Heiligsprechung Der Papst und das Trauma der Indianer

Fresno · Papst Franziskus wird am Mittwoch in den USA Junípero Serra heilig sprechen, einen spanischen Missionar, in dem manche den Vater Kaliforniens sehen. Für die Urenkel der Ureinwohner steht der Name für Zwangsarbeit, Verschleppung und Tod.

 Papst Franziskus will Junípero Serra (1713 - 1784) heiligsprechen.

Papst Franziskus will Junípero Serra (1713 - 1784) heiligsprechen.

Foto: dpa

Spricht Val Lopez vom Papst, hält er zunächst eine kleine Laudatio. Wie Franziskus in seiner Umwelt-Enzyklika zu nachhaltigem Lebenswandel aufrief und den Konsumrausch kritisierte, das habe ihn sehr an die Weisheiten seiner Ahnen erinnert. "Indianischer kann man kaum denken", sagt der Sprecher des Stammes der Amah Mutsun.

Als der Pontifex im Juli in Bolivien um Verzeihung bat für das Leid, das koloniale Eroberer den Ureinwohnern Amerikas im Namen der Kirche zufügten, zog Lopez in Gedanken den Hut vor ihm. "Umso weniger verstehe ich, warum er Junípero Serra auf den Sockel eines Heiligen hebt."

Serra, ein Franziskaner, 1713 auf der Insel Mallorca geboren, wurde 1749 nach Mexiko entsandt, ein Missionar, der die Indianer zum christlichen Glauben bekehren sollte. 1769 brach er nach Alta California auf. Oberkalifornien, heute das Kalifornien Hollywoods und des Silicon Valley, war damals, zumindest aus Sicht der spanischen Krone, so etwas wie das Ende der Welt. Und Serra ein Pionier. Als er 1784 im Alter von 70 Jahren starb, hatte er entlang der Küste neun Missionen gegründet, das Gerippe für insgesamt 21 katholische Außenposten, die im Laufe der Zeit entstehen sollten.

Im Kapitol zu Washington ist dem kleinen, drahtigen Geistlichen eine Statue gewidmet, eine von zweien, die den Pazifikstaat repräsentieren - die andere zeigt Ronald Reagan. In Serras Hauptquartier, der Mission San Carlos Borromeo de Carmelo in Carmel-by-the-Sea, einer malerisch zwischen Zypressenhügeln gelegenen Stadt, drängen sich die Besucher. Honigfarbener Stein, verwitterte Ziegeldächer, Springbrunnen, Palmen, Weinreben. Drinnen ist Serras Grabstein so schlicht, wie Zeitzeugen den asketischen Mann schildern.

"Unsere Leute waren Sklaven in diesen Missionen", bürstet Val Lopez gegen den touristischen Strich und skizziert ein Bild systematischer Verschleppung. Spanische Soldaten ritten hoch zu Ross in den Indianerdörfern ein, Angst und Respekt einflößend. Pferde kannte man nicht. Frauen und Mädchen mussten, an den Daumen aneinandergebunden, in langer Kolonne in die Missionen marschieren.

Die Amah Mutsun wurden damals auch durch Krankheiten so stark dezimiert, dass sie fast in Vergessenheit gerieten. Zu Tausenden lebten sie einst an der Bucht von Monterey. Rund 600 registrierte Stammesmitglieder sind übrig geblieben, und kaum einer wohnt noch im Toskana-Ambiente der Küste. "Zu teuer für unsereinen", sagt Lopez. Der 63-Jährige, grauer Haarkranz, kräftige Ringerfigur, trug die Uniform der Autobahnpolizei, bevor er in Pension ging und Zeit fand, die Geschichte der Amah Mutsun aufzuarbeiten. Einiges stammt aus Archiven, vieles aus mündlichen Überlieferungen, aus Geschichten, wie sie ihm seine Großmutter erzählte. Die ihm übrigens einschärfte, sich nur ja nicht als Indianer zu erkennen zu geben, das sei zu gefährlich.

Serra, erzählt Lopez, kannte keine Gnade, wenn seinen Arbeitssklaven nach einem Fluchtversuch eine Lektion erteilt werden sollte. Einmal bat er den spanischen Militärgouverneur, vier Entlaufene in Gewahrsam zu nehmen, sie einen Monat an den Füßen zu fesseln und mit Peitschenhieben zu bestrafen. "Zwei- oder dreimal Auspeitschen, wie es Eure Lordschaft an verschiedenen Tagen anweisen könnte, sollte ihnen als Warnung dienen und allen anderen von spirituellem Nutzen sein". In Letzterem bestehe schließlich der Sinn seines Tuns, schrieb Serra am 31. Juli 1775. Lopez hat aus dem Brief zitiert, als er den Pontifex bat, auf die Heiligsprechung zu verzichten.

Rund 150.000 Indianer, schätzt Lopez, sind in Alta California von den Missionaren versklavt worden. Serra persönlich mag niemanden gequält haben, er mag sich sogar, wie vergilbte Dokumente belegen, gegen Exzesse verwahrt haben, als sich die Vergewaltigungen indianischer Frauen durch spanische Soldaten häuften. "Aber er war der Architekt des Systems, er war nicht irgendein Priester." Robert Senkewicz, Historiker an der Santa Clara University, einer Hochschule im Silicon Valley, relativiert hingegen: "Serra war ein Mann seiner Zeit." So wie er dachte, dürften die Europäer damals zu 99 Prozent gedacht haben. In den Indianern sah man Kinder, die es zu erziehen galt. "Und was tut ein guter Vater? Er hilft seinen Kindern, aber wenn sie sich nicht benehmen, bestraft er sie."

Francis Quinn, der emeritierte Bischof von Sacramento, lebt im Altersheim: 94 Jahre alt, der Körper gebrechlich, der Geist hellwach. Quinn war der erste kalifornische Geistliche von Rang, der öffentlich Zeichen von Reue erkennen ließ. 2007 bat er die Miwok-Indianer, die einmal einen Landstrich nördlich von San Francisco bewohnten, um Vergebung dafür, dass "im Namen des europäischen Katholizismus" ihre Zivilisation zerstört wurde. Er sei immer stolz gewesen auf Serra, sagt Quinn. Doch je mehr er erfahre, desto deutlicher sage er: "Er hat sich nicht der richtigen Mittel bedient".

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort