Ferguson trägt Mike Brown zu Grabe "Bitte, bitte schweigt für einen Tag!"

An diesem Montag wurde in Ferguson der von einem Polizisten getötete Michael Brown beerdigt. Sein Vater bittet nach den schweren Unruhen um einen Tag der Stille. Der Tag ist aufgeladen mit Symbolik. Manche hier hoffen auf Versöhnung. Andere glauben, dass der Kessel bald wieder explodiert. Eine Reportage.

Hunderte bei Trauerfeier für getöteten Michael Brown
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Hunderte bei Trauerfeier für getöteten Michael Brown

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Foto: dpa, rc pt

"Warum", fragt Jay Mitchell, "warum soll ich mein Haar nicht in Form von Rastalocken tragen?" Gleich beginnt die Trauerfeier für Michael Brown, den in Ferguson getöteten schwarzen Teenager. Um drei Häuserblöcke zieht sie sich schon, die Schlange der Wartenden an der Friendly Temple Missionary Baptist Church, einer Megakirche mit 2500 Sitzen, schmuckloser Backsteinfassade und großen Fenstern, die eher an einen Büroklotz denken lassen als an ein Gotteshaus.

Mitchell, ein junger Geistlicher, hofft, dass der Tag eine Wegscheide markiert, weg von den Krawallnächten hin zur Besinnung, zum Dialog. Dann aber redet er über seine Rastalocken, geknüpftes Haar, das ihm halbmeterweit auf die Schultern fällt, zusammengebunden zu einem Pferdeschwanz.

Er redet über die Polizisten, die ihn wegen Frisur und Hautfarbe reflexartig in eine Schublade sortieren, in die Schublade des Verdächtigen. In University City, einer Satellitenstadt im Ballungsraum der Mississippi-Metropole St. Louis, wurde Mitchell einmal von einer Streife gestoppt. "Ist das ihr Auto? Haben Sie Fahrzeugpapiere?"

 Pfarrer Paul Sterling (rechts) vor der Kirche, in der die Trauerfeier stattfindet.

Pfarrer Paul Sterling (rechts) vor der Kirche, in der die Trauerfeier stattfindet.

Foto: Frank Herrmann

In der Nähe habe es eine Serie von Diebstählen gegeben, lautete die Begründung, als er fragte, wieso man ihn anhalte, obwohl er nichts falsch gemacht habe. Mitchell wurde verwarnt und aufgefordert, in Zukunft am besten einen großen Bogen um University City zu machen. Und das nur wegen der "dreadlocks", glaubt er. "Es kann ja nicht sein, dass ich mir meine Haare abschneiden muss, damit sie mich in Frieden lassen."

Drinnen ist der Eichenholzsarg mit der Leiche Michael Browns von roten Rosen bedeckt. Neben den Blumen eine schwarze Mütze mit rotem Schirm, eine Kappe der St. Louis Cardinals, einer Baseballmannschaft, deren Fan der Teenager war. Seine Mutter, Lesley McSpadden, sitzt in der ersten Reihe, ihr Oberkörper wippt auf und ab, offensichtlich ist es ihre Art, den Schmerz zu verarbeiten. Michael Brown Senior, der Vater des 18-Jährigen, getrennt von seiner Ex-Frau, hatte einfach um einen Tag der Besinnung gebeten.

"Alles was ich heute will, ist Frieden, während mein Sohn zur Ruhe gebettet wird. Bitte, bitte schweigt für einen Tag, damit wir unseren Sohn in Würde beisetzen können." Gekommen sind auch die Eltern von Trayvon Martin, einem 17 Jahre alten Afroamerikaner, der 2012 in Florida unbewaffnet von einem Nachbarschaftswächter erschossen wurde. Gospelchöre, Saxofonklänge, rhythmische Tanzeinlagen: Es ist ein Gottesdienst, wie ihn jede afroamerikanische Kirche jeden Sonntag zelebriert, bei aller Gram auch ein Fest des Lebens.

 Jay Mitchell (22), ein junger Geistlicher, hofft, dass der Tag eine Wegscheide markiert, weg von den Krawallnächten im brennenden Ferguson hin zur Besinnung, zum Dialog, zu sachlicher Problemanalyse.

Jay Mitchell (22), ein junger Geistlicher, hofft, dass der Tag eine Wegscheide markiert, weg von den Krawallnächten im brennenden Ferguson hin zur Besinnung, zum Dialog, zu sachlicher Problemanalyse.

Foto: Frank Herrmann

Eric Davis, ein Cousin des erschossenen Jungen, fordert die Generation Browns auf, wählen zu gehen und so für den Wandel zu kämpfen: "Wir haben genug von diesem sinnlosen Töten". "Michaels Blut schreit nach Vergeltung, es schreit nach Gerechtigkeit", ruft der Pfarrer Charles Ewing, eine Onkel Browns, in seiner Eloge. Der Anwalt Benjamin Crump, der die Hinterbliebenen vertritt, erinnert in bitteren Worten an die Gründungszeit der Vereinigten Staaten, als es darum ging, wie Sklaven beim Zensus zu zählen seien. Nord- und Südstaaten einigten sich auf einen Kompromiss: nicht vollwertig, sondern nur zu drei Fünfteln.

"Wir sind keine Drei-Fünftel-Bürger mehr!”, sagt Crump. "Wir sind amerikanische Bürger!” Der hochemotionale Gottesdienst, er ist viel mehr als ein Gottesdients, nämlich ein Ereignis, das beladen, vielleicht überladen ist mit Symbolik und Erwartungen.

Manche Kommentatoren sprechen von einem Signal der Versöhnung. Andere halten das für Wunschdenken: Sollte Darren Wilson, der Polizist, der sechsmal auf Brown feuerte, nicht vor Gericht gestellt oder aber freigesprochen werden, orakeln sie, explodiert der Kessel Ferguson ein zweites Mal, nur noch heftiger. Robert McCulloch, der zuständige Staatsanwalt, der den Fall gerade in allen Details einer Grand Jury vorträgt, stammt selber aus einer Polizistenfamilie.

Der Vater, der Bruder, ein Onkel: allesamt Ordnungshüter. Allein deshalb halten ihn schwarze Kongressabgeordnete für befangen und verlangen, ihn zu ersetzen, bevor die Geschworenen entscheiden, ob es überhaupt zu einem Prozess kommt. Der breite Bürgersteig vor der Friendly-Temple-Kirche, er lässt irgendwie an die Debattenecke im Londoner Hyde-Park denken. Keiner, der nicht ebenso deutlich wie eloquent seine Meinung sagt.

Während Jay Mitchell erwartet, dass Bundesstaaten wie Missouri endlich ernsthaft nachdenken über das oft einschüchternde Auftreten der Polizei, spricht Paul Sterling von Barack Obama.

Der Präsident ist nicht selber nach St. Louis geflogen, er hat drei Regierungsmitglieder geschickt, deren Namen den meisten Amerikanern nichts sagen. Das protokollarische Understatement des Weißen Hauses, es ist sicher nicht das, was Sterling erwartet hatte, ein afroamerikanischer Pfarrer, angereist aus dem kalifornischen Riverside, ein Hüne mit der Physis eines Schwergewichtsboxers. So enttäuscht er sein mag, seinen Präsidenten nimmt er in Schutz.

"Wissen Sie, Obama ist wie benommen nach all den Schlägen. Er ist doch nur noch in der Defensive", meint Sterling und nimmt die Hände vors Gesicht, als müsste er sich in einem Boxring verteidigen. Was immer der Mann tue, aus irgendeiner Ecke werde er dann doch angegriffen. Also halte er sich zurück, gerade weil ihm das weiße Amerika nicht nachsagen solle, er stelle sich instinktiv auf die Seite der Schwarzen. "Diese Vorsicht, jemand mit meiner Hautfarbe kann das sehr gut verstehen", sagt der Reverend.

(her)
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