Düsseldorf/Köln Jeder Siebte ist arm

Düsseldorf/Köln · Die Armutsquote in Deutschland hat seit der Wiedervereinigung einen neuen Höchststand erreicht, sagt der Paritätische Wohlfahrtsverband. Zwei Rentner, die die Grundsicherung bekommen, erzählen aus ihrem Alltag.

Armut in Deutschland 2017: Neuer Höchststand der Armutsquote
Foto: dpa, jbu lre cul

Joachim Rönneper ist niemand, der über sein Leid klagt und andere für seine Situation verantwortlich macht. Er nimmt es hin, dass er monatlich nicht viel Geld zum Leben zur Verfügung hat, obwohl er studiert und als angestellter Hauptschullehrer gearbeitet hat. Der 58-Jährige bezieht, nachdem er im vergangenen Jahr krankheitsbedingt aus dem Berufsleben ausgeschieden ist, so wenig Geld aus seiner Erwerbsminderungsrente, dass er zu den sogenannten Altersarmen gehört und aufstocken muss, damit das Geld zum Leben reicht. "Ich habe 401 Euro jeden Monat. Davon muss ich aber auch noch die Fixkosten wie etwa Internet und Strom bezahlen", sagt Rönneper. "Viel bleibt nicht mehr übrig."

Immer mehr ältere Menschen wie Rönneper drohen, in Armut abzustürzen. Bei rund 550.000 Senioren deutschlandweit reicht die Rente nicht aus, um davon leben zu können. Sie erhalten vom Staat eine Grundsicherung, eine Art Sozialhilfe für Rentner, die monatlich weniger als 781 Euro zur Verfügung haben. Der Präsident der Volkssolidarität, Wolfram Friedersdorf, spricht von einer "Lawine" an Altersarmut. "Es ist beängstigend, wie mit Älteren in der Gesellschaft umgegangen wird."

Nicht nur Ältere werden immer ärmer. Die Armut zieht sich in Deutschland durch alle Altersschichten. Das geht aus dem neuen Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands hervor. "Deutschland hat mit 15,7 Prozent Armutsquote leider einen neuen Höchststand seit der Wiedervereinigung erreicht", sagt der Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Ulrich Schneider. Demnach lagen 2015 bundesweit 12,9 Millionen Menschen unter der Grenze für Armutsgefährdung. Einem extrem hohen Armutsrisiko ausgesetzt sind Arbeitslose mit einer Quote von 59 Prozent und Alleinerziehende mit 43,8 Prozent. Besonders betroffen sind zudem Ausländer (33,7 Prozent) sowie Familien mit drei und mehr Kindern (25,2 Prozent). Der Anteil armutsgefährdeter Rentner (15,9 Prozent) stieg innerhalb von zehn Jahren um 49 Prozent (von 10,7 Prozent).

Auch der Düsseldorfer Hans Lautensack weiß, wie es ist, arm zu sein. Der 66-Jährige muss jede Woche mit 58 Euro auskommen - und da ist die Grundsicherung miteingerechnet. "Dass es mal so kommt, hätte ich niemals gedacht", sagt der gebürtige Leipziger. Der ehemalige Sicherheitsbeauftragte hat seine Arbeit bei der Düsseldorfer Messe nach einem Herzinfarkt im Alter von 50 Jahren verloren. "Mir fehlen deshalb neun Jahre, um die 30 Jahre Arbeitszeit für die Rente voll zu machen - aber weiterzuarbeiten, wäre lebensgefährlich gewesen."

Armut ist im Ruhrgebiet und in Berlin am tiefsten verankert. In Nordrhein-Westfalen ist die überdurchschnittliche Armutsquote von 17,5 Prozent stabil geblieben. Minderjährige und junge Erwachsene sind häufig betroffen, wenn sie aus ärmeren Elternhäusern stammen, keinen oder einen niedrigen Schulabschluss haben. Zwei Millionen Kinder und Jugendliche bekommen Hartz IV. Die Geschäftsführerin des Deutschen Kinderschutzbunds, Cordula Lasner-Tietze, mahnt: "Aus Kindern und Jugendlichen in Armut werden nicht selten junge Erwachsene in Armut und aus diesen wiederum arme Eltern."

Auch Joachim Rönneper kommt nicht aus reichem Elternhaus. Das Geld sei ihm nicht in die Wiege gelegt worden, betont der 58-Jährige. Ursächlich für seine Armut sei das aber nicht. Er hat Religion, Deutsch und Pädagogik studiert, anschließend als Künstler gearbeitet. Erst spät ist er in den Beruf als Lehrer eingestiegen, mit 43 Jahren. "Eine Verbeamtung war da nicht mehr drin", sagt er. Und so sei halt eines zum anderen gekommen. Als angestellter Lehrer in Teilzeit habe man nicht viel verdient. Nun hat er aber noch weniger. So wenig, dass ihm kaum genug bleibt, um sich die nötigsten Grundnahrungsmittel zu kaufen.

Deshalb ist er zur Tafel in seinem Stadtteil gegangen. "In einem Telefonat teilte man mir aber mit, dass ich aufgrund der hohen Nachfrage bis zu zwei Jahre auf eine Lebensmittelmittelausgabe warten müsse", betont der 58-Jährige. Zu einer anderen Tafel in seiner Stadt könne er nicht. "Denn die Kölner Hilfsorganisation organisiert sich nach dem Wohnsitz und dem Stadtteil des Kunden", sagt er.

Hans Lautensack überdeckt die Löcher und Flecken in den abgewohnten Möbeln in seiner Wohnung mit Handtüchern. "Aber was ist das für ein Leben?", fragt er. "Ich kann mir nichts erlauben. Nichts machen." Manchmal liegt er nachts im Bett und fragt sich, wozu das alles noch? Wozu die Anstrengung? Wenn er alles noch mal machen könnte, wüsste er genau, was er anders machen würde: Sparen. "Ich würde, wo ich nur kann, Geld beiseite legen für später."

Schwach ist Lautensack inzwischen, aber nicht naiv. Er weiß, dass es noch 30 Jahre so weiter gehen kann. "Am liebsten würde ich mich in ein Krankenhaus legen. Das müsste ja auch der Staat bezahlen."

(RP)
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