Prozess gegen "Boston-Bomber" Für Dschochar Zarnajew geht es um Leben und Tod

Boston · Der schwerste Terroranschlag in den USA seit dem 11. September 2001 wird jetzt juristisch aufgearbeitet. Der mutmaßliche "Boston Bomber" muss sich vor Gericht verantworten. Für ihn geht es um Leben und Tod.

 Dschochar Zarnajew (links) hat sich in der U-Haft einen Bart wachsen lassen.

Dschochar Zarnajew (links) hat sich in der U-Haft einen Bart wachsen lassen.

Foto: dpa, cjg sh

Dschochar Zarnajew, der Angeklagte, sitzt scheinbar entspannt auf seinem Stuhl. Weiße Hose, dunkler Pullover, die Lockenpracht hat der junge Mann Mann behalten. Seit dem Terroranschlag auf den Boston Marathon vor zwei Jahren hat er sich allerdings ums Kinn herum einen Bart wachsen lassen, was den 21-Jährigen nicht mehr ganz so jungenhaft und fotogen erscheinen lässt wie nach seiner Festnahme. Ruhig und seltsam unbeteiligt wirkt der Angeklagte an diesem Montagmorgen - dabei geht es für ihn buchstäblich um Leben oder Tod.

 So sah der mutmaßliche "Boston-Bomber" vor 2 jahren aus.

So sah der mutmaßliche "Boston-Bomber" vor 2 jahren aus.

Foto: dpa, lb axs

Es ist ein eigenartig unspektakulärer Auftakt eines spektakulären Prozesses. Drei Tote und über 260 Verletzte hat es bei dem mit zwei selbstgebauten Bomben verübten Massaker am 15. April 2013 gegeben - der schwerste Terroranschlag in den USA seit dem 11. September 2001. Bereits zum Auftakt wird klar, dass dies ein ganz besonderes Verfahren ist: Sage und schreibe 1 200 Juryanwärter sind aufgerufen - so viel wie noch nie in der Justizgeschichte von Massachusetts.

Doch an diesem Montag - und in den nächsten Tagen - müssen die Juryanwärter erst einmal Fragebögen ausfüllen. Es heißt, so solle ausdrücklich geklärt werden, ob sie auch bereit seien, die Todesstrafe zu verhängen. "Dieser Prozess unterscheidet sich von vielen anderen Prozessen", betont auch der Richter George O'Toole.

Um ihre Unabhängigkeit zu wahren, so der Richter, sollen sie über den Prozess keine Zeitungen lesen, keine Nachrichten schauen, keine Webseiten anschauen. "Blättern sie die Seite um, wechseln sie den Sender." Plötzlich wird der Richter ganz ernst: "Das ist eine Anordnung des Gerichts." Geradezu eine Todsünde wäre es, aktiv übers Internet mehr über den Prozess zu erfahren. "Also, nicht googeln!" Fast mutet es an, als sollten die Geschworenen in eine Art Konklave geschickt werden.

Die Schuld scheint klar zu sein

Auch ansonsten gibt es Besonderheiten: "Für viele scheinen die Beweise gegen ihn überwältigend", meint selbst die "New York Times", die sich ansonsten mit derartigen (Vor)Urteilen vor Prozessbeginn geflissentlich zurückhält.

Genau dort will die Verteidigerin Judy Clark ansetzen: Seit Monaten wettert das Verteidigerteam, in Boston sei kein unabhängiger Prozess möglich, der Schrecken über das Massaker sitze zu tief. Unabhängige Rechtsexperten stimmen dem zu - bei anderen Terrorprozessen in den USA gab es Verlegungen. Doch Richter O'Toole hat alle Anträge auf Verlegung abgeschmettert.

Die Frage, die sich in Boston stellt, heißt denn offenbar nicht so sehr schuldig oder nichtschuldig, sondern stattdessen: Todesstrafe oder lebenslange Haft ohne Chance auf vorzeitige Haftentlassung? Das Vertrackte: Das liberale Massachusetts hat die Todesstrafe schon vor längerem abgeschafft, die letzte Hinrichtung in dem Bundesstaat gab es gar 1947.

Doch bei dem Verfahren handelt es sich um eine Bundesangelegenheit. "Die Vereinigten Staaten von Amerika gegen Dschochar Zarnajew", steht auf der Anklageschrift. Zwar ist die Todesstrafe auch bei Bundesverfahren extrem selten - doch Justizminister Eric Holder hat sich bereits vor Monaten weit aus dem Fenster gelegt und die Todesstrafe ausdrücklich autorisiert. Auch das ist alles andere als üblich.

Es steht schlecht um Dschochar Zarnajew, schon kursieren Gerüchte, die Verteidigung habe sich bereits mit einem Schuldspruch abgefunden. Ihr gehe es nur noch darum, ihrem Mandaten das Todesurteil zu ersparen.

Sie setzte ganz darauf, den Angeklagten als Opfer einer Manipulation durch seinen älteren Bruder Tamerlan darzustellen. Der Ältere habe sei sich zum radikalen Islamisten verwandelt und den jüngeren Bruder regelrecht angestiftet. Dabei sei Dschochar gut integriert gewesen in den USA, habe sich seit seiner Ankunft in den USA vor mehr als zehn Jahren an das Leben gewöhnt, sei auf ein gute High-School gegangen, sei ein beliebter Kumpel in Ringerteam der Schule gewesen.

Ob der Prozess die mutmaßliche Radikalisierung des Bruders und dessen mutmaßliche Manipulation aufzeigen kann, ist mehr als fraglich. Tamerlan kann nämlich nicht vor Gericht erscheinen: Er war bei einem Schusswechsel mit der Polizei nach dem Anschlag ums Leben gekommen.

(dpa)
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