Interview mit Ranga Yogeshwar "Die Kühlung ist das Wichtigste"

Düsseldorf (RP). Die Atomkatastrophe in Japan hält die Welt in Atem. Der WDR-Wissenschafts-Journalist Ranga Yogeshwar spricht im Interview mit unserer Redaktion darüber, vor welchen Problemen die Techniker vor Ort stehen und wie sie die Lage im Kraftwerk Fukushima unter Kontrolle bekommen könnten.

 ARD-Moderator Ranga Yogeshwar.

ARD-Moderator Ranga Yogeshwar.

Foto: dapd, dapd

Herr Yogeshwar, glauben Sie noch, dass die Japaner diese Katastrophe in den Griff bekommen?

Yogeshwar Es gibt ja überhaupt keine Alternative dazu. Ich glaube, dass wir dort in den nächsten Tagen mehr Spezialisten sehen werden und nicht weniger.

Was müssen die Deutschen tun, um sich vor den Folgen der radioaktiven Verstrahlung zu schützen?

Yogeshwar Im Moment garantiert nichts. Ich habe vier Kinder, ich würde darüber nachdenken, wenn es anders wäre. Der beste Schutz ist, sich genau zu informieren. Angst bekämpft man am besten mit Fakten. Ich mache mir um ganz andere Dinge Sorgen, als um eine radioaktive Wolke über Europa.

Die Angst ist aber da.

Yogeshwar Ihre und meine Mutter haben in ihrem Leben wahrscheinlich mehr Radioaktivität abbekommen, als meine Kinder durch die Ereignisse in Japan selbst im schlimmsten Fall abbekommen könnten. In der Geschichte gab es 528 oberirdische Atomtests, bei denen die Aktivität immer weiter anstieg. Die Wirkung dieser Tests in Bezug auf die Strahlendosis war auch höher als zum Beispiel bei Tschernobyl. Und Tschernobyl war näher bei uns, und große Teile des Reaktors waren pulverisiert. Die Situation haben wir jetzt nicht.

Wie groß ist aktuell die radioaktive Belastung für die Bevölkerung in der Nähe des Reaktors?

Yogeshwar Wenn Sie sich dort eine Stunde im Freien aufhalten, entspricht das der Belastung, die Sie normalerweise durch zwei Röntgen-Aufnahmen hätten. Ich weiß, dass bei den derzeitigen Bildern jeder denkt: "Der hat 'nen Knall", aber es ist durchaus möglich, dass die Bevölkerung bereits in fünf oder sechs Wochen in die evakuierten Gebiete zurückkehren kann, wenn die Japaner das Problem der Kühlung in den Griff bekommen.

Ist die Kühlung derzeit das gravierendste Problem?

Yogeshwar Ja, die müssen die Kühlung hinbekommen, das ist das Wichtigste. Stellen Sie sich vor, Sie haben überall Tauchsieder in einem Dampfdrucktopf. Sie müssen das heiße Wasser immer wieder gegen kaltes austauschen, wenn der Druck nicht steigen soll. Das bekommen die Japaner offensichtlich nicht hin. Deshalb müssen sie immer wieder Druck ablassen, und mit dem Dampf kommt jedes Mal radioaktives Material nach draußen. Das müssen sie aber in Kauf nehmen, sonst fliegt der Behälter irgendwann wirklich auseinander.

Die Radioaktivität wird bewusst freigesetzt?

Yogeshwar Ja, die klingt aber auch immer wieder sehr schnell ab. Das eigentliche Problem dabei ist, dass mit jedem Ablassen des Dampfes das Grundniveau der radioaktiven Belastung in der Umgebung und auch in der Anlage selbst steigt. Das kann man auch messen. Damit wird es natürlich auch immer schwieriger, dort zu arbeiten. Stellen Sie sich das so vor: Sie haben ein Haus, aus dem von Zeit zu Zeit Staub kommt. Ein Teil des Staubs legt sich neben dem Haus auf die Erde. Je öfter Sie Staub herauslassen, desto dicker wird die Staubschicht vor dem Haus, also in diesem Fall die radioaktive Belastung.

Können Techniker unter diesen Bedingungen überhaupt noch in der Anlage arbeiten, ohne ihr Leben zu riskieren?

Yogeshwar Sie brauchen hochspezialisierte Feuerwehrleute, die in entsprechenden ABC-Schutzanzügen arbeiten können. Und von denen brauchen sie sehr viele. Die Japaner müssen in den nächsten Stunden und Tagen mehr Leute dorthin bekommen. Das ist aber ein Problem, weil sie die unter den Bedingungen nach dem Erdbeben und dem Tsunami möglicherweise nicht zur Verfügung haben. Ich habe zunehmend Zweifel, ob ihnen das aus eigener Kraft gelingt. Je mehr Leute da sind, umso eher bekommen sie die Situation in den Griff.

Gibt es denn entsprechende Anfragen der japanischen Regierung in anderen Ländern?

Yogeshwar Mir ist davon nichts bekannt, aber ich kann mir andererseits auch nicht vorstellen, dass das nicht geschehen ist. Das müssen die machen, die brauchen internationale Top-Leute.

Wie sind die Kraftwerke denn überhaupt wieder unter Kontrolle zu bekommen?

Yogeshwar Sie müssen vor allem genug Kühlwasser dort hineinbekommen. Sie müssen sich zum Beispiel die Abklingbecken vorstellen wie einen riesigen Swimmingpool, in dem fünf Meter Wasser über den Brennstäben sind. Ist zu wenig Wasser dort, bildet sich Wasserstoff, das war der Grund für den Brand in Block 4. Wenn Sie das Wasser wieder voll aufgefüllt bekommen, haben Sie zumindest dieses Problem gelöst. Das ist das Wichtigste: Sie müssen überall genug Wasser hinbekommen.

Das ist per Hubschrauber aufgrund der Strahlung bisher nicht gelungen.

Yogeshwar Ich glaube nicht, dass das mit der Strahlung zusammenhängt. Ich vermute eher, dass das Gebäude so zerstört ist, dass sie das Wasser nicht dorthin bekommen, wo es hin muss. Das Wasser dürfte eher verdampfen oder verspritzen, jedenfalls bleibt es nicht im Pool.

Wenn die Kühlung gelingt, wie geht es dann weiter?

Yogeshwar Dann müssen sie ein Wärmetauscher-System einsetzen. Das ist vermutlich während des Tsunamis zerstört worden. Wenn sie Wärmetauscher eingebaut haben, müssen sie keinen Dampf mehr ablassen. Die brauchen aber zwölf Stück davon, und die kann man nicht so einfach auf dem Markt kaufen.

Das klingt eher nach einem monatelangen Kampf als nach einer schnellen Lösung.

Yogeshwar Man muss sich die Situation vorstellen: Es sind insgesamt sechs Kraftwerke, in jedem gibt es zusätzlich ein Abklingbecken, es sind also zwölf Baustellen. Während des Erdbebens waren die Blöcke 4, 5 und 6 abgeschaltet. Das Problem ist vermutlich, dass im Block 4 der gesamte Reaktorkern in die Abklingbecken gesetzt war. Ich vermute, dass darauf zu Beginn nicht genügend geachtet worden ist. Wenn es den Japanern gelingt, zu kühlen und provisorische Wärmetauscher einzubauen, können sie die Anlagen in einen stabilen Modus überführen.

Welche Schäden und Krankheiten drohen der japanischen Bevölkerung?

Yogeshwar Wenn ich in Tokio wäre, würde ich die Stadt nicht verlassen. Die Mengen Radioaktivität dort würden mich noch nicht so sehr beunruhigen. Es ist auch nicht so, dass die japanische Regierung nichts tut oder alles falsch macht. Sie macht im Gegenteil sehr viel richtig. Es ist eine schlimme Situation, und es kann auch sein, das unmittelbar nach unserem Gespräch wieder etwas passiert.

Ulli Tückmantel führte das Gespräch

(RP)
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