibkram erledigen - es war viel los. Die Schicht dauert bis 4 Uhr. Am nächsten Abend werden sie wieder mit ihrem BMW auf Kontrolltour gehen.

(RP)
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