Nach dem Anschlag von Nizza Unsere Lichter leuchten hell

Meinung | Nizza · Die Terrorfahrt von Nizza war ein Attentat von schlagender Symbolik: Ein Angriff aus der Dunkelheit, mitten hinein ins Helle, wo die Menschen Vergnügen suchen. Es wird entscheidend sein, dass der Westen die richtigen Antworten darauf findet.

 Polizistin an der Strandpromenade von Nizza: Mitten hinein ins Helle

Polizistin an der Strandpromenade von Nizza: Mitten hinein ins Helle

Foto: dpa, htf

Es ist ja so vieles schockierend an dem Terrorangriff von Nizza. Zunächst, natürlich, dass er überhaupt stattgefunden hat. Vier Wochen Fußball-Europameisterschaft hatte Frankreich ohne Terror überstanden — und vier Tage nach dem Finale ist die Hoffnung, die Lage könnte sich grundsätzlich beruhigt haben, als naives Wunschdenken enttarnt.

Schockierend sind, zweitens, Zeitpunkt und Ort. Am 14. Juli erinnert das Land an die Revolution von 1789 und an deren Werte Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Dass sich der oder die Täter diesen Tag ausgesucht haben, ist besonders perfide: Es wirkt wie eine Verhöhnung Frankreichs.

Schockierend sind schließlich die hohe Zahl der Opfer und die Erkenntnis, dass es keine Bomben und Sturmgewehre braucht, offenbar nicht einmal eine verschworene Gemeinschaft zu allem Entschlossener, um so viele Menschen zu ermorden. Ein Lastwagen reicht völlig, der von einem Einzelnen gesteuert wird. In der perversen Logik der Attentäter markiert dieser Angriff einen bisher unbekannten Grad der Wirksamkeit.

Der Terror findet immer neue Formen und neue Ziele, immer neue Opfer. Und jedes Mal aufs Neue treffen uns die Nachrichten ins Mark, weil sie die Verwundbarkeit unserer offenen Gesellschaft offenlegen. Dennoch gilt nach Nizza wie nach Orlando, nach Brüssel, nach Bataclan, nach "Charlie Hebdo": Die Antwort auf solche Taten ist nicht ein Abrücken von unseren Werten, sondern ihre umso entschlossenere Verteidigung.

Feuerwerk als Zielmarkierung für den Mörder

Nizza ist der Terroranschlag mit der bisher schlagendsten Symbolik: Ein Angriff aus dem Dunkeln, mitten hinein ins Helle, wo die Menschen Vergnügung suchten. Das Feuerwerk und die Lichter der weltberühmten Promenade des Anglais wirkten wie die Zielmarkierung für den Mörder. Und es ist ja nicht nur im wörtlichen Sinne so, sondern auch im übertragenen: Unsere Lichter leuchten hell. Diese westliche Gesellschaft ist die beste, die freieste, die vielfältigste, die wir jemals hatten. Deshalb zieht sie den Hass derer auf sich, denen Freiheit und Vielfalt ein Gräuel sind und die einen Vorwand für diesen Hass so oft in ihrer muslimischen Religion suchen. Dabei sind sie nichts anderes als Gotteslästerer.

Wir freien Menschen reagieren deshalb richtig auf den Massenmord von Nizza, wenn wir uns nicht zum Hass verleiten lassen. Das heißt nicht, die andere Wange hinzuhalten — das ist kein politisches Rezept. Unsere Regierungen und Armeen müssen den Terror entschieden, entschiedener bekämpfen. Es wird weitere Anschläge geben. Wir alle sind aufgefordert, uns trotzdem nicht einschüchtern zu lassen. Gehen wir auf die Kirmes, gehen wir zum Popkonzert, fahren wir in den Urlaub nach Frankreich! Wir dürfen uns nicht verschanzen. Auch nach Nizza gilt, was der damalige norwegische Ministerpräsident Jens Stoltenberg 2011 nach dem Massaker von Oslo und Utøya gesagt hat: "Unsere Antwort wird mehr Demokratie und mehr Offenheit sein."

Infografik: Chronologie des Terrors in Frankreich | Statista
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Die Ziele des Terrors sind Angst und Vereinzelung. Europa und der Westen sind zwar Leuchttürme des Individualismus, aber unsere Gesellschaften — das zeigt jeder Anschlag aufs Neue — sind mehr als eine Ansammlung von Einzelnen. Wir sind stark durch unser Mitgefühl, unsere Solidarität, unsere Überzeugung, dass Demokratie und Menschenrechte universelle Werte sind. Es ist schmerzlich, aber wahr: Erst die schlimmsten Taten bringen unsere besten Seiten zum Vorschein. Die Bundeskanzlerin hat deshalb recht, wenn sie sagt, dass wir diesen Kampf gewinnen werden. Nicht weil wir müssen, sondern weil unsere Weltsicht der der Terroristen überlegen ist.

Die Lehre aus Nizza ist deshalb nicht zuletzt auch diese: Erinnern wir uns an unsere Stärken. Zweifel gehört zum Kern der Aufklärung. Auch an unseren Politikern, auch an der Effizienz unserer komplizierten, aber großartigen Lebensweise. Diese Lebensweise aber ist stärker, als wir in manchen schwachen Momenten glauben mögen. Sie ist unsere Zukunft.

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