Völkermord in Ruanda Das Ehepaar Gauthier und sein Kampf gegen "das unendlich Böse"

Paris · Zwei Jahrzehnte ihres Lebens haben Dafroza Gauthier und ihr Mann Alain der Jagd nach den Schuldigen am Völkermord in Ruanda gewidmet. Als Amateurdetektive jagten sie die Verantwortlichen. Am Freitag saßen sie im Gerichtssaal, als Ex-Geheimdienstchef Pascal Simbikangwa in Paris zu 25 Jahren Haft verurteilt wurde.

 Dafroza Gauthier und ihr Mann Alain vor dem Pariser Justizpalast.

Dafroza Gauthier und ihr Mann Alain vor dem Pariser Justizpalast.

Foto: dpa, lof tmk

Mit den ersten Anrufen aus Ruanda war am 7. April 1994 für Dafroza Gauthier und ihrem Mann Alain das Leben, wie sie es kannten, zu Ende. An diesem Tag erreichten die Familie die ersten schrecklichen Berichte über den Völkermord in Dafrozas Heimatland Ruanda. "Genozid ist das absolut Böse. Von diesem Bösen wird man nie geheilt", sagt Dafroza während der am Freitag zu Ende gegangenen Verhandlung gegen den ehemaligen ruandischen Geheimdienstchef Pascal Simbikangwa im Pariser Palais de Justice.

 Dieses undatierte Foto zeigt Ex-Geheimdienstchef Pascal Simbikangwa.

Dieses undatierte Foto zeigt Ex-Geheimdienstchef Pascal Simbikangwa.

Foto: afp, sd

Die beiden Amateurdetektive und Aktivisten aus der Stadt Reims hatten Simbikangwa zur Strecke gebracht. Sie stöberten den unter einem falschen Namen lebenden Mann auf der Insel Mayotte im Indischen Ozean auf und reichten eine Zivilklage ein. Diese brachte den Völkermordprozess gegen Simbikangwa - Frankreichs ersten - ins Rollen. Mehr als fünf Wochen nach Prozessbeginn wurde Simbikangwa am Freitag zu einer 25 Jahre langen Haftstrafe verurteilt.

Bei einem Besuch in Ruanda im Februar 1994 hatte Dafroza mit eigenen Augen erlebt, welches Unheil sich anbahnte: Ein Radiosender verbreitete Namen von Mitgliedern der Tutsi-Minderheit. Sie wurden "inyenzi" genannt, das heißt Kakerlaken in der Landessprache Kinyarwanda. Ihre Mutter drängte sie, Ruanda zu verlassen, solange dies noch möglich war. In Frankreich schrieb Alain an den damaligen Präsidenten François Mitterrand und bat ihn vergebens einzugreifen. Mitterrand hatte enge Verbindungen zu der vom Mehrheitsvolk der Hutu dominierten Regierung.

Der Genozid begann am 6. April, nach dem tödlichen Attentat auf Präsident Juvenal Habyarimana. Hutu-Extremisten begannen eine grausame Rachekampagne gegen Tutsis und moderate Hutus. Hundert Tage später hatten geschätzt 800 000 Menschen ihr Leben verloren.

Dafrozas Mutter war eines der ersten Opfer aus ihrer Familie. Am zweiten Tag des Mordens wurde sie vor einer Kirche erschossen. Insgesamt verlor die heute 59-jährige Chemikerin 80 Verwandte, bevor Tutsi-Rebellen das Schlachten im Juli beendeten.

Im Gericht zählt Dafroza die Namen der Opfer auf. Ihre sorgfältig getippte Aussage hält sie in beiden Händen und versucht, nicht zusammenzubrechen, wenn sie von einem besonders grausamen Mord erzählt. Wie etwa von der Cousine, die lebendig unter brennenden Autoreifen begraben wurde. Im Saal herrscht betroffenes Schweigen.

"Das ist mein Weg um den Horror zu überwinden"

Dafroza und ihr Mann, ein pensionierter Lehrer, haben trotzdem gelernt, mit dem Leid umzugehen: Man dürfe nicht untätig bleiben und müsse Gerechtigkeit fordern, sagt Dafroza der Nachrichtenagentur dpa. "Das ist mein Weg um den Horror zu überwinden."

Sie begannen, nach den Tätern zu suchen. Dafür mussten die Gauthiers nicht weit reisen. Dutzende Verdächtige fanden in Frankreich Unterschlupf. 2001 begann das Ehepaar Gauthier mit seiner Detektivarbeit. Drei Jahre später kamen sie auf die Spur eines an einem Massaker maßgeblich beteiligten ehemaligen Präfekten. Der Mann wurde an Tansania ausgeliefert, wo er von einem UN-Tribunal wegen Völkermords verurteilt wurde.

Beinahe 20 Jahre hatte Frankreich Forderungen ignoriert, ruandische Verdächtige auszuliefern oder ihnen selbst den Prozess zu machen. Erst 2009 gestand Frankreich ein, hier Fehler gemacht zu haben und setzte eine eigene Ermittlereinheit ein. Simbikangwa ist einer von 25 Verdächtigen, gegen die das Ehepaar Gauthier geklagt hat. Der 54-Jährige wies die Anschuldigung zurück, eine Hutu-Miliz angeführt zu haben.

Im Februar verurteilte ein Frankfurter Gericht einen 56-jährigen Ruander wegen eines Massakers in einer Kirche. Es war dies das erste Urteil eines deutschen Gerichts zu Ruanda.

Alain war während des sechswöchigen Verfahrens jeden Tag im Gericht. Das Leugnen des Angeklagten, vor allem seine Behauptung, er habe während des Genozids keinen einzigen Toten gesehen, seien unerträglich für ihn gewesen. Im Zeugenstand spricht er Simbikangwa direkt an. Er zitiert aus "La conscience" (dt. Das Gewissen), einem Gedicht des französischen Autors Victor Hugo. Kain, der seinen Bruder Abel erschlagen hat, versucht vor seinem Gewissen zu fliehen. Doch ein starres Auge verfolgt in bis ins Grab.

(dpa)
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