Japan ein halbes Jahr nach der Katastrophe Die Trauer ist allgegenwärtig

Minamisanriku (RPO). Ein halbes Jahr ist es jetzt her, dass ein Erdbeben und der darauffolgende Tsunami in Japan mehr als 20.000 Menschen das Leben kosteten. Noch immer leben Zehntausende in Notunterkünften oder bei Verwandten. Sie haben ihr Zuhause und ihre Existenzgrundlage verloren und einen langwierigen Wiederaufbau vor sich. Zahlreiche Menschen kamen am Sonntag zusammen, um der Opfer zu gedenken.

Japan ein halbes Jahr nach dem Tsunami
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Ein halbes Jahr nach der Erdbeben- und Tsunamikatastrophe im Nordosten Japans, die auch den schweren Unfall im Atomkraftwerk Fukushima auslöste, leiden noch immer zehntausende Menschen unter den Folgen.

Im Katastrophengebiet erstrecken sich weiterhin riesige Schlammfelder, wo einst Häuser und Geschäfte standen. Abgesehen von diesen sichtbaren Spuren der Katastrophe hat das Ereignis vom 11. März unsichtbare Folgen in Form von psychischen Problemen der Betroffenen und einem Verlust des Vertrauens in die Regierung hinterlassen.

"Die Leute sprechen von Wiederaufbau, aber hier gibt es so was nicht", sagt der 66-jährige Fischer Take Tachibana. Er sucht noch immer nach der Leiche seiner Schwester, die durch die riesige Flutwelle vom 11. März fortgerissen worden war. Tachibana verlor durch den Tsunami auch sein Haus in der Stadt Yamada und sein Boot. "Es ist zu früh, über die Zukunft nachzudenken", sagt er mutlos.

Auch bei zehntausenden anderen Menschen in dem Katastrophengebiet ist noch lange keine Normalität eingekehrt. Zwar wurden Notunterkünfte in Schulen und Gemeindesälen durch eilig gebaute provisorische Unterkünfte ersetzt. Als ihr Zuhause können die Betroffenen dies aber nicht ansehen. Die Entsorgung riesiger Mengen von Trümmern gab den Blick auf öde Schlammfelder frei. Der Wiederaufbau des Gebietes wird hunderte Milliarden Euro kosten und etwa ein Jahrzehnt dauern. Auch die Trauer um die etwa 20.000 Todesopfer der Katastrophe ist noch allgegenwärtig.

Angst vor Verstrahlung durch Lebensmittel

Für die Bewohner des Katastrophengebiets kommt die Angst vor einer Verstrahlung wegen der Atomkatastrophe im Kraftwerk Fukushima hinzu. In den vergangenen Wochen wurden immer wieder atomar belastetes Wasser, Fleisch, Fisch, Gemüse und Tee entdeckt. Die Behörden beteuern, es bestehe keine unmittelbare Gefahr für die Gesundheit. Doch nach dem stümperhaften Umgang mit dem Atomunfall, der die Welt wochenlang in Atem hielt, haben die Menschen kaum noch Vertrauen in die Behörden. Ihnen wird vorgeworfen, das wahre Ausmaß der schwersten Atomkatastrophe seit Tschernobyl lange verschwiegen zu haben.

Auch der Kraftwerkbetreiber Tepco steht massiv in der Kritik. Zwar hat der Konzern mit der Auszahlung einer Entschädigung von einer Million Yen (9300 Euro) pro Familie begonnen. Den Verlust des Hauses und des Einkommens sowie mögliche gesundheitliche Folgen durch die Verstrahlung wiegt die Summe aber bei weitem nicht auf.

Auch die 56-jährige Yuko Sugimoto weiß nicht, wovon sie nun leben soll. Da ihr Dorf Namie nur 20 Kilometer von der Sperrzone rund um das Akw Fukushima entfernt liegt, wird nichts aus ihren Plänen, Bio-Gemüse anzubauen. "Seit dem 11. März hat sich mein Leben vollkommen verändert", sagt Sugimoto. "Alles, was wir jetzt haben, ist Verzweiflung, Druck und die Sorge, dass wir mit der Zeit ausrangiert werden."

Noch steht der Umgang mit der Katastrophe allerdings ganz oben auf der politischen Tagesordnung. Japans neuer Regierungschef Yoshihiko Noda hat versprochen, den Wiederaufbau zu beschleunigen und eine neue Atomsicherheitsbehörde zu gründen. Der Atomkraft will Noda allerdings nicht ein für allemal abschwören. Vorerst soll die verstärkte Förderung erneuerbarer Energien reichen.

Tatsächlich darf die Regierung auch nicht aus den Augen verlieren, die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Schließlich hat die Katastrophe vor einem halben Jahr die Industrieproduktion des Exportlandes zeitweise einbrechen lassen und Japan im ersten Halbjahr in eine Rezession gestürzt. In den am stärksten von Erdbeben und Tsunami betroffenen drei Präfekturen Fukushima, Miyagi und Iwate verloren nach Schätzungen der Regierung mindestens 70.000 Menschen ihren Job. Den Menschen in dem Gebiet fällt es umso schwerer, wieder Hoffnung zu schöpfen.

Gedenkveranstaltungen am Sonntag

Am Sonntag gedenken die Japaner der Opfer der Naturkatastrophe vom 11. März. In der Hafenstadt Minamisanriku, deren Küstengebiete von der 15 Meter hohen Flutwelle weggespült wurden, und in anderen Gemeinden im am schwersten betroffenen Nordosten des Landes kamen am Sonntag zahlreiche Menschen zu Gedenkveranstaltungen zusammen.

Um 14.46 Uhr (Ortszeit), dem Zeitpunkt, als das verheerende Erdbeben die Region erschütterte, ist in zahlreichen Städten eine Schweigeminute geplant. Der neue Ministerpräsident Yoshihiko Noda hatte am Samstag erstmals die Region besucht.

Laut "Aktion Deutschland Hilft" leben immer noch 80.000 Menschen in Notunterkünften oder bei Verwandten. Von den rund 11 Millionen Euro Spenden seien bislang etwas weniger als die Hälfte, nämlich fünf Millionen Euro ausgegeben, teilte das Bündnis am Freitag in Bonn mit. Das Geld komme vor allem Kindern, Familien und alten Menschen in den Evakuierungszentren zugute. Weiterhin gefragt sei die psychosoziale Betreuung, "denn die inneren Wunden sind noch nicht verheilt".

Mit einem gesamtwirtschaftlichen Schaden von umgerechnet etwa 150 Milliarden Euro ist das Beben den Angaben der Rückversicherungsgesellschaft Munich Re zufolge die teuerste Naturkatastrophe in der Geschichte. Die japanische Regierung stellte bisher insgesamt umgerechnet 54,8 Milliarden Euro für den Wiederaufbau bereit.

(AFP/KNA)
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