Papst Benedikt XVI. kündigt Rücktritt an Der Reformstau der katholischen Kirche

Düsseldorf · Die Stärkung der Ortskirchen, Fortschritte in der Ökumene und die Ordination von Frauen werden auch nach dem Abschied von Papst Benedikt XVI. die großenThemen der Kirche bleiben.

Papst Benedikt XVI., sein Leben, sein Wirken
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Papst Benedikt XVI. wird der letzte Papst sein, der als Theologe am Zweiten Vatikanischen Konzil ab 1962 mitwirkte — an jener großen Zusammenkunft also, die bis heute für die Zukunftsfähigkeit der katholischen Kirche steht. Salopp gefragt: Was hat die Wahl eines Konzilstheologen auf den Petrusstuhl der Weltkirche mit 1,2 Milliarden Mitgliedern gebracht? Welche Reformvorhaben wurden angestoßen? Die Bilanz fällt düster aus, aber auch deshalb, weil die Fragestellung nicht fair ist. Als Benedikt XVI. gewählt wurde, hatte er kurz zuvor sein 78. Lebensjahr beendet. Er galt — obgleich als brillanter Theologe gerühmt — als ein Übergangspapst. Ein diffamierender Titel, der nach Notlösung klingt.

Falsche Strategie

Diese Strategie war falsch. Denn nach dem langen, über 26 Jahre währenden Pontifikat von Johannes Paul II. war kein behutsamer Übergang nötig. Denn schon die lange Krankheitszeit von Johannes Paul II. hatte im Vatikan ein ungutes Macht-Vakuum mit dementsprechenden Wucherungen entstehen lassen. Aus der Sicht einer handlungsfähigen Kirchenpolitik war das bereits eine Art Sedisvakanz, eine Zeit des leeren Papststuhls.

Der Reformstau in der katholischen Kirche beschränkt sich also nicht auf das Pontifikat des deutschen Papstes. Er wurde nur noch offensichtlicher — und drängender. Natürlich war auch bei ihm oft von der Erneuerung der Kirche die Rede, die aber hoffte er besonders durch das Wort zu erwirken — neben seinen Büchern vor allem mit den Lehrschreiben über die Liebe und die Hoffnung. Strukturreformen sehen anders aus, vor allem haben sie andere Ansatzpunkte. Ein wesentlicher ist der Kirchenstaat selbst, ist die Kurie, der auch im 21. Jahrhundert ein beträchtliches Beharrungsvermögen innewohnt.

Zusammenhang mit dem Glauben

Doch solche Debatten scheute der Papst, aus einem respektablen Grund: Sie hatten wenig mit dem Glauben zu tun. An der Kurie wird auch künftig kein nachhaltiger Reformweg vorbeiführen; und es wird sich schon bei der Papstwahl im März zeigen, ob auch Kandidaten ohne eine Hausmacht der Kurie Chancen haben. Wenig Hoffnung hegt Hans Küng (84), Kirchenkritiker und wie Ratzinger in jungen Jahren ein Konzilstheologe. Einen "katholischen Gorbatschow" werde es nicht geben, sagt er.

Die Reformbedürfnisse sind bei einer Weltkirche von Kontinent zu Kontinent und auch schon von Land zu Land verschieden. Ein gemeinsamer Kritikpunkt aber ist die römische Zentralisierung, die gegen Ende des 20. Jahrhunderts eher zugenommen hat. Das ist ein Zeichen von Misstrauen, kein Beleg von Kollegialität. Dass viel zu viel über die römischen Schreibtische läuft, ist eine alte Klage, seit gestern aber ist sie lauter geworden.

Durchsetzungskraft der Bischöfe

Es geht um die Stärkung der Ortskirchen und um eine größere Durchsetzungskraft der Bischöfe. Wobei die Bischöfe schon jetzt mit einer Macht ausgestattet sind, die in den vergangenen Jahren auch in Deutschland nie wirklich ausgeschöpft wurde.

Etwas weiter geht die Forderung nach Mitsprache des Kirchenvolkes bei Bischofsernennungen. Das Lachen über diesen oft erzählten Witz ist vielen längst vergangen: Danach schickt das Domkapitel eines deutschen Bistums seine Liste mit drei Wunschkandidaten nach Rom. Zurück kommt ein überarbeitetes Papier mit den Namen eines Afrikaners, eines Chinesen und dem, der es nach Roms Willen werden soll.

Weltkirchlich bedeutsam — wenn auch aus Europa befeuert — ist die Debatte um die Ordination von Frauen. Es ist auch der längeren Diskussionszeit dieses Themas geschuldet, dass mittlerweile die Ordinationsfrage theologisch befragt wird. Dabei geht es um die "gemeinsame Gottabbildlichkeit" von Mann und Frau und dass beide etwas Göttliches in sich tragen.

"Tradition für den Menschen"

Und es wird über die biblische "heilige Priesterschaft" aller Getauften gesprochen. "Nach dem Willen Jesu ist der Mensch nicht für die Tradition da, sondern die Tradition für den Menschen", so der Bamberger Dogmatiker Georg Kraus, der sich mit Blick auf die Frauenordination in der katholischen Kirche ein neues Pfingsten wünscht.

Darauf hat Bischof Gerhard Ludwig Müller, Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre, mit dem Stiftungswillen Jesu durch die zwölf Apostel geantwortet. "Der katholische Priester ist durch die Weihe im Heiligen Geist Repräsentant Christi", sagt er. Dass darüber abseits von Polemik und Drohung überhaupt gesprochen wird, zeigt vorsichtig in die Zukunft.

Zwei weitere Reformfragen betreffen mehr die deutsche und europäische Kirche. Da ist vor allem die Stärkung der Laien — ein klassisches Thema des Katholizismus hierzulande. In keinem anderen Land der Welt ist das Wirken der Laien so effektiv wie in Deutschland; das Zentralkomitee der deutschen Katholiken ist älter als die Deutsche Bischofskonferenz und traditionell selbstbewusst.

Bescheidener Petrusdiener

Und die Ökumene? Ein schwieriges Feld, auf dem es nach der Einigung in der Rechtfertigungslehre 1999 in Augsburg kaum nennenswerte neue Früchte gab. Vom gemeinsamen Abendmahl ist ernsthaft keine Rede mehr.

Der Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils aber weht in diesen Tagen vielleicht an anderer Stelle: im Rücktritt des Papstes nämlich, wie manche Theologen glauben. Denn erstmals zeigt sich das Papstamt nicht nur in seiner Machtfülle, sondern wird als bescheidener Petrusdienst erkennbar.

(RP/csi)
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