Norwegischer Attentäter Breivik laut Gutachtern nicht zurechnungsfähig

Oslo · Der geständige norwegische Attentäter Anders Behring Breivik ist für unzurechnungsfähig erklärt worden. Laut einem psychiatrischen Gutachten habe er den Bombenanschlag in Oslo und das anschließende Blutbad auf der Insel Utöya mit insgesamt 77 Toten in einem "psychotischen Zustand" durchgeführt, teilte die Staatsanwaltschaft in Oslo am Dienstag mit.

Anders Breivik - Mann mit zwei Persönlichkeiten
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Sollte das Gericht zu dem selben Schluss kommen, wird Breivik nicht ins Gefängnis, sondern in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen. Das 243 Seiten lange Gutachten, das nun von einem Gremium der norwegischen Vereinigung der Gerichtsmediziner geprüft wird, widerspricht früheren Aussagen des Vorsitzenden dieses Gremiums, Dr.
Tarjei Rygnestad.

Er hatte der Nachrichtenagentur AP noch im Juli gesagt, dass es angesichts der sorgfältigen Planung der Anschläge unwahrscheinlich sei, dass Breivik für unzurechnungsfähig erklärt werden würde. Am Dienstag erklärte er, seine damalige Aussage habe auf Informationen aus zweiter Hand beruht, der Geisteszustand einer Person könne nur durch genaue Analyse bestimmt werden.

"Der Schluss der forensischen Experten ist, dass Anders Behring Breivik unzurechnungsfähig war", sagte Staatsanwalt Svein Holden hingegen am Dienstag. In dem Bericht wird Breivik als Mann beschrieben, der sich selbst in einer Wahnwelt befindet, in der alle Gedanken und Taten von diesen Wahnvorstellungen beherrscht werden".
Breivik habe demnach während einer langen Zeit eine paranoide Schizophrenie entwickelt, die ihn zu der Person gemacht habe, die er heute sei.

Laut norwegischem Recht ist eine Psychose Voraussetzung dafür, dass die Verteidigung auf Unzurechnungsfähigkeit plädieren kann.
Konkret würde das bedeuten, dass der Angeklagte den Bezug zur Realität in einem solchen Ausmaß verloren hat, dass er seine eigenen Taten nicht mehr kontrollieren kann.

Schuldunfähigkeit in Deutschland

Was angesichts des exorbitanten Verbrechens auf den ersten Blick unglaublich erscheint, könnte sich am Ende rechtlich jedoch Bestand haben. In Deutschland ist die "Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen" in Paragraf 20 des Strafgesetzbuches geregelt. Dort heißt es: "Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln."

Der Volksmund greift dies auf, indem er sagt, dass nur ein "Irrer" oder "Geistesgestörter" bestimmte Taten wie jene in Norwegen begehen könne. Als "Störungen" gelten laut Gesetz etwa Psychosen, Alkohol- oder Drogenrausch sowie paranoide, sexuell-sadistische oder psychopathische Defekte. Bei letzteren dominiert etwa ein abgrundtiefes Hassgefühl die Persönlichkeit. Für die Bewertung der Schuld kommt es allein darauf an, ob die Einsicht und Steuerungsfähigkeit "zum Zeitpunkt der Begehung der Tat" aufgehoben war.

"Stimmen aus dem Kosmos"

Rechtliche Folge einer solchen "Schuldunfähigkeit" ist, dass der Täter zwar nicht bestraft werden kann, aber in ein psychiatrisches Krankenhaus eingeliefert wird und dabei seine Gefährlichkeit für die Allgemeinheit regelmäßig überprüft wird. Das könne letztlich auf einen lebenslangen "unbefristeten Freiheitsentzug" hinauslaufen, erläuterte der Tübinger Strafrechtsprofessor Jörg Kinzig kurz nach dem Attentat in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dapd.

So wurde im Februar 2010 ein Amokläufer, der in Rostock zwei Rentner erstochen und einen Polizisten verletzt hatte, in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen. Er galt wegen einer Psychose als schuldunfähig. Vor der Tat hatte er gegenüber Dritten geäußert, dass ihn "Stimmen aus dem Kosmos" aufgefordert hätten, Menschen zu töten.

Doch nicht jeder Mörder gilt auch als psychisch krank. Nach der deutschen Rechtsprechung gibt es auch abgrundtief böse Menschen, die letztlich als gesund eingestuft werden. Im Falle von Breivik könnte etwa gegen eine Schuldunfähigkeit sprechen, dass er "sehr zielgerichtet" vorgegangen sei, erklärte Kinzig.

Ähnlich hatte sich auch kurz nach dem Attentat auch der Leiter des forensisch-medizinischen Ausschusses in Norwegen, Tarjei Rygnestad, geäußert. Breivik habe seine Taten so sorgfältig geplant und ausgeführt, dass man ihn nur schwer als Geisteskranken betrachten könne, sagte er damals. Am Dienstag erklärte er nun, seine damalige Aussage habe auf Informationen aus zweiter Hand beruht. Der Geisteszustand einer Person könne nur durch genaue Analyse bestimmt werden. Das jetzige Gutachten ist aber immer noch nicht das letzte Wort. Erst wird es noch von einem Ausschuss von Gerichtspsychiatern geprüft, dann entscheidet abschließend das Gericht in Oslo darüber.

(AFP)
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