TV-Talk mit Anne Will "Die addierte Frustration des durchschnittlichen Amerikaners"

Düsseldorf · Trumps Antrittsrede lasse wenig Platz für Zweifel: "Der Mann denkt aggressiv nationalistisch", konstatiert Anne Will. Sie fragt, ob er die Weltordnung verändern wird. Ihren Gästen fallen dazu wenige optimistische Perspektiven ein.

Darum ging's

Wird Trump die Weltordnung — politisch und wirtschaftlich — verändern? Er stelle die "humorlosesten Kosten-Nutzen-Rechnungen" auf und schubse jeden neben ihm vom Podium. Ist das alles irrational, will Anne Will wissen, oder legt er Finger in offene Wunden?

Darum ging's wirklich

Dass der Präsident seine patriotischen Ankündigungen extrem ernst meint, bezweifelt niemand. Die Gäste mühen sich vor allem darum, Trump und seine Politik-Vorstellungen zu analysieren und ihre eigenen Meinungen zu ihm in Worte zu fassen.

Die Gäste

  • Ursula von der Leyen, Bundesministerin der Verteidigung (CDU)
  • Günter Verheugen, Ehemaliger EU-Erweiterungskommissar (SPD)
  • Dieter Kempf, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie e. V. (BDI)
  • Michael Wolffsohn, Historiker
  • Ralph Freund, Trump-Befürworter und Vizepräsident der "Republicans Overseas Germany"

Frontverlauf

Nach Trumps Antrittsrede, die Anne Will "aggressiv nationalistisch" nennt, wirken die meisten Gäste noch immer leicht geprügelt. Selbst Trump-Freund Ralph Freund mag nicht so recht auf die Frage antworten, ob er ihn nach der Rede vom Freitag immer noch wählen würde. Der Übersee-Republikaner versichert statt einer klaren Antwort mehrfach, um Trump zu verstehen, müsse man seine Wähler aus der Arbeiterklasse "zwischen den beiden Ozeanen" verstehen. Viel inhaltlicher Jubel fällt aber selbst ihm nicht ein.

Seine Gesprächspartner erwarten wenig Gutes aus Washington. Günter Verheugen ist überzeugt, man müsse Trump "bitter, bitter ernst nehmen", denn viele seiner Überzeugungen habe er seit Jahrzehnten unverändert geäußert. Deutschland und Europa werden nach Ansicht des SPD-Mannes in den Hintergrund treten, und was er zu Bündnissen und Sicherheit ankündige, könne durchaus gefährlich werden. Im Hinblick auf die Nato sagt Verheugen: "Wir müssen an der Partnerschaft festhalten, aber auch mehr eigene Verantwortung übernehmen."

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat sich vom "Schock" zum Jahresbeginn erholt und schlägt vor, sich um eine "nüchterne Herangehensweise" zu bemühen: "Wir müssen uns auf ihn einstellen und ihn lesen." Einer ihrer Leseversuche: "Er redet derzeit alles im Land schlecht, so kann er künftig jeden Fortschritt als seinen eigenen Verdienst darstellen."

Sie behält nicht für sich, dass sie die Stimmung der ersten Regierungstage bedauert: "Es ist schade, dass er die Chance zu versöhnlichen Tönen nicht genutzt hat." Emotionen seien freilich für Politiker die falsche Kategorie. Wichtiger sei, künftig dort, wo man Gemeinsamkeiten entdecken könne, am gleichen Strang zu ziehen.

So richtig enttäuscht war die Verteidigungsministerin von Trumps Beschimpfung von Menschen in der Politik: Derlei schrecke vor allem junge Leute ab, sich zu engagieren, und das ist in ihren Augen grundfalsch.

Der Mund des amerikanischen Bauches

Wird Trump der beste Job-Erschaffer aller Zeiten? Das werde man am Ende sehen, so die CDU-Frau. Die Globalisierung werde selbst Präsident Trump nicht aufhalten, und am Ende müsse man sehen, ob er das angekündigte Job-Wunder vollbringe oder nicht.

Günter Verheugen spekuliert, dass er durch seine Handelsmaßnahmen durchaus kurzfristig Arbeitsplätze schaffen könne. Dieter Kempf wendet ein, kurzfristig könne er "auf dem Arbeitsmarkt vielleicht ein Strohfeuer entfachen. Aber das bringt nichts auf lange Sicht." Kempf ist sich überdies unsicher, dass Trump etwa die Autoindustrie wirklich verstanden hat.

Anne Will bittet Michael Wolffsohn um ein möglichst sachliche Bewertung, und die versucht der Historiker auch. Der Historiker sieht die Haltung der Amerikaner zu Europa als Entwicklung und durch viele Enttäuschungen geprägt, und die bringe Trump auf den Punkt: "Er personalisiert die addierte Frustration des durchschnittlichen Amerikaners", sagt der Historiker und findet noch ein originelles Bild: "Er ist der Mund des amerikanischen Bauches." Wolffsohn verschweigt aber auch seine private Meinung nicht: Persönlich seien ihm die Chauvinismen und die Radikalität des Donald Trump "zutiefst zuwider", ihm fehlten sowohl Bildung wie Herzensbildung.

Auf gewachsene Freundschaften vertrauen

Ursula von der Leyen sieht in der schwierigen Phase aber auch einen Ansporn: Es sei lange klar, dass Deutschland den Verteidigungsetat stärken und mehr Geld in die Nato stecken müsse. "Wir können uns in Krisen nicht ewig mit dem Verweis auf unsere Geschichte zurückhalten, sondern müssten auch in schwierigen Regionen der Welt unseren Teil und mehr Verantwortung tragen."

Europa müsse sich zudem mehr um eigenen Probleme kümmern, eigene Farbe in diplomatischen Fragen zeigen und schwächeren Ländern und solchen, die in Krisen stecken mit Diplomatie helfen, damit sie selbst zu mehr Stabilität finden.

Am Ende gelingt von der Leyen sogar noch eine weitere Prise Optimismus: Man dürfe nicht allein auf den Präsidenten schauen. Sie erinnert daran, dass zwischen Amerika und Deutschland auf vielen Ebenen Millionen von Freundschaften gewachsen sind. Auf die könne man vertrauen "und das ist sehr kostbar."

Wortwechsel des Abends

"Wir können Trump alle nicht hinter die Stirn schauen" (Ralph Freund) - "Aber wir können ihm zuhören, und das ist schon schrecklich genug" (Dieter Kempf)

Fazit

Eine interessante Diskussion mit Sachkenntnis und Respekt geführt, zu Vorfreude auf die nächsten vier Jahre regt sie allerdings nicht an. Ein Hoffnungsschimmer gelang Ursula von der Leyen mit dem Tipp, auf gewachsene Freundschaften zwischen Amerika und Deutschland zu vertrauen.

(juju)
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