Weihnachten in Griechenland Eine Gesellschaft zerfällt

Die Krise Griechenlands kommt zumeist abstrakt daher. Von Rettungsschirmen, Schuldenschnitt oder Grexit ist die Rede. Doch fernab von Berlin und Brüssel spielen sich in den griechischen Familien individuelle Dramen ab. Für Tausende lösen sich Lebensgewissheiten in Luft auf. Manche werden im Winter frieren.

Wie Griechenland zerfällt
9 Bilder

Wie Griechenland zerfällt

9 Bilder

Die deutsche Öffentlichkeit hat sich an das Vokabular im Zusammenhang mit Griechenland gewöhnt. Schon vier Jahre dauert die Krise, die Krisen-Rhetorik hat sich abgenutzt, die Katastrophe empfinden wir als Alltag.
In Griechenland selbst liegen die Dinge anders. Dort spüren die Menschen hautnah, was Krise bedeutet. Zur Weihnachtszeit vielleicht noch mehr als sonst. Das, was in den Medien im Wirtschaftsteil unter dem Schlagwort Schuldenkrise abgelegt wird, hat sie in Not gebracht.

Das Elend rüttelt an den Grundfesten der Gesellschaft und dem, was sie zusammenhält. Griechische Politiker zeigen sich tief besorgt, weil sie wissen, dass die Krise noch Jahre andauern und sich für die Menschen verschärfen wird.

Noch in diesem Winter soll eine neue Sparrunde greifen, die die Auflagen der Gläubiger umsetzt. Höhere Steuern, Renten- und Lohnkürzungen stehen auf der Agenda. Außerdem sollen in den nächsten Jahren rund 150 000 Staatsbedienstete ihren Job verlieren. Zudem sind Kürzungen im Gesundheits- und Sozialwesen sowie Streichungen bei Kinder- und Weihnachtsgeld geplant.

Die Frage ist nur, wie lange die griechische Gesellschaft das noch aushält.

Absturz ins Elend Man kann sich das kaum vorstellen. Bürger aus der Mittelschicht, die noch vor drei Jahren ein sicheres Einkommen hatten, sind auf Wohltätigkeiten angewiesen. Faz.net berichtete kürzlich vom Besuch eines deutschen Traumatologen in Griechenland, der mit ansah, wie Junge, Alte und Kinder nach dem Wochenmarkt Obst- und Gemüsereste von der Straße auflasen.

Das Foto rechts oben in diesem Text zeigt die 30-jährige Lia Tsouvalakis und ihre Tochter in ihrer kleinen Wohnung. Ihr Mann George brachte früher in seinem Beruf als Schreiner 2500 Euro nach Hause. Jetzt versucht er die Familie über Wasser zu halten, indem er Schnitzereien an Touristen und Altmetall an Schrotthändler verkauft. In guten Monaten bringt er damit 400 Euro zusammen.

Die Rente Mit den Sparmaßnahmen der Regierung schmilzt das Geld dahin, das für die Rente nach 40 Jahren Arbeit eingeplant war. Etwa wie bei dem Rentner Sotiris Tzovaras, der dem Wall Street Journal sein Leid klagte. Ein Drittel seiner Bezüge — weggekürzt. Mit den 1000 Euro im Monat versucht er, elf Familienmitglieder über die Runden zu bringen, die bei ihm Unterschlupf gesucht haben, weil sie sich die eigene Wohnung nicht mehr leisten können.

Arbeitslosigkeit Etwa ein Viertel der Griechen ist arbeitslos — so viel wie noch nie. Bei den Jungen sind es sogar weit über 50 Prozent. Viele fallen dadurch ins Bodenlose. Depressionen werden insbesondere bei Männern zur Volkskrankheit. Die Suizidrate hat sich innerhalb von drei Jahren verdoppelt. Zeitgleich wächst die Wut auf diejenigen, die die Kürzungsrunden beschlossen haben. Wenn es nicht bald Arbeit gibt, könnte die Stimmung kippen, befürchten griechische Politiker.

Krankheit bedeutet Not Wer auf Hilfe angewiesen ist, braucht in Griechenland Geld. Seit dem Dezember verkaufen Apotheker Medikamente nur noch gegen Bares. Die Faz berichtete von einer Hochschwangeren, die abgewiesen wurde, weil sie keine Versicherung und Geld hatte. In den Krankenhäusern fehlt es schon seit Monaten am Nötigsten. Es heißt, seitdem das Putzpersonal entlassen wurde, müssten Ärzte und Schwestern selber die Klos putzen. Auch sie haben seit Monaten kein Geld mehr bekommen. Der Staat schuldet Ärzten und Apothekern nach Angaben ihrer Gewerkschaften mehr als eine Milliarde Euro.

Heizen mit Holz Graubraune In Athen und anderen Großstädten durchzieht in diesen Wintertagen beißender Rauch die Straßen. Viele Bewohner verbrennen — oftmals illegal geschlagenes - Holz, um sich zu wärmen und das teure Heizöl zu sparen. In vielen Hochhäusern sind die Heizungen bereits ausgestellt. Die Preise für Heizöl sind durch Steuererhöhungen um mehr als 50 Prozent auf 1,38 Euro pro Liter gestiegen.

Zulauf für Radikale Die Rechtsextremen versuchen, vom Elend zu profitieren. Sie spielen sich als Wohltäter auf und verteilen auf öffentlichen Plätzen Nahrungsmittel. Voraussetzung: Die Empfänger müssen Griechen sein. In Umfragen verdoppelte die Nazi-Partei Goldene Morgenröte ihren Stimmenanteil in den jüngsten Monaten auf zwölf Prozent. Zeitgleich hatten immer wieder Meldungen über Hetzjagden auf Dunkelhäutige, Asylbewerber und Ausländer die Griechen aufgeschreckt. Die USA gaben im November eine Reisewarnung für Griechenland heraus.

Der Zusammenhalt schwindet Griechenlands Gesellschaft zeigt Auflösungserscheinungen. Das soziale Netz weist bereits große Löcher auf. Karitative Einrichtungen wie Wohlfahrtshäuser oder medizinische Einrichtungen sind am Ende ihrer Ressourcen. Gleichzeitig wächst die Not. Der Traumatologe Gerold Pieper zieht ein besorgniserregendes Fazit. An die Stelle der Solidarität trete in solchen Krisensituationen der Egoismus. Der Mensch werde zu einer Raubtier. Griechenland sieht er schier unaufhaltsam auf einen Bürgerkrieg zusteuern.

(pst)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort