Niederländischer Skandal-Arzt "Dr. Frankenstein" ab heute vor Gericht

Amsterdam · Falsche Diagnosen, unnötige Therapien und Hirn-Operationen: 20 Jahre praktizierte der niederländische Neurologe Jansen fast ungestört, auch in Deutschland. Jetzt steht ein spektakulärer Prozess gegen "Dr. Frankenstein" bevor.

 Der frühere Neurologe Ernst Jansen steht ab Montag vor Gericht.

Der frühere Neurologe Ernst Jansen steht ab Montag vor Gericht.

Foto: dpa, Vincent Jannink

"Horrorarzt" oder "Dr. Frankenstein" nennen die Medien den niederländischen Neurologen Ernst Jansen. "Das ist so abscheulich", klagte der 68-Jährige jetzt in der Zeitung "NRC Handelsblad". Die Vorwürfe seien nicht richtig und unbewiesen. Dies muss jetzt ein Gericht klären: Von diesem Montag an sitzt der Skandalarzt auf der Anklagebank in Almelo. Es dürfte der größte medizinische Strafprozess der Niederlande werden.

Der Vorwurf: Jansen soll mit falschen Diagnosen und Therapien Dutzenden von Patienten schweres Leid zugefügt haben. Der Arzt hat auch in Deutschland gearbeitet, doch in Almelo geht es nur um Patienten in den Niederlanden.

Der Prozess beginnt zehn Jahre, nachdem von ersten Verfehlungen Jansens die Rede war. In all den Jahren praktizierte er ungestört - in Deutschland an mindestens sieben Kliniken, darunter in Heilbronn und Worms. Dort etwa soll er noch 2010 eine Patientin bei einer unnötigen Rückenmark-Punktion schwer geschädigt haben.

Die Vorwürfe der Anklagebehörde gegen Jansen lesen sich wie das Drehbuch zu einem Horrorfilm: Von Anfang der 90er Jahre bis 2003 soll er am Krankenhaus "Medisch Spectrum Twente" bei über 200 Patienten falsche Diagnosen gestellt haben. Wie ein Gott in Weiß soll er geurteilt haben: Alzheimer oder Multiple Sklerose.

Bleibende Schäden bei Patienten

Für einen 54-Jährigen klang die Diagnose wie ein Todesurteil. Doch statt Alzheimer hatte er ein Burnout. Das erfuhr er erst, nachdem er jahrelang schwerste Medikamente geschluckt hatte. So soll es vielen ergangen sein. Laut Staatsanwaltschaft erlitten sie bleibende körperliche und psychische Schäden, eine Frau beging Selbstmord.

Für den Prozess wählte die Staatsanwaltschaft neun Fälle aus. Außerdem klagt sie Jansen wegen Diebstahls, Urkundenfälschung und Unterschlagung an. Er soll auch unerlaubte Obduktionen und Gehirnoperationen ausgeführt haben.

Waren es bedauerliche Kunstfehler eines überlasteten Arztes? Die Staatsanwaltschaft will das Gegenteil beweisen. Jansen soll Patienten absichtlich falsche Hirn-Aufnahmen gezeigt haben. Bei anderen habe er die Diagnose Alzheimer mit erfundenen Testergebnissen belegt.

Er habe sich nichts vorzuwerfen, sagte der Neurologe am vergangenen Freitag in einem Disziplinarverfahren im niederländischen Zwolle. Dort werden fünf Fälle verhandelt. "Im Nachhinein bedauere ich nichts." Wenn seine Patienten gelitten hätten, tue ihm das leid. Sehr offen sprach er vor den Richtern von einer persönlichen Krise Ende der 90er Jahre. "Ich war süchtig nach Medikamenten, aber ich funktionierte redlich." Das Disziplinargericht will zum Jahresende entscheiden; es kann ihm die ärztliche Zulassung entziehen.

Ermittlungen erst unter Druck der Öffentlichkeit

Die Affäre deckte eine beispiellose Kultur des Schweigens in der Krankenhauswelt auf. Der einst renommierte Arzt musste 2003 die Klinik in Enschede verlassen, als er beim Diebstahl von Rezepten erwischt worden war. Kurz danach sprachen Kollegen bereits von Fehldiagnosen. Seit 2005 meldeten sich 220 Ex-Patienten, 80 sollen bereits entschädigt worden sein.

Doch erst 2009 leitete die Staatsanwaltschaft unter zunehmendem Druck der Öffentlichkeit Ermittlungen ein - und auch das Krankenhaus startete eine Untersuchung. Die Gesundheitsbehörde zwang ihn, sich aus dem niederländischen Ärzteregister streichen zu lassen.

In Deutschland konnte Jansen ungestört weiter praktizieren - bis er im Januar 2013 in Heilbronn die Kündigung bekam. Er sei doch nicht verurteilt gewesen, betonte er jetzt. "Ich sah meine Qualitäten." Im Februar soll sich sein Schicksal entscheiden: Dann will das Gericht in Almelo sein Urteil fällen. Bei einem Schuldspruch droht Jansen eine Gefängnisstrafe von bis zu zwölf Jahren.

(dpa)
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