Düsseldorf Wie wir anderen Menschen Mut machen

Düsseldorf · Sechs Menschen erzählen, wie sie sich engagieren und warum dies wichtig für sie ist. Sie gehen mit gutem Beispiel voran – etwa die Kinderfreundin.

 Helga Röhling, die Kundenfreundin

Helga Röhling, die Kundenfreundin

Foto: Ekkehart Malz

Sechs Menschen erzählen, wie sie sich engagieren und warum dies wichtig für sie ist. Sie gehen mit gutem Beispiel voran — etwa die Kinderfreundin.

 Salima Douven, die Managerin

Salima Douven, die Managerin

Foto: Hans-Peter Reichartz

Helga Röhling aus Wesel hat es in ihrem Leben nicht leicht gehabt. Mit neun muss sie sich bereits um ihre drei kleinen Geschwister kümmern, weil die Mutter arbeitet. Der Vater ist im Krieg. Zwei Jahre lang pflegt sie die krebskranke Mutter. Als die stirbt, ist Helga Röhling 17. Eine Ausbildung zur Erzieherin, die sie so gerne gemacht hätte, bleibt ihr verwehrt. "Ich musste mich doch um die Geschwister kümmern", sagt sie. Auch als erwachsene Frau bleibt sie von schweren Schicksalsschlägen nicht verschont.

 Wilhelm Költgen, der Unternehmer

Wilhelm Költgen, der Unternehmer

Foto: Thomas Lammertz

"Ich hatte immer den Mut durchzuhalten. Und ich habe nie meinen Humor verloren", sagt die Gründerin des Weseler Vereins S.E.R. Kinderhilfe. Seit nunmehr 17 Jahren sorgt sie dafür, dass Weseler Stadtkinder - viele davon mit Migrationshintergrund - nach der Schule abgeholt und dann zum vereinseigenen Haus gebracht werden, das in der Natur zwischen Wiesen und Feldern liegt. "Wir betreuen 35 Schüler in mehreren Gruppen. Wir singen und erzählen, sind kreativ und gehen in die Natur: So wollen wir helfen, dass sie stabil werden.

 Mischa Kuball, der Künstler

Mischa Kuball, der Künstler

Foto: Yun Lee

"Abends wird gemeinsam gegessen, wobei Helga Röhling auf gute Manieren Wert legt. Bei Problemen spricht sie ihnen Mut zu, gibt ihnen Tipps. "Auch wenn es Kraft kostet, ist die Arbeit mit den Kindern wunderbar", sagt sie. "Man bekommt so viel zurück. Ich kann nur jeden ermutigen, sich für andere einzusetzen. Es lohnt sich wirklich."

 Renate Klemm, die Armenpflegerin

Renate Klemm, die Armenpflegerin

Foto: Andreas Endermann

Die Managerin

Salima Douven aus Mönchengladbach hatte eines Tages das Gefühl, dass sie von ihrem Glück etwas mit anderen Menschen teilen müsse. "Ich wollte etwas zurückgeben, mich engagieren", sagt die 35-Jährige. Das passende, aber damals noch nicht realisierte Projekt war schnell gefunden: die Initiative "Wahlverwandtschaften", initiiert von Christine Wichert. Die Idee: Menschen, die aus den unterschiedlichsten Gründen ohne familiäre Bindungen sind und diese vermissen, mit Gleichgesinnten zusammenzubringen - so dass sich eben Wahlverwandtschaften ergeben können.

Salima Douven fühlt sich selbst nicht einsam, sie ist verheiratet, hat vier Geschwister. Aber von den Eltern lebt nur noch der Vater, ihre Mutter ist früh gestorben. "Hätte es damals unsere Initiative gegeben, hätte ich mich dort vielleicht nach einer Wahlmutter umgesehen", sagt sie. Heute bringt sie andere Menschen zusammen. Bisher hat der als gemeinnützig anerkannte Verein, der 2010 die Arbeit aufnahm, zwei Dependancen in Mönchengladbach und Krefeld. Dort werden die Treffen veranstaltet (www.wahlverwandtschaften.org). Im November wird der Verein für seine Verdienste vom Magazin "Bild der Frau" ausgezeichnet. "Durch die hohe Aufmerksamkeit ist der Wunsch an uns herangetragen worden, in anderen Städten Zweigstellen zu gründen", sagt Douven. Mutmacher werden überall gebraucht.

Der Unternehmer

Wilhelm Költgen aus Krefeld kann dutzende Mutmachgeschichten liefern. Der Krefelder wurde mit nur einer Hand geboren, er hat an dieser Behinderung gelitten - doch sie hat ihn auch zu dem Mann gemacht, der er heute ist: Mit seiner "Költgen GmbH" ist er weltweit führend bei der behindertengerechten Umrüstung von Motorrädern.

Als Költgens Eltern in den 50er Jahren mit dem Jungen im Kinderwagen durch den Ort fuhren, rissen die Nachbarn manchmal das Deckchen weg, um den Jungen mit nur einer Hand zu sehen: "Die haben einen Krüppel", habe es früher geheißen. Auch in der Jugend empfand er die fehlende Hand als Handicap - auf Bildern von früher sieht man ihn immer mit einem Arm in der Hosentasche. "Ich habe einen Teil von mir versteckt."

Die Rettung kam aber schon in der Pubertät. Wilhelm Költgen lernte damals, dass das Leben nicht nur aus Problemen und Grübeln besteht, sondern auch aus Mofas. "In einem alten Schuppen schraubte ich mit Freunden an den Teilen rum. Dass ich nur eine Hand hatte, empfand ich nie als Makel, sondern als besondere Herausforderung." Daraus wurde eine Geschäftsidee: 1993 gründete er seine Motorradwerkstatt auf einem Bauernhof. Den Begriff Behinderung hat er aus seinem Wortschatz gestrichen. "Ich sollte etwas Besonderes werden, und ich habe mir Mühe gegeben, das zu tun."

Der Sportler

Markus Rehm vom TSV Bayer 04 Leverkusen springt 7,95 Meter weit. Das ist eine herausragende Weite. Das ist Weltrekord in seiner Klasse des Behindertensports. Doch das reicht dem gebürtigen Schwaben, der als Jugendlicher bei einem Wakeboardunfall auf dem Main sein rechtes Bein unterhalb des Knies verlor, nicht. Er will auch bei den Nicht-Behinderten Erfolge feiern. Sein Ziel für dieses Jahr: die Teilnahme an den Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften am letzten Juni-Wochenende im Ulmer Donaustadion. Erreicht er dort wieder seine Bestweite, springt er um die Medaillen mit. Die Qualifikationsnorm hat er Anfang März in Dubai schon geknackt (7,65 m).

Die Leichtathleten tun sich schwer mit Markus Rehm. Genauso wie sie sich mit dem südafrikanischen 400-Meter-Läufer Oscar Pistorius schwer getan haben. Hinter ihren Starts bei den Nicht-Behinderten steht immer wieder Frage, ob ihre High-Tech-Prothesen ihnen einen Vorteil im Wettbewerb verschaffen.

Ob er in Ulm um die Medaillen mitspringen kann und in die Wertung aufgenommen wird, ist noch unklar. Der Deutsche Leichtathletik-Verband hat ein wissenschaftliches Gutachten in Auftrag gegeben, um zu klären, ob die Prothese ein unerlaubtes Hilfsmittel ist, mit dem der Leverkusener einen Vorteil gegenüber Nichtbehinderten hat. Die Ergebnisse stehen noch aus.

Der Künstler

Mischa Kuball aus Düsseldorf findet es wichtig, als Künstler die Kunst zu den Menschen zu bringen und sie auf diese Weise zu ermutigen, sich damit auseinanderzusetzen. "Wir müssen wieder mehr Körperpolitik machen", sagt er und meint damit, vor Ort persönlich präsent zu sein. Bei seinen derzeitigen drei Projekten - "Les Fleurs du Mal" in Marl, "New Pott" im Lehmbruck Museum in Duisburg und für die Obdachlosenhilfe "Shelter" in Düsseldorf - sucht Kuball so oft wie möglich das persönliche Gespräch. Er sei so mutig zu glauben, dass sich Menschen durch Diskussionen verändern können.

Seine Kunst sei daher bewusst durchlässig für den Alltag, die Schwelle dazu extrem niedrig, fast unsichtbar. Unter anderem gesellschaftliche Vereinsamung ist sein Thema, das er zum Beispiel gemeinsam mit der Obdachlosenhilfe aufgreift. "Dabei geht es auch darum, etwas aus der dunklen Nische in die allgemeine Wahrnehmung zu rücken", sagt Kuball. Wohlwissend, dass Kunst unsere Probleme nicht lösen könne. "Aber man kann diese Probleme so zeigen, dass man sie nicht mehr ignorieren kann."

Mit den Obdachlosen hat Kuball die "Shelter Bags" entwickelt - wetterfeste Taschen, die auf den Alltag der Wohnungslosen zugeschnitten sind. Kaufen kann diese Taschen aber jeder, und er finanziert damit eine Tasche für einen Obdachlosen - ein praktischer Mutmacher.

Die Armenhelferin

Renate Klemm aus Düsseldorf hat keine Lust, alleine zu Hause herumzusitzen. Deshalb hilft die 77-Jährige regelmäßig in der Armenküche, schält Gemüse, putzt Salat, erledigt, was eben so anfällt. "Ich wollte etwas Sinnvolles machen", sagt sie und stellt die gewagte These auf: "Arbeit ohne Bezahlung macht viel mehr Spaß als mit!" Mit ihrem Engagement tritt sie in die Fußstapfen ihrer Mutter, die als 82-Jährige angefangen hat, in der Armenküche auszuhelfen. "Ich kann jeden nur bestärken, ein Ehrenamt anzunehmen", sagt Renate Klemm, "weil man unheimlich viel zurückbekommt." Dankbarkeit und das Gefühl, gebraucht zu werden, sind im Zweifel die härtere Währung.

Gebraucht wird Renate Klemm auch noch von einem Patienten. Früher arbeitete sie als Ergotherapeutin, seit Jahren betreut sie einen Gelähmten. Er habe zu ihr gesagt, dass sie ihm ein gutes Lebensgefühl vermittele, sein Lichtblick sei. "Das ist der Lohn", sagt Klemm. Sie freut sich immer auf die Tage in der Armenküche, weil es dort sehr freundschaftlich zugehe und gemeinsam viel gelacht werde.

Einsamkeit komme so nicht auf, ihre Tage seien komplett strukturiert. "Indem man anderen hilft, hilft man auch sich selbst", sagt sie. Nebenbei macht ihr in der Küche niemand mehr etwas vor. "Wobei", sagt sie, "heute kann ich zwar prima für 100 Menschen kochen, aber nicht mehr für vier."

(RP)
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