Tschernobyl Bilder zeigen die trostlose Realität

Tschernobyl · Der Fotograf Nic R. hat die Gegend rund um Tschernobyl besucht. Mit 1500 beeindruckenden Fotos und vielen, teils verstörenden Eindrücken im Gepäck ist er zurückgekehrt.

Prypjat - 31 Jahre nach Tschernobyl
11 Bilder

Prypjat - 31 Jahre nach Tschernobyl

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Foto: Nic R./die-verlassenen-orte.de

Auf dem Dach eines der höchsten Gebäude der Stadt ist der Ausblick gigantisch - und extrem trostlos. Nic R. liegt die Stadt Prypjat, in der einst fast 50.000 Menschen lebten, zu Füßen. Er schaut auf meist graue und nicht belaubte Bäume sowie Dutzende alte Plattenbauten, die auf den ersten Blick nicht viel trister wirken als kurz nach ihrer Errichtung. Doch diese Stille - unterbrochen nur vom Pfeifen des Windes und dem zarten Gezwitscher weniger Vögel - passt nicht zu einer recht reichen und jungen Stadt, wie Prypjat es einst war. Am Horizont, etwa vier Kilometer entfernt, ist der Grund für den einstigen Wohlstand und die heutige Tristesse zu erkennen: der Atomreaktor von Tschernobyl.

Die Arbeiterstadt Prypjat ist seit 31 Jahren evakuiert. Am 27. April 1986 wurden binnen zweieinhalb Stunden alle Bewohner mit etwa 1200 Bussen fortgebracht - erst 36 Stunden nach der Atomreaktor-Katastrophe von Tschernobyl. "Den Menschen wurde nicht viel darüber erzählt, was vorgefallen war", sagt Nic, der sich bei seinem Besuch auch mit einigen der wenigen Bewohner unterhalten hat, die inzwischen in die Zehn-Kilometer-Zone um den Reaktor zurückgekehrt sind und dort geduldet werden. "Die Menschen haben mir erzählt, nach dem Unglück hätten sie einen metallischen Geschmack im Mund gehabt, und am Himmel habe es einen lila Feuerschein gegeben. Erst als sie nach einem Tag immer mehr Menschen in Schutzanzügen in der Stadt sahen, haben sie gemerkt, dass wohl etwas nicht stimmte. Bei der Evakuierung wurden viele Familien getrennt und fanden nur schwer wieder zueinander."

Nic R. war als Fotograf mit Sondergenehmigung für drei Tage dort, um seinem ungewöhnlichen Hobby nachzugehen: Er fotografiert verlassene Orte. Fast 140.000 Menschen folgen inzwischen seiner Facebookseite www.facebook.de/dieverlassenenorte. Der 25-Jährige hat bei seinen Reisen schon viel gesehen, aber ein derart großer verlassener Ort wie die Gegend rund um Tschernobyl in der Ukraine ist auch für ihn etwas ganz Besonderes. "Als ich zum ersten Mal die Reaktorhülle gesehen habe, musste ich schlucken. Aber das meiste habe ich nur durch meine Kamera gesehen, und ich hatte kaum Zeit, mir über das, was dort vor 31 Jahren Schreckliches passiert ist, Gedanken zu machen. Die Verarbeitung hat erst nach meiner Rückkehr begonnen, als ich die 1500 Bilder gesichtet habe, die ich während meiner Reise gemacht hatte", erzählt Nic R.

Seine Bilder sind wie gewohnt ästhetisch, aber diesmal besonders verstörend: Verrostete Babybetten stehen in Reih' und Glied im alten Krankenhaus von Prypjat, der Putz bröckelt von den Wänden, der morsche Boden wellt sich. In einer Schule liegen Hunderte, wenn nicht Tausende verstaubte Gasmasken in Kindergröße. Ein Autoskooter und ein Riesenrad in einem Vergnügungspark gammeln vor sich hin. "Der Park sollte eigentlich am 1. Mai 1986 eröffnet werden, doch dazu kam es wegen der Reaktor-Katastrophe nicht mehr. Allerdings erzählt man sich, dass er kurz nach dem Unfall doch für kurze Zeit in Betrieb genommen wurde, um die Leute zu beruhigen", erzählt Nic. Insgesamt sei die Atmosphäre aber nicht so bedrohlich gewesen, wie gedacht. "Viele Fotos und Videos, die ich vor der Reise gesehen habe, stellen die Situation falsch und überzogen dar. Mit meinen Bildern möchte ich zeigen, wie es dort wirklich aussieht."

Inzwischen ist die radioaktive Strahlung rund um den Reaktor auf ein Maß zurückgegangen, das es Menschen mit Sondergenehmigung wieder erlaubt, sich dort für kurze Zeit aufzuhalten, ohne Schäden der Gesundheit fürchten zu müssen. Die Sperrzone umfasst einen Radius von 37 Kilometern. Inzwischen reisen zahlreiche Touristen in die Gegend - so wie Nic R. "Ich bin mir absolut sicher, dass ich dort keine gefährliche Strahlung abbekommen habe", sagt er. Ein Messgerät war sein ständiger Begleiter und hat ihn vor sogenannten Hotspots gewarnt, an denen die Strahlung nach wie vor lebensgefährlich ist. "Moos in Waldgebieten oder Stahlteile wie beispielsweise eine Baggerkralle, mit der damals radioaktiver Schutt bewegt wurde, strahlen auch heute noch stark", sagt der Fotograf, der sich mit der ungewöhnlichen Reise seinen größten Traum erfüllt hat.

(RP)
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