Wer wird Nachfolger von Papst Benedikt XVI.? Die Kurie: mächtig, aber gespalten

Rom · Die Römische Kurie ist zerrissen durch Intrigen, Skandale und Machtspiele. Der scheidende Papst Benedikt ruft die Kardinäle und Prälaten zur Einheit auf. Die potenziellen Nachfolger bringen sich in Stellung.

Benedikts Pontifikat in Daten und Fakten
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Foto: dpa, Claudio Peri

Benedikt XVI. ist nur noch sechs Tage im Amt. Er hat angekündigt, zurückgezogen im vatikanischen Kloster "Mater Ecclesiae" seinen Lebensabend zu verbringen. Doch in den letzten Tagen seines Pontifikats findet Benedikt deutliche Worte. Wie ein strenger Vater hat der 85 Jahre alte Papst das Kollegium der Kardinäle vor dem Konklave, das in der ersten Märzhälfte beginnen soll, noch einmal ermahnt.

In seiner Predigt am Aschermittwoch sprach Benedikt von "Spaltungen, die die Kirche entstellen". So deutlich hat noch kein Papst der Neuzeit die Verhältnisse in der Kurie auf den Punkt gebracht, die immer schon abenteuerlich schienen, aber selten ein solches Maß an Zerrissenheit erreichten. "Die Rechte weiß dort oft nicht, was die Linke macht", behauptet auch der deutsche Kardinal Walter Kasper. Am 17. Dezember legten drei Kardinäle, die der Pontifex im Zuge der "Vatileaks"-Affäre zur Aufdeckung des kurialen Morasts eingesetzt hatte, dem Papst ihren nahezu 300 Seiten starken Bericht vor. Ihre erschütternden Ergebnisse, so berichtet die angesehene italienische Zeitung "La Repubblica", hätten den Entschluss Ratzingers zum Rücktritt unwiderruflich gemacht.

Auch das Bild Benedikts von seiner Umgebung hat sich seit den Diebstählen des Kammerdieners Paolo Gabriele verändert. "Wir müssen uns hier oben doch vertrauen können", soll er seinem engsten Berater, Privatsekretär Georg Gänswein, gesagt haben. Das Thema vom Verlust des gegenseitigen Vertrauens dringt auch jetzt aus jeder Rede. Nun sei "die Stunde der Prüfung" gekommen, sagt der Papst. Beim Angelusgebet am vergangenen Sonntag warnte er davor, "Gott zum Zweck persönlicher Macht und Streben nach Erfolg zu instrumentalisieren". Vielleicht fühlten sich viele Gläubige angesprochen. Doch die Worte waren an diejenigen Kardinäle gerichtet, die nun den größten Schritt in ihrer Karriere erhoffen und das Wohl der Kirche längst aus dem Auge verloren haben.

Benedikt, der sein Pontifikat am 19. April 2005 mit der Metapher vom "einfachen Arbeiter im Weinberg des Herrn" einleitete, hat in seinen letzten Amtstagen sein politisches Testament abgegeben. Seine Worte sind eine Regieanweisung für das Konklave. Es geht Benedikt um die Einheit der Kirche und der Kurie. Nicht eine Öffnung gegenüber den Bedürfnissen vieler Gläubigen wird deshalb zunächst das Thema des Konklaves sein, sondern die Konsolidierung und Einigung des kirchlichen Korps. Aus Sicht Benedikts muss seinem Nachfolger zunächst die Wiedervereinigung der Kurie gelingen, deren Vertreter schon längst wieder damit beschäftigt sind, Seilschaften zu knüpfen, Kandidaten in Stellung zu bringen und Machtpoker auszutragen.

Regelrechte Kuhhandel sind nicht nur aus der italienischen Politik bekannt. Auch aus dem Vatikan dringen Vorschläge, in denen Kirchenämter wie Fallobst behandelt werden. In der Öffentlichkeit berufen sich viele Kardinäle auf den Heiligen Geist: "Gott hat bereits entschieden", sagt Kardinal Christoph Schönborn aus Wien. Ein hoher Prälat zeichnet ein anderes Bild: Man müsse mit "einem Hauen und Stechen" rechnen. "Wenn Kardinal Ravasi dem Kardinalstaatssekretär Bertone sein Amt auch in Zukunft garantiert, kann er mit dessen Stimmen rechnen", wird kolportiert. Natürlich muss jedes Wort auch auf seinen taktischen Gehalt hin abgeklopft werden.

Von den Gedanken Benedikts ist derartiges Kalkül allerdings weit entfernt. Die Hoffnung des Papstes sind deshalb 67 der 117 wahlberechtigten Kardinäle. Benedikt hat sie selbst berufen, sein Einfluss auf das Konklave ist schon aus diesem Grund groß. Diese Gruppe hat in Rom den Namen "Partei des päpstlichen Appartamento". "Benedikt hat den Weg vorgezeichnet", sagt der portugiesische Kardinal José Saraiva Martins. Es heißt, auch mächtige Prälaten wie Erzbischof Gänswein oder der einflussreiche Erzbischof Rino Fisichella sondierten in diesen Tagen das Feld, bei Vier-Augen-Gesprächen, bei Abendessen oder Empfängen.

Alles kreist um die Italiener. Sie sind mit 28 Kardinälen die stärkste Gruppe im Kollegium. Das Gleichgewicht bestimmen vor allem zwei Eminenzen. Da ist zum einen der schon 78 Jahre alte Camerlengo und bisherige Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone, dessen Loyalität Ratzinger extrem schätzt, der aber in der Kurie wegen seines exzentrischen Stils umstritten ist. Sein Gegenspieler ist Kardinaldekan Angelo Sodano, der mit 85 Jahren nicht mehr gewählt werden kann, aber das Konklave leiten wird. Sodano gilt als Mittler, der geeigneten Kandidaten zu einer Mehrheit verhelfen könnte. Doch aufgrund der Streitereien im italienischen Episkopat sinken die Chancen für einen italienischen Papst. Die Angst, neue Risse zu fördern, ist groß. "Die Italiener sehen ihre Felle davonschwimmen", behauptet ein langjähriger Kenner der Kurie.

Auch die Symbolik der letzten Tage des Pontifikats ist bedeutend. Nicht alle der 117 Kardinäle kennen sich persönlich, öffentliche Auftritte sind auch eine Werbeplattform in eigener Sache. In dieser Hinsicht sind die Kurienkardinäle und in Rom beheimateten Eminenzen begünstigt. Zwei große Blöcke wie 2005, auf der einen Seite die Konservativen, auf der anderen die Progressisten, gibt es diesmal nicht. Aber die Mehrheit des Kollegiums ist noch nicht in Rom versammelt, die meisten Kardinäle aus Übersee reisen erst an, sobald der Beginn des Konklaves feststeht. Unter ihnen sind die in der Kurie immer stärker vertretenen Nordamerikaner, etwa der hochgehandelte und weltläufige Erzbischof von New York, Timothy Dolan. "Sein Italienisch ist aber sehr schlecht", munkelt ein Beobachter. Und weil die Weltkirche nun einmal von Rom aus gesteuert wird, kann der künftige Papst nach seiner Wahl nicht erst einmal einen Sprachkurs belegen.

So zeigt sich, dass nicht nur die nationalen Machtgruppen ausschlaggebend sind und die Herkunft der Kardinäle, sondern vor allem das persönliche Profil des zukünftigen Papstes. Die meisten Kenner der Kurie rechnen deshalb mit einer Überraschung bei der Wahl. Das Bild bleibt also diffus. So trieb etwa die Dankesrede Tarcisio Bertones am Aschermittwoch nicht nur den Gläubigen, sondern auch vielen Kardinälen die Tränen in die Augen. Solche Momente bringen Konsens und Sympathien. Neben allem Machtdünkel sind die Wahlgänge im Konklave dann auch Momente der Besinnung und Spiritualität. Vielleicht erinnern sich die Eminenzen dann doch noch an die Mahnungen des alten Papstes.

(RP/csi)
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