Friedensnobelpreisträger 87-jährig gestorben Elie Wiesel - der Anwalt der Toten

Berlin/Weimar · Sein Leben war ein steter Kampf gegen das Vergessen. Der Holocaust-Überlebende und Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel setzte sich gegen Hass und Intoleranz ein. Am Samstag ist der Mahner, Publizist und Hochschullehrer in Boston im Alter von 87 Jahren gestorben.

 Elie Wiesel galt als moralische Instanz.

Elie Wiesel galt als moralische Instanz.

Foto: Jim Lo Scalzo

Am 11. April 1945 endete für Elie Wiesel die finsterste Phase seines Lebens: Die US-Armee befreite das Konzentrationslager Buchenwald - und damit den damals 16-jährigen jüdischen Jungen. Für seinen Vater kam die Befreiung zu spät. "Der Tag, an dem er starb, war einer der dunkelsten meines Lebens", erinnert sich Elie Wiesel 65 Jahre später. Als er diese Worte in Buchenwald spricht, ist er ein weltbekannter Autor, der seit 1986 den Friedensnobelpreis trägt. In Begleitung des amerikanischen Präsidenten Barack Obama war Wiesel am 5. Juni 2009 auf den Ettersberg bei Weimar zurückgekehrt.

Wiesel wird 1928 in Sighet im heutigen Rumänien geboren. Seine Familie ist fromm. Nach der Besetzung des Schtetls durch die Wehrmacht 1944 werden alle Juden deportiert. Mit seinen Eltern und drei Schwestern wird Wiesel nach Auschwitz gebracht. Seine Mutter und seine kleine Schwester werden sofort umgebracht. Zusammen mit seinem Vater wird Wiesel nach Buchenwald gebracht. Dort stirbt der Vater zwei Monate vor der Befreiung.

Nach Kriegsende geht Wiesel über Straßburg nach Paris und studiert an der Sorbonne. In der französischen Hauptstadt wird er Korrespondent für die israelische Zeitung "Yediot Aharonot", für die er ab 1956 aus New York schreibt und von den Vereinten Nationen berichtet. Als Reporter beobachtet er den Eichmann-Prozess in Jerusalem, er reist zu den Unterdrückten in der Welt: zu den vietnamesischen Boatpeople und in das Südafrika der Apartheid.

Das Thema seines Lebens: der Holocaust

Wiesels Lebensthema bleibt der Holocaust und der Überlebenskampf des jüdischen Volks. Seine Erlebnisse fließen in den autobiografischen Roman "Die Nacht" ein, der 1958 in Frankreich und vier Jahre später in Deutschland erscheint. Das Buch endet, als der Protagonist "Elischa" nach der KZ-Befreiung erstmals in den Spiegel blickt: "Aus dem Spiegel blickte mich ein Leichnam an. Sein Blick verlässt mich nicht mehr." Der Band, bis heute millionenfach gedruckt, legt den Grundstein für eine Trilogie. Der Kampf in Palästina und Israel, das jüdische Leben unter Stalin und der Sechstagekrieg im Nahen Osten sind weitere Sujets für das literarisches Werk Wiesels, das 40 Bücher umfasst.

1963 siedelt Elie Wiesel vollständig in die USA über und nimmt die amerikanische Staatsbürgerschaft an. 1972 wird er als Professor für jüdische Studien an das City College in New York berufen, 1976 wechselt er nach Boston. Häufig diskutiert er mit jungen Menschen über den Holocaust - immer davon getrieben, "den Stimmen zu lauschen, die aus der meinen schreien, bis ich von meinen Erinnerungen wieder Besitz ergriffen habe, um die Sprache der Menschen mit dem Schweigen der Toten zu vereinen". Er verstehe den Holocaust "weder mit noch ohne Gott", sagte Wiesel einmal. Bei seiner Rede 2009 in Buchenwald stellt er resigniert fest: "Hätte die Welt ihre Lektion gelernt, hätte es kein Kambodscha, kein Ruanda, kein Darfur und kein Bosnien gegeben."

Obama: "Eine der größten moralischen Stimmen unserer Zeit"

US-Präsident Barack Obama nannte Wiesel "eine der größten moralischen Stimmen unserer Zeit und in vielerlei Hinsicht das Gewissen der Welt". Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, schrieb zum Tode Wiesels: "Obwohl er seine ganze Familie in der Shoa verloren hatte und trotz allem, was er selbst erlitten hatte, stiftete er durch sein Wirken Frieden und Versöhnung." Der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Ronald S. Lauder, würdigte Wiesel mit den Worten: "Er lehrte uns über den Horror von Auschwitz. Er lehrte uns über Judentum, über Israel und darüber, angesichts des Unrechts nicht zu schweigen."

"Eine Stimme der Moral und der Humanität ist verstummt", erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel. Wiesel habe "uns Deutschen die Hand ausgestreckt, hat mit uns unermüdlich daran gearbeitet, eine bessere Welt zu ermöglichen". Bundespräsident Joachim Gauck erklärte: "Wir haben einen großartigen Menschen und außerordentlichen Gelehrten und Schriftsteller verloren", heißt es in einem Kondolenzschreiben Gaucks an die Ehefrau Marion Esther Wiesel. Mit eindringlichen und empathischen Worten habe es Wiesel verstanden, die Erinnerung an die dunkelsten Jahre der deutschen Geschichte wach zu halten.

(RP)
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