Unglaublich, aber wahr Der Mann, der einen Dschungel pflanzte

Neu-Delhi · Was kann ein Mensch allein schon erreichen? Zum Beispiel eine öde Sandbank in einen riesigen Wald verwandeln. Oder einen Pfad durch einen Felsen schlagen, nur mit Hammer und Meißel. Oder in Dürregebieten künstliche Gletscher anlegen. Drei unglaubliche, aber wahre Geschichten.

 1979 pflanzte Jadav Payeng die ersten Bambussetzlinge. Heute ist sein Wald 550 Hektar groß — fast 800 Fußballfelder voller Leben.

1979 pflanzte Jadav Payeng die ersten Bambussetzlinge. Heute ist sein Wald 550 Hektar groß — fast 800 Fußballfelder voller Leben.

Foto: Balogh

Für einen Spinner hatten die Leute Jadav Payeng gehalten, für jemanden, der wild entschlossen war, einen aussichts- und damit sinnlosen Kampf zu führen: Ganz allein mit einer Handvoll Setzlinge gegen die Sonne, die auf eine riesige, staubige Sandbank herunterbrannte — wie sollte das funktionieren? Doch fast 30 Jahre später kam der Moment, in dem die Bewohner der Nachbardörfer eine Elefantenherde suchten, die nach dem Zertrampeln ihrer Hütten wie vom Erdbeben verschluckt schien. Bald stellte sich heraus, dass die Tiere Schutz gesucht und gefunden hatten in dem Dschungel, den Payeng geschaffen hatte, der Spinner. Es waren nicht bloß eine Handvoll oder ein Dutzend Elefanten. Es waren rund einhundert.

Das klingt wie ein schamloser Neuaufguss der Kurzgeschichte "Der Mann, der Bäume pflanzte" des französischen Autors Jean Giono (die gelungene Verfilmung ist hier zu sehen). Doch deren Hauptperson Elzéard Bouffier war frei erfunden, wie der Autor vielen hingerissenen Lesern erklären musste. Jadav Payeng hingegen ist echt. Er lebt wie der Wald, den er angepflanzt hat, 550 Hektar bis heute, das sind fast 800 Fußballfelder. 5,5 Millionen Quadratmeter voller Gräser, Farne, Büsche, Bambusstauden und ausgewachsener Bäume. Bevölkert zunächst von Insekten und Schlangen, Vögeln und Affen, Hasen und Hirschen, schließlich auch von den seltenen, gefährdeten bengalischen Tigern und Rhinozerossen. Auch die Elefanten besuchen den Wald immer wieder, Jahr für Jahr.

Den Grundstock dafür legte Payeng im Sommer 1979. Das dritte von 13 Kindern seiner Eltern war damals 16 Jahre alt und nach seinem Schulabschluss auf Heimaturlaub in seinem Geburtsort. Doch in Aruna Chapori im Bezirk Majuli in Assam, dem äußersten Nordosten Indiens, bot sich ihm ein verstörender Anblick: Der mächtige Brahmaputra-Fluss hatte eine karge Insel überflutet und dabei dutzende Schlangen angespült, die mangels Schatten bei lebendigem Leib vertrocknet waren. Payeng rannte zu den Dorfältesten und erklärte, er habe Angst, dass die Menschheit eines Tages genauso enden würde. "Sei nicht albern!", sei ihre Antwort gewesen, erinnert er sich; "Das wird nicht passieren." Doch Payeng wollte sich damit nicht zufrieden geben.

Er hatte die Absicht, einen Wald anzulegen.

 "Ich bin der glücklichste Mensch der Welt", sagt Payeng — auch wenn die Tiger, die in seinem Wald Zuflucht finden, regelmäßig sein Vieh reißen.

"Ich bin der glücklichste Mensch der Welt", sagt Payeng — auch wenn die Tiger, die in seinem Wald Zuflucht finden, regelmäßig sein Vieh reißen.

Foto: dpa

Also wandte er sich an die regionale Forstbehörde. Dort sagte man ihm, die Erosion mache das unmöglich, höchstens Bambus wachse auf der Sandbank. Also pflanzte Payeng die Setzlinge, die sie ihm gaben, und kehrte zurück, um sie zu wässern und zu beschatten. Fünf Jahre lang unterstützte ihn die Behörde mit weiteren Arbeitern. Dann war das Aufforstungs-Projekt für die Bürokraten beendet, alle gingen ihrer Wege und vergaßen das Wäldchen. Alle außer Jadav Payeng.

 Die deutsche Studentin Julia Balogh hat Payeng 2013 besucht, um sich mit eigenen Augen davon zu überzeugen, dass die märchenhafte Geschichte wahr ist.

Die deutsche Studentin Julia Balogh hat Payeng 2013 besucht, um sich mit eigenen Augen davon zu überzeugen, dass die märchenhafte Geschichte wahr ist.

Foto: Balogh

"Niemand half mir", sagt der heute 53-Jährige. "Niemand hatte Interesse". Aber er blieb dran. Säte und goss die Pflanzen, hegte und pflegte sie — und transportierte Rote Ameisen in sein Wäldchen, weil er wusste, dass sie den Boden auflockern. "Sie haben mich oft gebissen", erzählt er grinsend, "das war eine ganz besondere Erfahrung".

2008, auf der Suche nach den Elefanten, traf der staatliche Forstbeamte Gunin Saikia Payeng zum ersten Mal. "Die Menschen, deren Hütten in den Nachbardörfern von den Elefanten zerstört worden waren, wollten den Wald abholzen", erinnert er sich. Payeng, dessen Hütte im Wald die Tiere ebenfalls zertrampelt hatten, erklärte, dass sie dafür zuerst ihn töten müssten. "Wir waren und sind sehr beeindruckt von seiner Haltung und davon, dass er 30 Jahre seines Lebens investiert hat."

Payeng ist kein Kind reicher Eltern, im Gegenteil: Als Fünfjähriger kam er in die Obhut des Bezirksrichters im nahen Jorhat, weil seine Eltern ihn nicht ernähren konnten. Als er die Schule abschloss, waren sie schon verstorben. So übernahm er ihre kleine Kuh- und Büffelherde, von deren Milch er bis heute lebt. Die Bewohner seines Waldes schaden seinem Betrieb regelmäßig: "Zehn Schweine, 85 Kühe und 95 Büffel sind in den vergangenen 35 Jahren den Tigern zum Opfer gefallen", hat er einem Reporter des Magazins "Weekend Leader" erzählt. "Sie haben halt keine Ahnung von Viehzucht", witzelt er.

Damit seine Söhne Sanjiv und Sanjay sowie seine Tochter Munmuni auf eine weiterführende Schule gehen können, ist er 2011 umgezogen, weg von seinem Stall und seinem geliebten Wald.

Seitdem steht er um 3 Uhr morgens auf. Erst nach anderthalb Stunden Fahrradfahrt und fünf Kilometern im Ruderboot kann er das Vieh melken und die Felder düngen. Wenn die Milch auf den Markt gebracht ist, beginnt gegen 9 Uhr der angenehme Teil des Tages: Durch den Wald streifen, umher zwischen Königinblumen und Kapokbäumen, Flammenbäumen und Albizien, Baheda und Banyan. An- und Umpflanzen, hier und da kosten von Mangos und Maulbeeren, Pfirsichen und Pflaumen, Datteln und Zimtäpfeln. Bis es Zeit ist zur Rückfahrt, die um 20 Uhr mit dem Abendessen bei seiner Frau Binita endet.

Payeng sagt von sich, er sei "der glücklichste Mensch der Welt". Seine einstigen Mitschüler hätten teils Karriere gemacht, als Ingenieure etwa, und wohnten in schönen, großen Häusern. Er aber habe das Privileg, der Natur zu helfen, Schatten und Schutz, Nahrung und Sauerstoff bereitzustellen — "für alle, Präsidenten und einfache Menschen, Diebe und Sünder inklusive". Er hat sich geschworen, das auch weiterhin zu tun, bis zu seinem letzten Atemzug. Egal, wie groß oder klein die Unterstützung der Regierung ist. Selbst die symbolische Anerkennung, die ihm bislang zuteil geworden ist, klingt eher wie ein schlechter Scherz: 2015 wurde Payeng mit dem Padma Shri ausgezeichnet — das ist die vierthöchste Ehrung, die ein Zivilist in Indien erhalten kann.

Der "Forest Man" nicht der Einzige, der bewiesen hat, wie viel ein Mensch trotz widriger Umstände bewirken kann. Er ist nicht einmal der einzige Inder. Ähnliche Leistungen haben die Männer vollbracht, die als "Der Bergmann" und "Der Eismann" verehrt werden.

Der arme Bauer Dashrath Manjhi ("The Mountain Man") tauschte 1960 seine drei Ziegen ein gegen Hammer und Meißel. Aus Liebe zu seiner nach einem Sturz in den Bergen verstorbenen Frau und seinen Nachbarn hatte er sich geschworen, einen Pfad durch ein Bergmassiv zu schlagen, sodass Ärzte, Schulen und Arbeitsplätze nur noch acht Kilometer entfernt wären anstatt 50 Kilometer. "Bald verbreitete sich überall, dass er verrückt geworden sei", erzählt der Sozialarbeiter Ramcharit Prasad. "Die Leute haben versucht, ihn zu überzeugen, dass er es nicht schaffen würde", ergänzt der Neffe des inzwischen verstorbenen Mannes. "Selbst sein eigener Bruder hielt ihn für wahnsinnig." Doch Manjhi blieb entschlossen. Zwischen 8 und 13 Uhr hielt er sich als Feldarbeiter über Wasser, aber sowohl zwischen 4 und 8 Uhr morgens als auch von 13 Uhr bis abends hackte und grub und schleppte er Felsbrocken. Bis die 110 Meter lange Straße fertig war, die bis zu acht Meter in den Fels eingeschnitten ist.

Das war nach 22 Jahren. Heute kümmert sich eine Stiftung mit seinem Namen um Schul- und Berufsbildung von Jungen und insbesondere Mädchen aus niederen Kasten. "Manjihi ist nicht mehr hier", sagt der Sozialarbeiter Prasad. "Aber der Berg ist durchbrochen."

Der gelernte Mediziner Rajendra Singh kündigte 1985 seinen Job als Regierungsbeamter. "Ich war es satt, nur Statistiken an meine Vorgesetzten weiterzuleiten", sagt er. "Ich wollte etwas Sinnvolles tun." Heute lässt sich sagen: Mission erfüllt — allerdings anders, als er dachte. Mehr noch als an medizinischer Versorgung mangelte es den Dorfbewohnern an Wasser.

Weil er das verloren gegangene Wissen über traditionelle, halbmondförmige Staudämme aus Erde wieder verbreitet hat, werden bis heute mehr als 1.000 Dörfer wieder mit Wasser versorgt, was ihm den Ehrentitel "The Water Man" einbrachte, und 2015 den renommierten "Stockholm Water Prize".

Der Tiefbauingenieur Chewang Norphel ("The Ice Man") löste eine Unterart dieses Problems. Nachdem er schon in seinem Arbeitsleben viele Orte im wüstenartigen Landstrich Ladakh mit Straßen und Brücken versorgt hatte, legte als Pensionär erst richtig los. Auf der Suche nach Lösungen für Wassermangel in Trockenzeiten hatte der heute 81-Jährige nach vielen Experimenten die Idee "künstlicher Gletscher": Mit Hilfe der Dorfbewohner staut er zu Tal stürzende Bergbäche auf. Statt ungenutzt abzufließen, wird das Schmelzwasser aus diesen Sturzbächen in flache Kanäle unmittelbar oberhalb der Dörfer geleitet, sodass es langsamer fließt und daraufhin gefriert. Erst im Frühling, zur Zeit der größten Wasserknappheit, schmelzen die künstlichen Gletscher — ideal für die Bewässerung der Felder. Langsam, aber sicher steigt infolgedessen auch der Grundwasserspiegel wieder.

Norphel, der es stoisch ertragen hat, von vielen ausgelacht zu werden, ist zufrieden mit seinem Werk — und überzeugt davon, dass jeder auf seine Art ähnliches leisten kann. "Man erntet, was man sät. Und es gibt keinen Zweifel: Nichts ist unmöglich, wenn du nur Entschlossenheit und Hingabe beweist."

(tojo)
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