Japan und der GAU Drei Atomkraftwerke werden zur Gefahr

Tokio (RP/RPO). Auch am dritten Tag nach dem Erdbeben konnten die schweren Probleme in den japanischen Kraftwerken nicht gelöst werden. Bei zwei Atom-Reaktoren ist eine Kernschmelze zu befürchten, die durch die Kühlung mit Meerwasser verhindert werden soll. In einer dritten Anlage versagte am Sonntag das Kühlsystem. Wie gefährlich die Lage derzeit in den betroffenen Kraftwerken ist, lässt sich nicht genau sagen. Mehr als 10.000 Menschen kamen in Folge des Erdbebens ums Leben. Tausende versuchen die Unglücksregion zu verlassen.

Japaner trieb zwei Tage lang auf Hausdach im Meer
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Notstand in drei Atom-Anlagen In mehreren Reaktoren fielen die Kühlsysteme aus. Ob eine Kernschmelze in den beiden Blöcken des Kernkraftwerks Fukushima 1 im Nordosten des Landes bereits eingesetzt hat, war am Sonntagabend offiziell noch immer unklar. Experten befürchten, dass es längst dazu gekommen ist. Rund 160 Menschen wurden möglicherweise erhöhter radioaktiver Strahlung ausgesetzt. Gefahr droht auch durch hochgiftiges Plutonium, das im akut gefährdeten Block 3 der Anlage in Fukushima bei einer Kernschmelze austreten könnte. Eine detaillierte Schilderung der Situation in den drei Kraftwerken finden Sie hier.

Außer im Krisenreaktor Fukushima fiel am späten Sonntagabend auch das Kühlsystem des Atomkraftwerks Tokai aus, das nur 120 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Tokio liegt. Nach Auskunft der Feuerwehr versagte dort eine Pumpe ihren Dienst. Der Betreiber Japan Atomic Power Company erklärte allerdings, eine andere Pumpe laufe normal. Es bestehe deshalb kein Risiko, dass Strahlung austrete. Die internationale Atomenergiebehörde (IAEO) wurde über diesen Störfall nach eigenen Angaben nicht unterrichtet. Für die Atomanlage Onagawa, die nördlich von Fukushima steht, wurde tagsüber der nukleare Alarmfall ausgerufen. Am Abend berichteten die Behörden, es sei keine Radioaktivität ausgetreten.

Fukushima 1 am gefährlichsten

Experten befürchten angesichts einer möglichen Kernschmelze in den Reaktoren eins und drei der Atomanlage Fukushima 1 und den Störfällen in Onagawa und Tokai den so genannten Super-Gau, also einen größten anzunehmenden Unfall (GAU), der technisch nicht mehr zu beherrschen ist.

Die größten Sorgen bereitet derzeit der Komplex Fukushima, der aus zwei Anlagen mit insgesamt zehn Reaktoren besteht. In Block eins von Fukushima 1 kam es am Samstag zu einer Knallgasexplosion, nachdem die Verantwortlichen Meerwasser eingeleitet hatten, um die überhitzten Brennstäbe zu kühlen und so eine möglicherweise fatale Kernschmelze zu verhindern. Am Sonntag erklärte Regierungssprecher Yukio Edano, eine ähnliche Explosion drohe im Block 3 der Anlage.

Reaktoren faktisch aufgegeben

In Fukushima überschritt die Strahlung zeitweise die zulässigen Grenzwerte. Die Belastung sei bislang aber so niedrig, dass keine Gefahr für die Gesundheit der Menschen bestehe. Nach Aussage der japanischen Atomenergiebehörde waren bis zu 160 Menschen möglicherweise radioaktiver Strahlung ausgesetzt und wurden in Krankenhäuser gebracht. Mehr als 170.000 Menschen wurden im Umkreis von 20 Kilometern um das Kraftwerk mittlerweile evakuiert.

Dass in beide Reaktoren Meerwasser eingeleitet wurde, werten Experten als Indiz dafür, dass die Behörden die Reaktoren aufgegeben haben und es nur noch darum geht, eine Kernschmelze um jeden Preis zu verhindern. "Wenn Sie den Reaktordruckbehälter mit einem Schnellkochtopf vergleichen, heißt das, der wird jetzt nicht mehr etwas gekühlt, sondern komplett in der Badewanne versenkt", sagte der internationale Atomexperte Mycle Schneider.

Japans Regierung macht einen hilflosen Eindruck

Auch im wenige Kilometer entfernten Atomkraftwerk Fukushima-Daini gab es in drei Reaktoren Probleme mit den Kühlsystemen. Dort seien die Vorbereitungen zum Ablassen von Dampf abgeschlossen, sagte eine Mitarbeiterin der japanischen Atomaufsichtsbehörde NISA. Durch das Ablassen des radioaktiv belasteten Wasserdampfes kann ein Schaden am Reaktordruckbehälter vermieden werden.

Für weitere Verwirrung sorgte die japanische Regierung. Regierungssprecher Yukio Edano zog seinen eigenen Bericht über eine mögliche Kernschmelze im Reaktor drei der Anlage Fukushima 1 zurück. Später erklärte er, dort sei lediglich das Kühlsystem wie schon zuvor im Reaktor eins ausgefallen. Die Informationspolitik der Japaner erntete scharfe Kritik. Die internationale Atomsicherheitsbehörde IAEO hält es dagegen für sehr wahrscheinlich, dass sich im Reaktor eins eine Kernschmelze ereignete.

Große Sorge bereitet die nukleare Gefahr vor allem im Hinblick auf die nur etwa 200 Kilometer entfernte Millionen-Metropole Tokio. Für die kommenden Tage steht der Wind den Vorhersagen zufolge günstig. Eine nukleare Wolke könnte sich über dem Pazifik verteilen. In Tokio selbst ist die Stimmung angespannt. Es kommt zu Hamsterkäufen, am Montag soll in Teilen der Metropole der Strom abgeschaltet werden. Vor allem Ausländer verlassen die Tokio in Richtung Süden.

Das wahre Ausmaß bleibt unklar

Das ganze Ausmaß der Katastrophe ist auch zwei Tage nach dem schwersten jemals in Japan gemessenen Beben noch nicht zu erfassen. Die Behörden gehen mittlerweile von deutlich mehr als 10.000 Toten aus. Tausende Menschen werden noch vermisst. Viele Gegenden sind ohne Wasser. Im ganzen Land wird der Strom knapp, auch in der Hauptstadt Tokio muss die Energieversorgung deswegen zeitweise abgestellt werden.

Ministerpräsident Naoto Kan sprach von der schlimmsten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. In einer TV-Ansprache rief er die Japaner angesichts der Katastrophe zur Einheit auf. Die Zukunft des Landes hänge nun von den Entscheidungen jedes Einzelnen ab, sagte er. Allein in der Region um die Stadt Miyagi rechnen die Experten mit rund 10.000 Toten. Die Großstadt war von dem Beben und dem anschließenden Tsunami besonders schwer getroffen worden. Offiziell bestätigt sind bislang erst 1800 Todesopfer sowie 1400 Vermisste.

Benzin und Lebensmittel werden knapp

Die Stärke des Bebens vom Freitag wurde vom Meteorologischen Amt Japans von 8,9 auf 9,0 nach oben korrigiert. Auch am Sonntag gab es wieder Nachbeben bis zur Stärke 6,2. Seit der Katastrophe am Freitag wurden damit mittlerweile mehr als 150 teils schwere Erdstöße registriert.

Die Regierung verdoppelte die Zahl der Soldaten für den Rettungseinsatz von 50.000 auf 100.000. Auch viele ausländische Helfer nahmen inzwischen die Arbeit auf. Rettungsteams suchen die Küstenregion nach Verletzten und Vermissten ab. Die Hoffnung schwindet. Die Helfer finden fast nur noch Leichen. Viele Landstriche sind jedoch noch immer unzugänglich.

Nach Berichten des Fernsehsender NHK sind etwa 380.000 Menschen in Notunterkünften untergebracht, viele ohne Kontakt zu Hilfskräften und abgeschnitten von der Stromversorgung. Nach Schätzungen der Behörden sind bei Temperaturen um den Gefrierpunkt mindestens 1,4 Millionen Haushalte ohne Wasser und 2,5 Millionen Haushalte ohne Strom. Vielerorts werden Benzin und Lebensmittel knapp. Am Stadtrand von Sendai stand eine Raffinerie noch immer in Flammen.

Vulkan ausgebrochen

Ein Vulkan im Süden des Landes ist nach dem schweren Erdbeben unterdessen wieder aktiv. Der Shinmoedake stoße Gestein, Asche und Gas aus, meldete der japanische Wetterdienst am Sonntag. Zuvor war der Vulkan mehrere Wochen nicht aktiv gewesen. Er liegt auf der Insel Kyushu rund 1.500 Kilometer vom Epizentrum des Erdbebens der Stärke 9,9 vom Freitag entfernt.

Die Entwicklung in Japan hat auch in Deutschland zwei Wochen vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg die Atomdiskussion wieder angefacht. Opposition und zehntausende Demonstranten forderten eine Rückkehr zum Atomausstieg. Bundeskanzlerin Angela Merkel kündigte an, sie wolle auch die deutschen Kernkraftwerke überprüfen lassen. Eine akute Gefahr für die Bundesrepublik sieht die Regierung aber nicht.

(RP/dapd/RTR)
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