Haifa 112 Jahre, Auschwitz-Überlebender

Haifa · Yisrael Kristal winkt ein Guinness-Rekord als ältester Mann der Welt - sofern er sein Alter beweisen kann.

Der Kaiser von Österreich, Franz Joseph I., ist schon seit 100 Jahren tot. Yisrael Kristal will ihn noch mit eigenen Augen gesehen haben: In einem früheren Interview mit der israelischen Tageszeitung "Haaretz" erinnerte er sich an einen Tag, an dem er als kleiner Junge Süßigkeiten nach dem Monarchen warf, als dieser mit seinem Gefolge durch Kristals Heimatstadt zog.

Heute ist der am 15. September 1903 in dem Dorf Zarnow bei Lodz geborene Mann 112 Jahre alt. Zarnow liegt im heutigen Polen. Vor zwei Jahren wurde ihm der inoffizielle Titel als vermutlich ältester Überlebender des Konzentrationslagers Auschwitz verliehen. Jetzt könnte er sogar einen Eintrag in das Guinness-Buch der Rekorde erhalten - als ältester Mann der Welt. Nach dem Tod des bisherigen Rekordhalters diese Woche, des nur wenige Monate älteren Japaners Yasutaro Koide, hat Kristals Enkel Oren eine E-Mail der Gerontology Research Group erhalten. Sein Großvater sei erster Anwärter auf den Altersrekord, hieß es darin. Der 112-Jährige soll darauf auf Jiddisch geantwortet haben: "Die Freude meiner alten Tage", berichtet "Haaretz".

Lediglich ein Dokument fehlt, das sein hohes Alter beweist. Und das stellt die Familie vor eine Herausforderung: Das früheste Dokument, das Kristals Alter attestiert, ist seine Heiratsurkunde. Die wurde vor 87 Jahren in Polen ausgestellt. Damals war Yisrael Kristal 25 Jahre alt. Die Organisation fordert jedoch ein Dokument, das in den ersten 20 Jahren seines Lebens ausgestellt wurde.

Kristal lebt heute als pensionierter Konditormeister in Israel. Er hat neun Enkelkinder, mehr als 20 Urenkel. Süßigkeiten spielten in seinem Leben immer eine wichtige Rolle.

Seine Mutter starb vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Der Tod seines Vaters im Jahr 1920 machte ihn mit 17 Jahren zum Vollwaisen. Kristal zog in die rund 130 Kilometer von Warschau entfernte Stadt Lodz, um einen Neuanfang zu wagen. Er trat in die Fußstapfen des Vaters und arbeitete in einer Süßigkeitenfabrik. "Es war harte körperliche Arbeit. Ich musste Zuckersäcke schleppen, die 25 Kilogramm wogen", erinnert sich Kristal. In der heutigen Zeit vermisst er diese Leistungsbereitschaft: "Früher musste man einen Beruf wählen, der einem half, zu überleben. Man wurde Tischler, Schneider. Heute ist alles Hightech, alles einfach, ohne Mühe, ohne Handarbeit."

Kristal half die Expertise im Süßigkeitengeschäft auch zur Zeit des Holocausts: Als die Nationalsozialisten 1940 in Lodz ein jüdisches Ghetto errichteten, hatte er sich als Zuckerbäcker bereits einen Namen gemacht und arbeitete laut Medienberichten weiterhin mal im Geheimen, mal im halb-offiziellen Auftrag des Judenrates im Ghetto unter dem Vorsitz Chaim Rumkowskis.

Im August 1944 wurden Kristal und seine Frau in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert. Seine Frau wurde ermordet, Kristal jedoch überlebte.

Nach seiner Befreiung heiratete er ein zweites Mal und wanderte 1950 mit seiner Frau und einem gemeinsamen Sohn nach Haifa aus. Dort nahm er die Arbeit als Konditor wieder auf, stellte bis zu seinem Ruhestand likörgefüllte Schokoladenfläschchen und kandierte Orangenschalen mit Schokoladenüberzug her. 71 Jahre sind seit der Gefangenschaft in Auschwitz vergangen. Mit oder ohne Altersrekord dürfte für Yisrael Kristal jeder Tag ein Grund zur Freude sein.

(RP)
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