Nach den Bombenanschlägen beim Marathon Boston: Ein Tag voller Verwirrungen

Düsseldorf · Zwei Tage sind vergangen seit dem Anschlag von Boston. Am Mittwoch dann schien es, als hätten die Ermittler Fortschritte gemacht. Angebliche Festnahmen allerdings wurden dementiert. Für Verwirrung sorgte zudem die Evakuierung des Bundesgerichts in Boston sowie die Verschiebung einer vom FBI angekündigten Pressekonferenz.

Am Nachmittag hatten Sicherheitskräfte zeitweilig das Bundesgericht in Boston evakuiert. Anwälte, Gerichtsbedienstete und Medienvertreter wurden zum Verlassen des Gebäudes aufgefordert und sollten sich zudem von dem Gebäude entfernen, wie ein Reuters-Reporter vor Ort berichtete. Wie die Zeitung Boston Herald berichtete, durften die Menschen später wieder in das Gericht, nachdem die Polizei das Gebäude durchsucht hatte.

Zuvor hatte es entgegen anderslautender Medienberichte bei den Ermittlungen nach Polizeiangaben doch noch keine Festnahme gegeben. Das hatte die Bostoner Polizei über den Kurznachrichtendienst Twitter am Mittwoch mitgeteilt. Folgende Erklärung der Behörden wurde über den Kurznachrichtendienst Twitter verbreitet: "Entgegen anderslautender Berichte hat es im Zusammenhang mit dem Marathon-Anschlag keine Festnahmen gegeben."

Zuvor hatten mehrere Medien berichtet, dass es eine Festnahme eines Verdächtigen gegeben habe. CNN hatte sich zuvor auf eine Quelle aus Justizkreisen berufen, ebenso wie der "Boston Globe". Auch die Nachrichtenagentur AP berichtete von einer Festnahme. Die Person sei sogar auf dem Weg in ein Gebäude der Bundesjustiz. Ermittler hätten eine erste Spur zu einem Verdächtigen gefunden.

Angeblich haben die Behörden mithilfe eines Videos von einem Geschäft nahe dem Explosionsort der zweiten Bombe einen möglichen Täter identifiziert. Der Boston Globe schreibt, dass eines der Videos womöglich den Täter beim Absetzen der verdächtigen schwarzen Taschen zeigt. Beide Medien berufen sich auf eine nicht näher benannte Quelle aus Ermittlerkreisen.

Das FBI wollte eigentlich um 23 Uhr MEZ eine Pressekonferenz geben, auf die mit Spannung gewartete wurde. Denn man erwartete Details zu den zuvor aufgekommenen Meldungen. Doch die Pressekonferenz wurde auf unbestimmte Zeit verschoben. Ein Grund dafür wurde nicht genannt.

Eine tödliche Mischung im Schnellkochtopf

Schon zuvor war bekannt geworden, dass der Inhalt des Schnellkochtopfs, der am Montag beim Marathon in Boston zu einer schweren Explosion führte, beinhaltete eine tödliche Mischung aus Nägeln, Kugellagern und Schießpulver. Ermittler haben am Nachmittag den Deckel des für die Bombe verwendeten Schnellkochtopfs gefunden. Das Metallteil habe auf einem Dach am Anschlagsort im Stadtzentrum gelegen, meldete CNN am Mittwoch unter Berufung auf Ermittler. Eine offizielle Bestätigung für die Information gab es zunächst nicht. Von dem Fund erhoffen sich die Polizisten Hinweise auf den Ursprung des Sprengsatzes.

Bei einer der beiden Bomben sind sich die Ermittler sicher, dass sie aus einem Schnellkochtopf bestand. Laut FBI soll er Nägel, Kugellagerkugeln und Luftgewehrmunition enthalten haben, die für die verheerende Splitterwirkung sorgten. Der Topf soll in einem Rucksack oder eine Tasche versteckt am Ziel des traditionsreichen Massenlaufs versteckt gewesen sein. Auch die zweite Bombe war in einem Metallbehälter. Zwei Tage nach dem Anschlag war aber immer noch unklar, ob es sich auch dabei um einem Kochtopf handelte.

Für die Detonation einer der Bomben sorgte eine küchentypische Eieruhr, berichtete die "New York Times" auf ihrer Internetseite am Mittwoch. Fahnder erhoffen sich von den gefundenen Resten eine heiße Spur. Denn: Täter oder Motiv sind weiter nicht bekannt.

Die US-Ermittler arbeiten auf Hochtouren an der Aufklärung des schwersten Anschlags auf amerikanischem Boden seit den Angriffen am 11. September 2001. Sie gehen jedem Hinweis nach, sie schauen sich jedes Video an, ob Überwachungskamera oder Augenzeugen-Mitschnitt.

Anleitungen im Internet

Der mit Schießpulver gefüllte Schnellkochtopf enthielt den Beamten zufolge auch Kugellager, um bei der Explosion mehr Splitter zu erzeugen. Anleitungen für den Bau einer derartigen Bombe seien im Internet zu finden, sagen Experten. Chirurgen mehrerer Krankenhäuser berichteten, sie hätten Verletzten Metallkugeln und Nägel herausoperieren müssen.

Ungeklärt ist weiterhin die Frage, ob es sich um einen oder mehrere Täter gehandelt habe. CNN streute die Vermutung, gestützt auf Untersuchungen von Experten, man habe es mit dem Boston-Attentäter mit einem "lone wolf", einem Einzelgänger zu tun. Die Vorgehensweise bei den Explosionen, die Zusammensetzung der Bomben — alles Indizien für einen "Solo-Terroristen", ob nun Al-Qaida-Terrorist oder Rechtsextremist. Denkbar sei weiterhin beides.

Al-Qaida-Mitglieder im Arabischen Raum würden auf ähnliche, einfach Bauweisen zurückgreifen, sagen Experten. Schließlich feiern sie sich für den "Do-it-yourself"-Terrorismus. Im Jahr 2010 setzten sie gar eine Anleitung ins Netz: "How to Make a Bomb in Your Mom's Kitchen" - "So wird eine Bombe in Muttis Küche gebaut". Darin heißt es: "Der Dampfkochtopf ist die effektivste Methode."

Weltweite Bestürzung

Paralellen gibt es indes auch zu einheimischen Tätern. Die Zusammensetzung der Bostoner Bomben erinnere an die des Atlanta-Attentäters 1996. Erich Rudolph konstruierte sie aus Rohrbomben, die ebenfalls mit Schießpulver und Nägeln gefüllt waren. Eine Zeituhr löste den Sprengsatz aus, der in einem Rucksack verstaut war.

Nach Angaben der Ermittler waren die beiden explodierten Bomben die einzigen, die es am Montag in Boston gab. In Berichten hatte es geheißen, es seien weitere Sprengsätze gefunden worden, die nicht explodiert seien.

Ermittler hätten in diesem Fall möglicherweise wichtige Spuren sichern können. Nach Angaben der Bostoner Polizei gibt es nach wie vor keine Festnahmen. Aus dem FBI verlautete zudem, niemand habe sich zu der Tat bekannt. Es gebe ein breites Spektrum von möglichen Motiven.

Die Tat hatte weltweit Bestürzung ausgelöst. US-Präsident Barack Obama sprach am Dienstag von einem Terroranschlag. Unter den Opfern sind ein achtjähriger Junge und eine 29-jährige Frau. In Ermittlerkreisen hieß es, der Zeitpunkt des Angriffs spreche für einheimische Extremisten, die einen mächtigen Staat ablehnen.

Am Montag wurde in Massachusetts der Patriots' Day begangen, der an den Unabhängigkeitskrieg erinnert. Am 15. April läuft in den USA zudem die Frist für die Abgabe der Steuererklärung ab. Steuern sind für einige amerikanische Extremistengruppen ein Reizthema.

Vater des Achtjährigen lief doch nicht mit

Unterdessen wurde bekannt, dass der Vater des getöteten achtjährigen Martin Richard entgegen ursprünglicher Meldungen doch nicht bei dem Marathon mitgelaufen. Der 42 Jahre alte Bill Richard hatte mit seiner Familie den Zieleinlauf beobachtet, als am Montag die Bomben bei dem traditionsreichen Lauf explodierten. In ersten US-Meldungen hatte es geheißen, er sei mitgelaufen und sein Sohn Martin sei getötet worden, als er den Zieleinlauf des Vater verfolgen wollte.

Die Familie hat drei Kinder und wurde besonders schwer von dem Anschlag getroffen. Martin starb noch am Tatort. Sein kleine Schwester Jane verlor ein Bein. Die Mutter erlitt ernsthafte Hirnverletzungen. Vater Bill und ein zweiter Sohn wurden nicht ernsthaft verletzt. Inzwischen ging ein Foto um die Welt, das Martin mit einem selbst gebastelten Poster zeigt. Darauf steht: "Keine leidenden Menschen mehr - Frieden". Das Bild entstand vor knapp einem Jahr auf einer Schulaktion.

(nbe / felt)
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