Nigeria Boko Haram feiert Bekehrung der entführten Mädchen

Yola · Über Nacht gerieten die radikalislamischen Kämpfer der Boko Haram im vergangenen Jahr in den Blickpunkt der Weltöffentlichkeit: Im nigerianischen Ort Chibok entführten sie mehr als 270 Mädchen aus einer Schule. Nun sind einige von ihnen entkommen und berichten üner Zwangskonvertierungen.

Mai 2014: Boko Haram führt verschleppte Mädchen vor
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Mai 2014: Boko Haram führt verschleppte Mädchen vor

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Foto: afp, JM

Das Entsetzen und die Solidarität waren groß, die USA und andere Länder versprachen damals Hilfe, über Twitter wurden Anfang Mai mehr als 480.000 Kurznachrichten mit der Kennung #BringBackOurGirls (Bringt unsere Mädchen zurück) verschickt. Genutzt hat es wenig. Im Gegenteil.

Hunderte weitere Mädchen, Jungen und Frauen wurden seitdem von den muslimischen Extremisten verschleppt, die in Nigeria ein Kalifat errichten wollen - ähnlich wie die Kämpfer der Terrormiliz Islamischer Staat im Irak und Syrien. Die Mädchen aus Chibok dienen den Boko-Haram-Kämpfer als Propaganda, um die Entführten für ihre Sache zu gewinnen.

"Sie haben mir erzählt, dass die Chibok-Mädchen jetzt ein neues Leben führen, in dem sie lernen zu kämpfen", berichtet die 15 Jahre alte Abigail John, die mehr als vier Wochen in der Gewalt der Terroristen war, ehe sie fliehen konnte. "Sie haben gesagt, wir sollten den Islam akzeptieren."

Die 20-jährige Dorcas Aiden ist eine andere ehemalige Geisel, die im vergangenen September zwei Wochen von den Extremisten gefangen gehalten wurde. Sie hatte gerade die Highschool beendet und war in ihr Heimatdorf zurückgekehrt, als die Kämpfer von Boko Haram dort einfielen.

Die Extremisten brachten sie in eine Haus in der Stadt Gulak, wo sie mit mehr als 50 anderen Mädchen und jungen Frauen zusammengepfercht war. Die Extremisten hätten sie geschlagen, wenn sie nicht den Koran gelesen und an den täglichen Gebeten teilgenommen hätten, berichtet sie. Wenn die Kämpfer wütend wurden, hätten sie in die Luft geschossen. Schließlich habe sie nachgegeben und ihrem christlichen Glauben abgeschworen, um Muslimin zu werden - aber nur auf dem Papier.

Zwangskonvertierungen an der Tagesordnung

Eines Tages seien die Kämpfer in den Raum gestürmt, in dem sie mit einem Dutzend anderer Mädchen festgehalten wurde. Die Männer hätten ihnen ein Video der Chibok-Mädchen gezeigt, die alle Hidschabs trugen, bei denen man nur ihr Gesicht durch einen Schleier gesehen habe. Aiden sagt, der Anblick habe sie so berührt, dass sie in Tränen ausgebrochen sei. Die Kämpfer hätten gesagt, die Mädchen seien jetzt alle Muslime. Einige würden zu Kämpferinnen ausgebildet, um gegen Frauen zu kämpfen, was den Männern bei Boko Haram nicht gestattet ist.

Ihre Geiselnehmer hätten sich damit gebrüstet, wie sie die Mädchen aus Chibok verheiratet hätten, erzählt Dorcas. Dann habe einer der Kämpfer zu ihr gesagt, er werde sie heiraten. Sie habe sich dagegen gesperrt, gesagt, dass sie ihn nicht heiraten werde. "Da zog er seine Pistole und schlug mir damit gegen den Kopf", sagt sie.

Die Kämpfer hätten damit gedroht, jedem die Beine zu brechen, wenn sie versuchten zu entkommen. Trotzdem seien sie und sechs andere Mädchen weggelaufen. Bei ihrer Flucht habe sie etwa zehn weitere Häuser gesehen, in denen Frauen und Mädchen festgehalten worden seien, sagt sie.

Dorcas lebt derzeit in Yola zusammen mit Zehntausenden anderen Flüchtlingen. Sie träumt davon, eines Tages zur Universität zu gehen, etwas vollständig Verwerfliches in der Sicht der Terroristen, die der Meinung sind, dass Mädchen nicht ausgebildet, sondern verheiratet werden sollten. Boko Haram bedeutet übersetzt: Westliche Erziehung ist verboten oder sündig.

Eine andere entkommene Geisel will ihren Namen nicht veröffentlicht sehen. Das schüchterne, 16 Jahre alte Mädchen, das im September verschleppt wurde und erst vor wenigen Wochen entkam, glaubt, dass Boko Haram weiter nach ihr sucht.

Nachdem ihr Dorf viermal von den Extremisten angegriffen wurde, war sie zu ihrer Großtante geflohen, wie sie berichtet. Doch auch dort war sie nicht sicher. Vier Monate lang befand sie sich in der Hand von Boko Haram. Sie floh durch den Busch über die Grenze nach Kamerun, um die Regionen zu meiden, die unter der Kontrolle der Kämpfer stehen. Jetzt hat sie Zuflucht in einer katholischen Kirche in Yola gefunden.

Keine Vergewaltigungen

Alle Mädchen sagen, die seien nicht vergewaltigt worden. Ihre Kidnapper hätten gesagt, sie sollten Jungfrauen bleiben, bis sie verheiratet seien. "Sie sagten, sie erledigen die Arbeit für Gott, deswegen würden sie uns nicht berühren", erzählt die 16-Jährige.

Einer der Kämpfer mit dem Spitznamen "Großer Araber" sei als ihr Ehemann auserkoren worden. Als sie gesagt habe, sie sei viel zu jung für die Ehe, habe er unwirsch geantwortet: "Denkst du, du bist besser als die Chibok-Mädchen, die wir entführt haben?" Der Mann habe ihr gesagt, die Mädchen würden ihr Leben als Ehefrauen genießen. Zudem hätten sie sich von ihren Eltern abgewandt, würden ihnen "den Hals aufschlitzen, wenn sie sie wiedersehen".

Doch für einige wird es ohnehin nie mehr zu einem Wiedersehen kommen. Mindestens 13 Väter und Mütter seien seit der Entführung der Mädchen gestorben, berichten die Menschen in Chibok - entweder bei Angriffen von Boko Haram oder aus Gram.

(ap)
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