Zwei Jahre nach der Katastrophe Dekontaminierungs-Drama in Fukushima

Fukushima · Zwei Jahre nach dem GAU in Fukushima nach dem schweren Erdbeben und Tsunami vom 11. März 2011 versucht Japan das eigentlich Unmögliche: In einem beispiellosen Kraftakt soll die Verstrahlung von riesigen unbewohnbar gewordenen Gebieten zumindest gesenkt werden.

Roboter soll Fukushima erkunden
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Foto: afp, YOSHIKAZU TSUNO

Zwischen schneebedeckten Reisfeldern, Wiesen und Wäldern türmen sich Berge aus großen schwarzen Plastiksäcken auf. Mit weißen Masken vermummte Japaner in Bauarbeiterkluft stehen um einen Bagger, der weitere Säcke von einem Laster lädt. Auf die Säcke sind Mikrosievert-Zahlen gekritzelt - der Inhalt: radioaktiver Abfall.

Vom Staat beauftragte Unternehmen lassen Arbeiterkolonnen Gras und Äste an Berghängen von Hand abschneiden. Mit kleinen Baggern und Schaufeln werden an manchen Stellen bis zu fünf Zentimeter Erde abgetragen, Dächer mit Papier abgewischt. Da in Ermangelung eines Zwischenlagers niemand weiß, wohin damit, landet das Ganze in Säcken. Manche werden vergraben, auch auf Schulhöfen. "Die Säcke halten drei Jahre", erzählt einer der Arbeiter der Nachrichtenagentur dpa. So wie hier in einem wie ausgestorben wirkenden Bezirk innerhalb der 20-Kilometer-Evakuierungszone um das Atomkraftwerk Fukushima ist die gesamte umliegende Region übersät mit Atommüllhalden.

Szenenwechsel: Mitarbeiter von Greenpeace Deutschland nähern sich in der Provinz-Hauptstadt Fukushima einem verschneiten Spielplatz. Passanten schauen kurz her und gehen dann stumm vorüber. Plötzlich schlägt das Strahlenmessgerät vor einer Rutsche auf über zehn Mikrosievert aus. "In Deutschland mit einem Grenzwert von einem Millisievert im Jahr zusätzlicher Strahlung wäre der schon nach etwa vier Tagen erreicht", sagt Greenpeace-Atomexperte Heinz Smital. "Dass es nach zwei Jahren immer noch solche hochgradig kontaminierten Stellen auf Spielplätzen gibt, ist unerträglich." Kurz darauf misst er auf einem Parkplatz neben dem Bahnhof gar 40 Mikrosievert.

"Hier wird Normalität vorgespielt"

"Ich finde das unheimlich", erzählt Hiremi Nakagawa (58) aus Tokio, der gerade vorbeikommt. "Aber die Menschen hier in Fukushima scheinen sich damit abgefunden zu haben. Es trägt auch keiner eine Maske." Für zwei Jahre unterstützt er die Dekontaminierungsarbeiter im Ort Minamisoma als Koch. "Hier wird den Menschen Normalität vorgespielt", beklagt Smital. Dass der Staat in unbewohnten Gebieten einen derart großen und fragwürdigen Aufwand betreibt, es zugleich aber in der Stadt Fukushima noch immer hoch verstrahlte Stellen gibt, ist für ihn unverständlich. Der Parkplatz befindet sich nur wenige Meter vom Dekontaminierungsbüro des Umweltministeriums entfernt.

Für solche Gebiete seien die jeweiligen örtlichen Regierungen zuständig, weist der verantwortliche Beamte Shota Kato im Ministerium in Tokio die Schuld von sich. "Wir als Staat übernehmen die höher verstrahlten Gebiete, weil die Dekontaminierung solcher Gebiete aufwändiger ist." Zugleich räumt er ein, dass man sich über den Erfolg der Maßnahmen selbst nicht sicher ist. "Das müssen wir alles sehen." Greenpeace-Experte Smital sagt: Eine Dekontaminierung ganzer Landstriche sei gar nicht möglich.

Die regionalen Behörden hätten Anweisung, gerade Stellen, wo sich viele Kinder aufhalten, mit Vorrang zu dekontaminieren, fährt Kato vom Umweltministerium fort. "Und es wird auch meistens so gemacht." Die Versuche, der unsichtbaren Gefahr mit Händen und Schaufeln beizukommen, wirken aber eher hilflos - auch auf viele Anwohner.

"Die handhaben das, als wären es normale öffentliche Bauarbeiten. Die wollen einfach nur schnell fertig werden", kritisiert Yoshihiko Kanno. Der Familienvater aus Fukushima kämpft seit dem GAU für den Schutz der Kinder in seinem Stadtteil Watari. Weil die Stadtverwaltung auf dem Schulhof die Erdoberfläche anfangs abkratzen und die kontaminierte Erde an gleicher Stelle tiefer vergraben wollte, gründete Kanno aus Protest zusammen mit vier Müttern die Bürgerinitiative "Schützt die Kinder von Watari". Seine Forderung, Watari als Evakuierungszone anzuerkennen, blieb aber erfolglos.

Dass der Staat sich bevorzugt um die Dekontaminierung der evakuierten Gebiete kümmert, damit die Menschen möglichst schnell wieder in ihre Häuser zurückkehren, werten Kritiker als Versuch, die gigantischen Kompensationszahlungen einzugrenzen. "Die Regierung versucht, Geld zu sparen, indem sie die Menschen zwingt, in eine Gegend zurückzukehren, die noch verstrahlt ist", kritisiert Greenpeace-Experte Smital. Andere sehen darin das Bestreben des neuen rechtskonservativen Premiers Shinzo Abe, die Auswirkungen des Atomunfalls herunterzuspielen - das soll den Widerstand im Volk gegen ein Wiederanfahren der Atomreaktoren in Japan aufweichen.

(dpa/felt)
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