Mindestens 250 Tote Italien ruft nach Erdbeben den Notstand aus

Rom/Amatrice · Nach dem schweren Erdbeben in Italien steigt die Zahl der Opfer fortwährend. Helfer suchen unermüdlich nach Lebenden unter den Trümmern, doch deren Überlebenschancen sinken mit jeder Stunde. Die Regierung will den Menschen helfen – und hat den Notstand ausgerufen.

Ein Zeltlager in Arquata Del Tronto.

Ein Zeltlager in Arquata Del Tronto.

Foto: dpa, dtm ms cs

Nach dem schweren Erdbeben in Italien steigt die Zahl der Opfer fortwährend. Helfer suchen unermüdlich nach Lebenden unter den Trümmern, doch deren Überlebenschancen sinken mit jeder Stunde. Die Regierung will den Menschen helfen — und hat den Notstand ausgerufen.

Zudem kündigte Regierungschef Matteo Renzi am Donnerstag die ersten Hilfsgelder von 50 Millionen Euro und Steuererleichterungen für die Menschen in den teils vollkommen verwüsteten Orten an. Renzi kündigte auch eine bessere Erdbebenvorsorge an.

Die Zahl der Todesopfer könnte nach Angaben des Zivilschutzes noch weiter steigen. Das Beben könne "noch schlimmere Dimensionen erreichen als jenes in L'Aquila" im Jahr 2009, warnte der Chef des Zivilschutzes, Fabrizio Curcio. Damals starben 309 Menschen. Dieses Mal hatte es besonders die kleineren Orte Amatrice, Accumoli und Pescara del Tronto getroffen.

"Das erste Wort, was einem in den Sinn kommt, ist tiefes Mitgefühl für das, was passiert ist", sagte Ministerpräsident Renzi. "Wir sind als allererstes Menschen, nicht Politiker." Mit dem Ausrufen des Notstandes soll den Opfern schnell und unbürokratisch geholfen werden, dazu werden sonst geltende bestimmte Rechte ausgesetzt.

Nach Angaben der Feuerwehr wurden bislang mindestens 215 Menschen lebend aus den Trümmern gerettet. 365 wurden bei dem Beben am Mittwoch verletzt. Etwa 6000 Helfer kämpften unermüdlich gegen die Zeit. Aber einen Tag nach dem Beben einer Stärke von mehr als 6 schwand mit jeder weiteren Stunde die Hoffnung, noch Überlebende zu finden.

Das Beben hatte übereinstimmenden Medienberichten zufolge in der Nacht zum Mittwoch um 3.36 Uhr begonnen und länger als zwei Minuten gedauert - genau 142 Sekunden. Es gab wohl etwa 700 teils starke Nachbeben, die die Arbeiten erschwerten. Gleichzeitig kam neue Kritik am Umgang des Landes mit dem Erdbebenschutz auf. In mehreren Ortschaften wurden jahrhundertealte kulturhistorische Bauwerke beschädigt oder zerstört.

Die meisten Toten gab es in den Orten Amatrice und Accumoli in der Region Latium und in der Gegend um Pescara del Tronto in den Marken. Wie viele Menschen noch verschüttet oder vermisst sind, war am Abend noch immer unklar. "Es ist unmöglich, eine Zahl der Vermissten zu nennen", sagte Zivilschutzchef Curcio. Viele seien auf der Durchreise oder im Urlaub in den betroffenen Orten gewesen. Vor allem viele Italiener machen dort Urlaub.

Aber auch Ausländer kamen ums Leben, die Außenministerien in Madrid und Bukarest bestätigten den Tod eines spanischen und fünf rumänischer Staatsbürger. Von deutschen Opfern ist bisher nichts bekannt. Das Auswärtige Amt in Berlin stand mit der Botschaft in Italien in Kontakt.

Die Rettungsarbeiten waren nachts mit Taschenlampen, Baggern und Spürhunden weitergegangen. Immer wieder wurden Leichen geborgen, die Zahl der Opfer stieg fast stündlich. Die Nachbeben versetzten nicht nur die Überlebenden in Panik, sondern ließen auch Gebäude weiter einstürzen. In Italien wurden an vielen öffentlichen Gebäuden die Fahnen auf halbmast gesetzt. Die Regierung in Rom hatte dies als Zeichen der Trauer und zum Gedenken landesweit angeordnet.

Rufe nach besseren Vorsorgemaßnahmen wurden laut, Italien müsse erdbebensicher werden, forderte etwa der frühere Regierungschef Romano Prodi. Das Land ist hoch erdbebengefährdet, weil unter dem Apennin-Gebirgszug die afrikanische und die eurasische Platte aufeinanderstoßen. "Es wäre nötig, alle privaten Häuser auf Erdbebensicherheit zu überprüfen", sagte Gianpaolo Rosati, Direktor des Mailänder Polytechnikums, der dpa. "Aber die Aufrüstung kostet oft mehr, als ein komplett neues Haus zu bauen. Deshalb schaffen es viele Privatleute nicht."

Tausende Menschen in den betroffenen Orten sind obdachlos, nachdem ihre Häuser eingestürzt sind. In Notunterkünften wie Zelten verbrachten viele die Nacht. Andere zogen es vor, in ihren Autos zu übernachten, so der Zivilschutz.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon und der französische Präsident François Hollande drückten Italien ihre Solidarität aus und boten Hilfe bei den Rettungsarbeiten an. "Wir können Italien alle möglichen Hilfsmittel zur Verfügung stellen, wenn das Land uns darum bittet, denn es können noch Leben gerettet werden", sagte Hollande. "Solche Katastrophen zeigen wieder einmal unsere Verwundbarkeit, aber auch, was Solidarität bedeuten kann." Deutschland hatte Italien bereits am Mittwoch die Hilfe von Experten des Technischen Hilfswerks (THW) bei der Bergung von Erdbeben-Verschütteten angeboten.

Auch viele alte und historische Bauten waren wie Kartenhäuser eingestürzt. Insgesamt seien 293 kulturhistorische Bauwerke und Stätten beschädigt worden, 50 davon schwer, sagte Kulturminister Dario Franceschini. Die mittelalterlichen Ortskerne der Dörfer, die nun in Trümmern liegen, müssten unter Berücksichtigung des Erdbebenschutzes wieder aufgebaut werden, "das sind wir den Gemeinden schuldig". Das am schlimmsten betroffene Amatrice galt als eines der schönsten Dörfer Italiens.

Der Bürgermeister des hart getroffenen Ortes Accumoli, Stefano Petrucci, machte den Überlebenden Mut. "Jetzt gibt es einen Moment der Verzweiflung, aber wir glauben an uns. Wir sind hartnäckige Bergbewohner und wir werden das schaffen."

(isw/dpa)
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