Der Terror in Paris und die Folgen Kampf der Kulturen

Meinung · Die Attentate von Paris und die sich anschließenden polizeilichen Maßnahmen haben Europa in einen Ausnahmezustand versetzt. Der Kampf der Kulturen droht zu einem Krieg der Kulturen zu werden. Ein Kommentar von Martin Kessler.

Charlie Hebdo-Chef beigesetzt
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Foto: dpa, bl pt

Das Jahr hat gerade begonnen, und es herrscht so etwas wie Endzeitstimmung in Europa. Es vergeht kein Tag ohne Horrormeldungen von der Islamistenfront — Paris, Nigeria, Irak, Verviers, Berlin. Die Globale des Terrors hält die Welt in Atem. Und noch stärker als bisher machen Europäer und Amerikaner gegen die Bedrohung mobil: Razzien in vielen Städten der Europäischen Union, Heraufsetzung der Terrorwarnstufen, schärfere Einreisebestimmungen.

Auf der anderen Seite äußern muslimische Schüler in den Vororten von Paris, Brüssel oder Amsterdam ihre offenen Sympathien für die Attentäter auf die Satire-Zeitung "Charlie Hebdo". In Brüssel und Antwerpen schließen die jüdischen Schulen, in Frankreich denken viele Juden an Auswanderung nach Israel.

Der amerikanische Soziologe Samuel Huntington nannte es schon vor Jahrzehnten den "Kampf der Kulturen". Angesichts der Schießereien, Attentate und Razzien kann man fast vom Krieg der Kulturen sprechen.

Tatsächlich scheinen die Dschihadisten und Islamisten in vielen Ländern Europas nicht nur eine winzige radikale Gruppe zu sein. Aufgewachsen in den Parallelgesellschaften, verführt von fanatischen Geistlichen und trainiert in den Bürgerkrieg-Camps von Syrien bis Jemen, bilden sie gewissermaßen die Speerspitze des Islamismus, der breiter ist als auch viele gutmeinende moderate muslimische Verbände glauben. Denn in der ausgegrenzten und frustrierten Generation junger europäischer Muslime rufen die gewaltbereiten "Gotteskrieger" eher Bewunderung als Abscheu hervor.

Dazu kommt, dass in manchen europäischen Großstädten wie Brüssel, Paris, vielleicht sogar Berlin schon rechtsfreie Räume bestehen, in denen das islamische Recht, die Scharia, praktiziert wird, weil weder die Polizei noch die Justiz in Viertel vordringt, die teilweise bis zu 80 Prozent von muslimischen Einwanderern bewohnt werden.

Man muss nicht islamophob sein, um aus solchen Verhältnissen große Spannungen herauszulesen. Die Mischung aus eigener Stärke, tatsächlicher oder vermeintlicher Diskriminierung und fehlenden Zukunftsperspektiven wegen mangelhafter Bildung oder Berufschancen bilden einen fruchtbaren Boden für Radikalisierung und Gewalt. Wenn dann eine Religion wie der Islam als verbindende Orientierung hinzukommt und man sich als Mitglied einer panislamischen Gemeinschaft sieht, wird die Radikalisierung beschleunigt. Damit ist Islam und Gewaltbereitschaft nicht gleichgesetzt. Aber es gibt offensichtlich Strömungen im Islam, die Gewaltbereitschaft und Terror begünstigen, sogar dazu aufrufen. Das ist die Achillesferse dieser Religion.

Was ist zu tun? Zuerst einmal dürfen die Verantwortlichen nicht die Augen vor den Tatsachen verschließen. Dass die islamischen Verbände in ihrer überwiegenden Mehrheit den Terror verurteilt haben, ist gut, aber nicht ausreichend. Der gewaltsamen Richtung im Islam müssen sich auch die friedlichen und rechtstreuen Muslime kritisch stellen — schon im eigenen Interesse.

Doch auch die noch existierende Mehrheitsgesellschaft ist gefordert. Hart und mit allen polizeilichen und rechtsstaatlichen Mitteln muss der demokratische Staat gegen Islamismus und Terrorismus vorgehen. Aber er muss auch in einem breit angelegten Konzept den Migranten europaweit Bildungs- und Aufstiegschancen bieten. Schließlich sind die Parallelgesellschaften in Brüssel-Sint Joos, Berlin-Neukölln oder Paris-Evry zu durchbrechen. Das heißt auch, Einwanderung nur in dem Maße zuzulassen, dass solche Parallelgesellschaft sich nicht weiter verfestigen.

Eine gewaltige Aufgabe. Wird sie nicht gelöst, versinkt der Kontinent noch mehr in den Krieg der Kulturen.

(kes)
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